Gesamte Nato verlässt Afghanistan
Nach dem Vorpreschen der USA ziehen die Bündnispartner nach.
Brüssel. Die Nato leitet das Ende ihres Einsatzes in Afghanistan ein. Das hat die Deutsche Presse-agentur am Mittwochabend nach einer Videokonferenz der Außen- und Verteidigungsminister der 30 Bündnisstaaten von Diplomaten erfahren.
Us-präsident Joe Biden hatte zuvor ankündigen lassen, dass die USA als größter Truppensteller in Afghanistan ihre Soldaten
nach 20 Jahren zum 11. September nach Hause holen. Das ist der 20. Jahrestag der Terroranschläge von New York und Washington.
Für die Partner wäre eine Fortführung des Einsatzes deswegen nur noch mit erheblichen Zusatzkosten und Risiken möglich gewesen. Der Rückzug der Nato dürfte die den Islamisten verhassten Frauenrechte und die Freiheit der Medien in dem Land schwächen.
Zurzeit sind 10 000 reguläre Soldaten aus Nato-ländern und Partnernationen in Afghanistan, davon 1100 aus Deutschland. Sie sollen die demokratisch gewählte Regierung durch die Ausbildung und Beratung von Sicherheitskräften in ihrem Kampf gegen islamistische Extremisten wie die Taliban unterstützen. Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-karrenbauer hatte vor der Nato-vidoekonferenz klar gemacht, dass der Abzug der Us-soldaten zwingend den Abzug der Bundeswehr nach sich zieht. „Wir haben immer gesagt: Wir gehen gemeinsam rein, wir gehen gemeinsam raus.“
Ein langes, quälendes Kapitel der internationalen Sicherheitspolitik neigt sich dem Ende zu: Die internationalen Truppen verlassen nach 20 Jahren Afghanistan. Aus dem langen Einsatz lassen sich drei Lehren ziehen.
Zum ersten eine positive: Die Nato funktioniert. In der schwersten Stunde der USA standen die Mitgliedstaaten zusammen und gingen gegen die Terrorplaner des 11. September vor.
Die zweite Lehre ist weniger erbaulich: Demokratie lässt sich nicht exportieren. Der Versuch, ein tief in althergebrachten Strukturen verankertes Land binnen weniger Jahre in die Moderne zu katapultieren, ist gescheitert. Gleichwohl ist in dieser Zeit eine Generation junger Menschen durch die Schule gegangen, haben Frauen erlebt, was es heißt, in einer Gesellschaft Rechte zu haben. Für Afghanistan ist das ein riesiger Fortschritt – und eine Pflanze, die Früchte tragen kann.
Die dritte Lehre jedoch ist desaströs: Wenn die internationalen Truppen weg sind, werden die Taliban wiederkommen. Dass sie einen Frieden nur zu ihren Bedingungen akzeptieren, haben sie bereits klar gemacht.
War der Einsatz also umsonst? Nein. Die Terrorgefahr aus Afghanistan ist tatsächlich gesunken. Und es gibt immerhin die Hoffnung, dass die Taliban nicht erneut Terrorgruppen Unterschlupf gewähren werden. Schließlich hängt ihr Land am finanziellen Tropf der Weltgemeinschaft; sie werden es sich nicht ewig leisten können, als Paria angesehen zu werden. Falls doch, droht ihnen der Absturz als zweites Libyen, als gescheiterter Staat im Griff ausländischer Mächte. Spätestens dann wird sich die Frage stellen, ob sich dort noch einmal jemand die Finger verbrennen will.