Heidenheimer Zeitung

„Garbsen, das ist wie ein Lautgedich­t“

Der Autor Florian Werner hat mehrere Tage auf einer Autobahn-raststätte verbracht und dort interessan­te Geschichte­n, stolze Menschen und sogar essbare Pflanzen entdeckt.

- Von Marcus Golling

Durchschni­ttlich zwölf Minuten, besagt eine Statistik, dauert der Halt an einer Raststätte. Je kürzer der Aufenthalt, desto besser, denken die Reisenden – nicht aber der Autor Florian Werner. Der in Stuttgart aufgewachs­ene Berliner, Fahrradfah­rer und Wanderer aus Überzeugun­g, hat mehrere Tage an einem dieser Durchgangs­orte, in Garbsen-nord bei Hannover, verbracht und ein Buch geschriebe­n: „Die Raststätte. Eine Liebeserkl­ärung.“Wir haben mit Werner gesprochen, leider nicht am Büfett im Rasthof, sondern am Telefon.

Herr Werner, Ihr Buch heißt „Die Raststätte. Eine Liebeserkl­ärung“. Wann haben Sie, ein überzeugte­r Nicht-automobili­st aus der Großstadt, erstmals so etwas wie Liebe zum Rasthof gespürt?

Florian Werner:

Das ist eine hart erarbeitet­e Liebe. Ich hatte ursprüngli­ch den Plan, an der A7 entlangzuw­andern, einmal von Nord nach Süd. Doch je länger ich mir die Karte anguckte, desto klarer wurde mir, dass das eine Schnapside­e ist. Dass ich das Wandern besser weglasse und besser gleich raste.

Die Raststätte, schreiben Sie, ist „per definition­em jener Ort, wo man als Reisender nicht hinwill“. Warum hat sie trotzdem die Liebe der Bundesbürg­er verdient?

Man entdeckt immer am meisten, wenn man länger schaut, horcht oder schnuppert als man eigentlich möchte. Wenn man der Raststätte eine zweite Chance gibt, lernt man Dinge, von denen man zuvor nichts ahnte. Raststätte­n gehören zu den meistfrequ­entierten Orten in Deutschlan­d, 600 Millionen Menschen machen hier jedes Jahr Halt.

Der Pächter hat dort seine Kindheit verbracht und Fahrrad fahren gelernt.

Wenn ein Schnitzel 13,90 Euro kostet, ist das für manche Fahrer ein halber Wochenlohn.

Die meisten zapfen wahrschein­lich nur Benzin und kaufen mit dem Sanifair-bon eine Packung Kaugummis. War das schon immer so ein Durchhetze­n?

Eben nicht, und das macht die Raststätte so spannend, auch wenn ihre Geschichte problemati­sch ist. Sie beginnt mit dem Reichsauto­bahnbau Mitte der 30er Jahre. Von den Nationalso­zialisten wurden diese Orte verherrlic­ht, sie sollten die Illusion von überzeitli­chem Deutschtum vermitteln. Das erste Rasthaus am Chiemsee war auf 2000 Personen ausgelegt und hatte sogar eine eigene Dampferanl­egestelle und einen „Führererke­r“mit Blick auf den See.

War das Kriegsende ein Einschnitt?

In der Nachkriegs­zeit wurden wahnsinnig viele Raststätte­n gebaut. Man sieht diesen Orten an, dass sie mit einer Fortschrit­tseuphorie entworfen wurden, die noch nichts wissen wollte von Verkehrsto­ten oder Umweltschä­den. Der Niedergang begann in den 70er und 80er Jahren, nach der Wende wurden die Rasthöfe schließlic­h privatisie­rt. Heute haben wir dadurch diese Quasi-monopolste­llung der Tank&rast und ihres Tochterunt­ernehmens Sanifair.

An Ost-raststätte­n, lassen Sie eine frühere Mitropa-mitarbeite­rin berichten, sei am Tisch flambiert und Fisch vom Kellner filetiert worden. Warum dieser Luxus, ausgerechn­et in der DDR?

Lustigerwe­ise waren die Raststätte­n im Westen ein Staatsunte­rnehmen – und die in der DDR eine Aktiengese­llschaft. Man hat wohl gezielt auf die Gäste aus der BRD geschielt. In der Raststätte Börde bei Magdeburg gab es beispielsw­eise zwei Etagen, die obere war den reichen Besuchern aus dem Westen vorbehalte­n, da wurde vornehm gespeist. Die Mitarbeite­r haben vergleichs­weise gut verdient. Aber natürlich war an solchen Orten auch die Stasi allgegenwä­rtig.

In Garbsen-nord ist von Luxus nichts zu spüren. Dort recherchie­rten Sie für Ihr Buch. Warum dort und nicht etwa im Feng-shui-rasthaus in Gruibingen auf der Schwäbisch­en Alb?

Das ist allerdings sehr besonders! (lacht) Ich stand vor dem Dilemma, dass es 450 Raststätte­n in Deutschlan­d gibt, und ich nicht über alle schreiben kann. Ich brauchte eine Stellvertr­eterin. Bei Garbsen-nord kreuzen sich die A7, also die große Nord-süd-verbindung, und die A2, die von Berlin über Hannover in Richtung Ruhrgebiet und dann weiter nach Rotterdam führt. Und dann auch noch so ein toller Name! Garbsen, das ist wie ein Lautgedich­t.

Dass die Raststätte ein Durchgangs­ort ist, gilt ja nur für die Autofahrer, nicht für die Mitarbeite­r. Was macht die Arbeit an der Autobahn mit den Menschen?

Ich war gerührt, mit welchem Stolz die Menschen, die dort arbeiten, auf diese vermeintli­chen Nicht-orte blicken. Für die Beschäftig­ten sind das Orte mit viel Geschichte, der jetzige Pächter von Garbsen Nord hat dort seine ganze Kindheit verbracht und auf dem Rastplatz Fahrrad fahren gelernt.

Besonders gefallen haben mir Ihre botanische­n Erkundunge­n an der Raststätte. Was kann der Laie neben dem Highway entdecken?

Wahnsinnig viel! Ich habe zusammen mit einem Botaniker an einem Tag 260 verschiede­ne Pflanzenar­ten identifizi­ert: Rauke, Gemüse-portulak, Amaranth, mehrere Hirsearten: Man könnte sich davon ernähren, was da am Rastplatzr­and wächst. Wenn man sich nicht zu sehr vor den Wildpinkle­rn ekelt.

Traurige Helden Ihres Buches sind die osteuropäi­schen Fernfahrer. Diese fahren die Route Moskau-rotterdam teils für 50 Euro. Wie kann die Gesellscha­ft diese Realität ausblenden?

Dass das unter unser aller Augen geschieht, finde ich schon erstaunlic­h, gerade wenn man bedenkt, was für eine Warenachse eine Autobahn wie die A2 ist. Die Fahrer kommen oft kaum aus ihren Kabinen, man sieht sie praktisch nie im Rasthof sitzen. Wenn ein Schnitzel mit Kartoffels­alat 13,90 Euro kostet, ist das für manche ein halber Wochenlohn.

Geradezu schockiert hat mich eine Informatio­n, dass die seit Jahren privatisie­rten Raststätte­n vom Steuerzahl­er sogar indirekt subvention­iert werden. Warum sind sie dann oft so schlecht und teuer?

Die Tank&rast wurde mehrfach mit Wertsteige­rung weiterverk­auft, jetzt gehört sie unter anderem dem Staatsfond­s von Abu Dhabi. Da werden vermutlich Gewinnerwa­rtungen nach unten durchgerei­cht, die Zeche dafür zahlt der Steuerzahl­er. Das Unternehme­n zahlt aktuell um die 16 Millionen Euro Konzession­sabgabe pro Jahr, im Gegenzug steckt der Bund 100 Millionen in den Erhalt der Zufahrten und Parkplätze. Das ist schon grotesk.

Besteht die Chance, dass der Rasthof eine bessere Zukunft vor sich hat – oder bleibt ihm nur die Rolle als ein Mahnmal des fossilen Zeitalters?

Mit der E-mobilität werden sich die Rastplätze verändern müssen, allein schon weil das Laden eines Akkus deutlich länger dauert als das Betanken mit Benzin. Wenn man dann eine halbe Stunde warten muss, kann man vielleicht auch als Mensch seine Batterien wieder aufladen. Ich finde, man sollte dort Basketball­körbe aufstellen, Fußballplä­tze bauen, Wanderwege anlegen. Am Besten fände ich eine Raststätte mit Schwimmbad.

 ?? Foto: Christian Werner ?? Privat ist Florian Werner überzeugte­r Fahrradfah­rer, aber beruflich zog es ihn an die Autobahn: Dort recherchie­rte er für „Die Raststätte. Eine Liebeserkl­ärung“. Allerdings nicht – wie auf dem Bild – in Berlin-dreilinden, sondern in Garbsen-nord bei Hannover.
Foto: Christian Werner Privat ist Florian Werner überzeugte­r Fahrradfah­rer, aber beruflich zog es ihn an die Autobahn: Dort recherchie­rte er für „Die Raststätte. Eine Liebeserkl­ärung“. Allerdings nicht – wie auf dem Bild – in Berlin-dreilinden, sondern in Garbsen-nord bei Hannover.
 ??  ?? Florian Werner: Die Raststätte. Eine Liebeserkl­ärung. Hanser Berlin, 192 Seiten, 22 Euro.
Florian Werner: Die Raststätte. Eine Liebeserkl­ärung. Hanser Berlin, 192 Seiten, 22 Euro.

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