Hartnäckige Forschungsarbeit, tiefe Einblicke
Expertin Dr. Bettina Rulofs, 49, ist Professorin für Sportsoziologie an der Fakultät für Humanund Sozialwissenschaften der Bergischen Universität Wuppertal und forscht zu Gewalt und sexualisierter Gewalt im Sport. Vor fünf Jahren leitete sie, damals
Prof. Dr. Bettina Rulofs forscht seit Jahren zum Thema. an der Sporthochschule Köln, das Forschungsprojekt „Safe Sport“mit dem Uni-klinikum Ulm, in dem Ausmaß und Formen sexualisierter Gewalt im Sport untersucht wurden – bislang die einzige umfangreiche Erhebung dazu in Deutschland. macht“und seien „schon tolle Schritte gegangen“, sagt sie. Tatsächlich sind Fortschritte zu erkennen. Die Reiterliche Vereinigung etwa richtet mit Unterstützung einer Psychologin einen Betroffenenrat ein, der das Thema Aufarbeitung sexualisierter Gewalt angehen soll. Der Deutsche Fechter-bund hat eine eigene Anlaufstelle zur Prävention sexualisierter Gewalt und orientiert sich gemeinsam mit seiner Deutschen Fechterjugend an den Regeln der Deutschen Sportjugend. Kinderund Jugendschutzbeauftragte sollten mittlerweile auch in den kleinsten Vereinen zum Pflichtpersonal gehören.
Zu oft jedoch hören sich erste Reaktionen noch so an: „Ziel des DSV ist es, potenzielle Fälle umfassend aufzuarbeiten und auch zu überprüfen, inwieweit bestehende Strukturen verbessert werden müssen, um zukünftig mehr Sicherheit zu schaffen“. Oder auch: „Der Deutsche Turner-bund hat (...) einen Strukturwandel gefordert.“Das reicht aber nicht. Eine „Kultur des Hinsehens“fordert Maximilian Klein von der Vereinigung Athleten Deutschland. Der 28-Jährige ist Mit-autor eines Impulspapiers, das Ende Februar vorgestellt wurde und sich für eine unabhängige Anlaufstelle stark macht. Es brauche „eine Struktur- und Kulturdebatte gleichermaßen“, sagt Klein.
Diese hat sich seit einem öffentlichen Hearing der Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung im Oktober 2020 intensiviert. Von einer „extrem emotionalen und aufrüttelnden Veranstaltung“spricht Klein. 93 Sportlerinnen und Sportler hatten der Kommission über sexuelle Gewalt im Sport berichtet. Schon damals wies die Kommissions-vorsitzende Sabine Andresen allerdings auch darauf hin, dass man „von einer hohen Dunkelziffer ausgehen“müsse.
Thema im Bundestag
Ende Februar befasste sich der Sportausschuss des Bundestages mit dem Fall Chemnitz. Der Exspitzenturner und heutige Sportpolitiker Eberhard Gienger sagte danach: „Dass der Sport nicht besser und nicht schlechter ist als die Gesellschaft, aus der er hervorgeht, das muss klar sein.“Und doch ist der Tenor oft: Verbände und Vereine allein sind im Umgang mit dem Thema überfordert. „Es stellt sich die Frage: Brauchen wir als Gesellschaft nicht eine Art nationale Strategie gegen Gewalt und Missbrauch im Sport?“, formuliert es Klein.
Andere Länder wie die USA, Kanada oder Australien sind weiter. Dort gibt es bereits unabhängige Anlaufstellen. Beim Kampf gegen die „dunkelsten Seiten, die Schattenseiten des Sports“(Klein) soll solch ein Zentrum auch in Deutschland entstehen. Die ersten Schritte sind getan: Anfang Mai befasst sich der Bundestag mit dem Thema.
Der Sport ist nicht besser und nicht schlechter als die Gesellschaft, aus der er hervorgeht. Eberhard Gienger Ex-weltklasseturner aus Tübingen