„Garbsen, das ist wie ein Lautgedicht“
Der Autor Florian Werner hat mehrere Tage auf einer Autobahn-raststätte verbracht und dort interessante Geschichten, stolze Menschen und sogar essbare Pflanzen entdeckt.
Durchschnittlich zwölf Minuten, besagt eine Statistik, dauert der Halt an einer Raststätte. Je kürzer der Aufenthalt, desto besser, denken die Reisenden – nicht aber der Autor Florian Werner. Der in Stuttgart aufgewachsene Berliner, Fahrradfahrer und Wanderer aus Überzeugung, hat mehrere Tage an einem dieser Durchgangsorte, in Garbsen-nord bei Hannover, verbracht und ein Buch geschrieben: „Die Raststätte. Eine Liebeserklärung.“Wir haben mit Werner gesprochen, leider nicht am Büfett im Rasthof, sondern am Telefon.
Herr Werner, Ihr Buch heißt „Die Raststätte. Eine Liebeserklärung“. Wann haben Sie, ein überzeugter Nicht-automobilist aus der Großstadt, erstmals so etwas wie Liebe zum Rasthof gespürt?
Florian Werner:
Das ist eine hart erarbeitete Liebe. Ich hatte ursprünglich den Plan, an der A7 entlangzuwandern, einmal von Nord nach Süd. Doch je länger ich mir die Karte anguckte, desto klarer wurde mir, dass das eine Schnapsidee ist. Dass ich das Wandern besser weglasse und besser gleich raste.
Die Raststätte, schreiben Sie, ist „per definitionem jener Ort, wo man als Reisender nicht hinwill“. Warum hat sie trotzdem die Liebe der Bundesbürger verdient?
Man entdeckt immer am meisten, wenn man länger schaut, horcht oder schnuppert als man eigentlich möchte. Wenn man der Raststätte eine zweite Chance gibt, lernt man Dinge, von denen man zuvor nichts ahnte. Raststätten gehören zu den meistfrequentierten Orten in Deutschland, 600 Millionen Menschen machen hier jedes Jahr Halt.
Der Pächter hat dort seine Kindheit verbracht und Fahrrad fahren gelernt.
Wenn ein Schnitzel 13,90 Euro kostet, ist das für manche Fahrer ein halber Wochenlohn.
Die meisten zapfen wahrscheinlich nur Benzin und kaufen mit dem Sanifair-bon eine Packung Kaugummis. War das schon immer so ein Durchhetzen?
Eben nicht, und das macht die Raststätte so spannend, auch wenn ihre Geschichte problematisch ist. Sie beginnt mit dem Reichsautobahnbau Mitte der 30er Jahre. Von den Nationalsozialisten wurden diese Orte verherrlicht, sie sollten die Illusion von überzeitlichem Deutschtum vermitteln. Das erste Rasthaus am Chiemsee war auf 2000 Personen ausgelegt und hatte sogar eine eigene Dampferanlegestelle und einen „Führererker“mit Blick auf den See.
War das Kriegsende ein Einschnitt?
In der Nachkriegszeit wurden wahnsinnig viele Raststätten gebaut. Man sieht diesen Orten an, dass sie mit einer Fortschrittseuphorie entworfen wurden, die noch nichts wissen wollte von Verkehrstoten oder Umweltschäden. Der Niedergang begann in den 70er und 80er Jahren, nach der Wende wurden die Rasthöfe schließlich privatisiert. Heute haben wir dadurch diese Quasi-monopolstellung der Tank&rast und ihres Tochterunternehmens Sanifair.
An Ost-raststätten, lassen Sie eine frühere Mitropa-mitarbeiterin berichten, sei am Tisch flambiert und Fisch vom Kellner filetiert worden. Warum dieser Luxus, ausgerechnet in der DDR?
Lustigerweise waren die Raststätten im Westen ein Staatsunternehmen – und die in der DDR eine Aktiengesellschaft. Man hat wohl gezielt auf die Gäste aus der BRD geschielt. In der Raststätte Börde bei Magdeburg gab es beispielsweise zwei Etagen, die obere war den reichen Besuchern aus dem Westen vorbehalten, da wurde vornehm gespeist. Die Mitarbeiter haben vergleichsweise gut verdient. Aber natürlich war an solchen Orten auch die Stasi allgegenwärtig.
In Garbsen-nord ist von Luxus nichts zu spüren. Dort recherchierten Sie für Ihr Buch. Warum dort und nicht etwa im Feng-shui-rasthaus in Gruibingen auf der Schwäbischen Alb?
Das ist allerdings sehr besonders! (lacht) Ich stand vor dem Dilemma, dass es 450 Raststätten in Deutschland gibt, und ich nicht über alle schreiben kann. Ich brauchte eine Stellvertreterin. Bei Garbsen-nord kreuzen sich die A7, also die große Nord-süd-verbindung, und die A2, die von Berlin über Hannover in Richtung Ruhrgebiet und dann weiter nach Rotterdam führt. Und dann auch noch so ein toller Name! Garbsen, das ist wie ein Lautgedicht.
Dass die Raststätte ein Durchgangsort ist, gilt ja nur für die Autofahrer, nicht für die Mitarbeiter. Was macht die Arbeit an der Autobahn mit den Menschen?
Ich war gerührt, mit welchem Stolz die Menschen, die dort arbeiten, auf diese vermeintlichen Nicht-orte blicken. Für die Beschäftigten sind das Orte mit viel Geschichte, der jetzige Pächter von Garbsen Nord hat dort seine ganze Kindheit verbracht und auf dem Rastplatz Fahrrad fahren gelernt.
Besonders gefallen haben mir Ihre botanischen Erkundungen an der Raststätte. Was kann der Laie neben dem Highway entdecken?
Wahnsinnig viel! Ich habe zusammen mit einem Botaniker an einem Tag 260 verschiedene Pflanzenarten identifiziert: Rauke, Gemüse-portulak, Amaranth, mehrere Hirsearten: Man könnte sich davon ernähren, was da am Rastplatzrand wächst. Wenn man sich nicht zu sehr vor den Wildpinklern ekelt.
Traurige Helden Ihres Buches sind die osteuropäischen Fernfahrer. Diese fahren die Route Moskau-rotterdam teils für 50 Euro. Wie kann die Gesellschaft diese Realität ausblenden?
Dass das unter unser aller Augen geschieht, finde ich schon erstaunlich, gerade wenn man bedenkt, was für eine Warenachse eine Autobahn wie die A2 ist. Die Fahrer kommen oft kaum aus ihren Kabinen, man sieht sie praktisch nie im Rasthof sitzen. Wenn ein Schnitzel mit Kartoffelsalat 13,90 Euro kostet, ist das für manche ein halber Wochenlohn.
Geradezu schockiert hat mich eine Information, dass die seit Jahren privatisierten Raststätten vom Steuerzahler sogar indirekt subventioniert werden. Warum sind sie dann oft so schlecht und teuer?
Die Tank&rast wurde mehrfach mit Wertsteigerung weiterverkauft, jetzt gehört sie unter anderem dem Staatsfonds von Abu Dhabi. Da werden vermutlich Gewinnerwartungen nach unten durchgereicht, die Zeche dafür zahlt der Steuerzahler. Das Unternehmen zahlt aktuell um die 16 Millionen Euro Konzessionsabgabe pro Jahr, im Gegenzug steckt der Bund 100 Millionen in den Erhalt der Zufahrten und Parkplätze. Das ist schon grotesk.
Besteht die Chance, dass der Rasthof eine bessere Zukunft vor sich hat – oder bleibt ihm nur die Rolle als ein Mahnmal des fossilen Zeitalters?
Mit der E-mobilität werden sich die Rastplätze verändern müssen, allein schon weil das Laden eines Akkus deutlich länger dauert als das Betanken mit Benzin. Wenn man dann eine halbe Stunde warten muss, kann man vielleicht auch als Mensch seine Batterien wieder aufladen. Ich finde, man sollte dort Basketballkörbe aufstellen, Fußballplätze bauen, Wanderwege anlegen. Am Besten fände ich eine Raststätte mit Schwimmbad.