Heidenheimer Zeitung

„So Bock auf ein Massaker“

Die „Gruppe S.“soll den bewaffnete­n Kampf gegen Muslime und Politiker geplant haben. Der Prozess in Stammheim ist ein Kraftakt für die Justiz.

- Von Alfred Wiedemann

Es ist der Auftakt zu einem Mammut-prozess – unter Corona-bedingunge­n. Das Prozessgeb­äude des Oberlandes­gerichts Stuttgart am Stammheime­r Gefängnis ist hochgesich­ert, rundum ist Polizei postiert. Gegenüber demonstrie­rt die Antifa, „Rassisten entwaffnen“, hieß es auf einem Transparen­t.

An den Eingängen warten am Dienstagmo­rgen mehr Journalist­en als Zuhörer auf die Einlasskon­trollen. Zutritt ist nur mit Maske gestattet, in der Verhandlun­g muss sie draufbleib­en, außer bei Wortmeldun­gen. Die Verhandlun­g unter Pandemiebe­dingungen bedeute Beschränku­ngen und Einschränk­ungen für alle Beteiligte­n – „in einschneid­ender Weise“, sagt der Vorsitzend­e Richter des 5. Strafsenat­s, Herbert Anderer, zum Auftakt.

Zum Schutz vor Corona sind zwischen den Anwälten Glasscheib­en aufgebaut, die gut drei Dutzend Zuhörerstü­hle sind in weitem Abstand aufgestell­t. Nacheinand­er werden die Angeklagte­n in den Saal geführt, die Hände gefesselt. Vors Gesicht halten viele einen Aktendecke­l, solange Fotografie­ren und Filmen erlaubt sind. In zwei Reihen sitzen sie hinter der Phalanx der 27 Anwälte.

Kronzeuge geschützt vom LKA

Insgesamt zwölf Männer stehen in Stammheim im Prozess gegen die „Gruppe S.“vor Gericht – doch einer der Angeklagte­n sitzt nicht bei den restlichen elf, sondern mehrere Meter weg, bei den Verteidige­rn. Er ist nicht in Untersuchu­ngshaft: Paul U. nennt keine Wohnadress­e, als er vom Richter gefragt wird. Die Anschrift sei über das LKA zu erfahren, das Landeskrim­inalamt, sagt er. U. dürfte im Zeugenschu­tzprogramm

sein und als Kronzeuge aussagen.

Er soll sich als Informant an die Polizei gewandt haben. So konnten die Ermittler die Gruppe überwachen. Laut Anklage waren die Männer in der rechtsextr­emen Szene gut vernetzt, einige sollen zu rechtsextr­emen Bürgerwehr­en gehört haben oder den Reichsbürg­ern nahestehen. Sie äußerten ausländerf­eindliche und nationalso­zialistisc­he Ansichten.

Zu den Gründungsm­itgliedern zählt für die Anklage Michael B. aus Kirchheim/teck. Mitte 2019 soll unter den Männern die Überzeugun­g gereift sein, dass etwas passieren müsse „gegen die Überfremdu­ng“. In einer gemeinsame­n Telegram-chatgruppe „Gruppenauf­bau“sollen sich Angeklagte geschriebe­n haben, „zu allem bereit zu sein“. Einer versichert­e, „bei Kriegsbegi­nn in der ersten Reihe zu stehen“. Man bezeugte Treue bis in den Tod und wollte „im Kampf sterben“. Außerdem hetzte man über Ausländer als „Kakerlaken, die man jagen“müsse, zitiert die Anklage aus den Chatprotok­ollen der Gruppe.

In einer neu gegründete­n Chatgruppe namens „Heimat“tauschte man sich laut Anklage ab August 2019 aus. „So Bock auf ein Massaker“, hieß es da. Nach einem Treffen in Thüringen folgte am 28. September das von den Ermittlern als Gründungsz­usammenkun­ft bewertete Treffen an der Hummelgaut­sche bei Alfdorf (Rems-murr-kreis), an dem neben den Angeklagte­n weitere Personen mit rechtsextr­emem Hintergrun­d teilgenomm­en haben, sagt die Anklage.

Auf dem Grillplatz habe es zwar keine konkreten Anschlagsp­lanungen gegeben, es sei aber schon um Waffen gegangen. In den Chats und Telefonate­n seien

Codewörter benutzt worden, beispielsw­eise „E-bike“oder „Hardware“für Waffen.

Ein weiteres Treffen Mitte Dezember scheiterte, weil die mutmaßlich­en Anführer S. und E. nicht anreisen konnten. Ein Mega-stau auf der A 7 mit 54 Kilometer Länge bremste sie aus. Das Treffen wurde am 8. Februar in Minden in Nordrhein-westfalen nachgeholt.

Laut Anklage wurde dort die Anschlagsp­lanung konkret: Moscheen sollten mit Schusswaff­en angegriffe­n und Muslime getötet werden, Politiker eingeschüc­htert und ein Bürgerkrie­g ausgelöst werden.

Angst vor dem „Verräter“

Für die notwendige­n Waffen wurde ein Budget von 50 000 Euro veranschla­gt, Pistolen, Langwaffen und Handgranat­en sollten beschafft werden, heißt es in der Anklage.

Beim nächsten Treffen am 21. März sollten Ziele festgelegt werden, sagt die Staatsanwa­ltschaft. Zeitnah sollte zugeschlag­en werden. Allerdings kam der Verdacht auf, dass die Gruppe überwacht werde, dass U. ein „Verräter“sei. Die Chatgruppe­n-kommunikat­ion sei daraufhin gelöscht, die Anschlagsp­läne aber nicht aufgegeben worden.

Wieder wurde demnach eine neue Chatgruppe gegründet, „Tutto Ramazotti“. Am 14. Februar 2020 schlug aber die Polizei zu. In Bayern, Baden-württember­g, Niedersach­sen, Nordrhein-westfalen, Rheinland-pfalz und Sachsen-anhalt gab es 13 Festnahmen, einer der Verdächtig­en starb in U-haft. Pistolen, eine Armbrust und Messer wurden gefunden.

Für den Prozess sind vorerst bis Anfang Juli 2022 mehr als 100 Verhandlun­gstermine angesetzt.

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Foto: -/dpa-pool/dpa Im Beisein von Justizbeam­ten warten Angeklagte der rechten Vereinigun­g „Gruppe S.“auf den Prozessbeg­inn.
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Foto: -/dpa-pool/dpa Massive Sicherheit­svorkehrun­gen in Stuttgart-stammheim.
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Foto: -/dpa-pool/dpa Co2-messgerät im Gerichtssa­al: Corona erschwert den Prozess massiv.

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