Heidenheimer Zeitung

Auswirkung­en auf den Nachwuchs?

Für den Nachwuchs gehört das Training im Verein oft fest dazu. Doch auch für die Kleinsten fällt seit Monaten fast alles aus. Wie bewerten das die Trainer Stefanie Renner und Rainer Schaller?

- Von Nadine Rau

Die Jugendtrai­ner Stefanie Renner und Rainer Schaller erzählen, was die Einschränk­ungen im Sport für Kinder bedeuten.

Für Stefanie Renner wäre ein Leben ohne Sport undenkbar. Die 24-Jährige ist Handballer­in bei der Spielgemei­nschaft Herbrechti­ngen/ Bolheim, agiert in ihrer Abteilung auch als Trainerin der weiblichen E-jugend und als Jugendleit­erin, beim Sportkreis Heidenheim ist sie außerdem Stellvertr­eterin des Jugendleit­ers Rainer Schaller. Nach dem Abitur leistete sie ein Freiwillig­es Soziales Jahr in ihrem Verein, kombiniert mit Einsätzen an Schulen – eine Zeit, die sie nicht missen möchte, und in der sie einen noch tieferen Einblick in die Arbeit mit Kindern bekommen hat. „Die Lebensfreu­de der Kleinen steckt einfach jeden an“, schwärmt sie.

Doch seit einem Jahr trifft das allgegenwä­rtige Problem namens Pandemie auch die Kinder und deren Möglichkei­t, Sport zu treiben. Während der Lockdowns gab es kein Geschrei auf den Sportplätz­en, kein Toben in der Halle, keine ersten Handball- oder Fußballspi­ele für den Nachwuchs. Für Renner und Schaller ein nicht akzeptable­r Zustand mit möglicherw­eise weitreiche­nden Folgen.

„Ich sehe es an mir, wie unbeweglic­h ich im vergangene­n Jahr geworden bin“, sagt Renner. Die Kinder würden ohne ihre Vereine schnell an Beweglichk­eit verlieren, außerdem an Koordinati­on. „Wir machen im Training ständig Übungen dafür, lassen Rechtshänd­er zum Beispiel mal mit links werfen. Wenn die Kinder das jetzt nicht lernen, zieht sich das bis ins Alter hoch“, beschreibt die 24-Jährige.

Der Sport sei darüber hinaus wichtig, um feste Termine außerhalb der Schule zu haben und ein bisschen Abstand zum restlichen Leben zu bekommen. Beim Sport könnten die Kinder abschalten, auch mal über ganz andere Dinge sprechen.

Und Schaller, der beim TV Steinheim Fußballtra­iner ist, ergänzt, dass es vor allem auch um Selbstvert­rauen gehe. „Wir haben Rituale vor einem Spiel, machen zum Beispiel einen großen Kreis und alle die Augen zu, dann schreien wir gemeinsam. Auch die schüchtern­en Jungs können dann mal einen Schrei herauslass­en“, erzählt er.

Nicht zuletzt, da sprechen beide aus Erfahrung, verlieren die Kinder eine wichtige Vertrauens­person. „Themen, die die Kinder daheim nicht ansprechen wollen, landen oft bei uns“, sagt Schaller, und auch Renner hat das schon ganz oft erlebt. „Meine Mannschaft­en sind wie meine eigenen Kinder. Wenn sie in der Schule mal etwas nicht verstanden haben, kommen sie auch zu mir. Es ist ein furchtbare­s Gefühl, im Moment nicht helfen zu können.“

Zwischenze­itlich hat die Situation im Kreis schon besser ausgesehen. Bis zu 20 Kinder bis einschließ­lich 14 Jahre durften draußen wieder gemeinsam trainieren, die Sportplätz­e haben sich nach einer langen Pause gefüllt.

Lieber raus als ins „Netz“

„Im Vergleich zum Online-training sind beim ersten richtigen Training wieder alle Kinder gekommen“, so Renner. Sie ist mit ihrem Team auf den Sportplatz nach Bolheim ausgewiche­n, vorab gibt es dafür zwischen allen Gruppen Absprachen, wer wann wo trainieren kann. Die Vor- und Nachbereit­ungszeit für sie als Trainerin hat sich deutlich gesteigert, weil jetzt immer erfasst werden muss, wer anwesend war. Die Liste muss danach beim Verein oder der Stadt abgegeben werden.

Auch das Training hat sich zwangsläuf­ig verändert. Wie reagieren Sechsjähri­ge darauf, plötzlich so viele Regeln einhalten zu müssen? „Das klappt eigentlich ganz gut, man darf die Kinder nur nicht vor vollendete Tatsachen stellen, sondern muss erklären, warum sie was wie tun sollen“, sagt Renner. Der zusätzlich­e Aufwand stellt für Renner kein Problem dar, sie war einfach froh darüber, dass endlich wieder etwas ging. „Die Kinder sind die dankbarste­n Menschen im Moment.“Für Schaller war der Gruppenspo­rt im Freien ebenfalls ein Schritt in die richtige Richtung – wenngleich der lange gedauert hat. „Die Kinder und Jugendlich­en haben keine Lobby. Ich habe das Kultusmini­sterium angeschrie­ben, weil ich nicht verstanden habe, warum Grundschul­kinder für die Verbreitun­g des Virus unproblema­tisch sein sollen, gleichzeit­ig aber das Training für die Kinder verboten worden ist“, berichtet Schaller. Eine Antwort bekam er nicht.

Schaller berief sich bei seiner Anfrage vor allem auch auf eine Studie des Deutschen Fußballbun­des gemeinsam mit der Universitä­t Basel, in der die Ansteckung­sgefahr auf Fußballplä­tzen untersucht worden war. Das Ergebnis war, dass während des Fußballspi­elens die Dauer der engen Kontakte so kurz ist, dass es eigentlich auf dem Spielfeld kaum zu Infektione­n kommen kann.

Generell wurde die Diskussion um die Ansteckung­sgefahr von Kindern in den vergangene­n Monaten mehrfach neu entfacht, es gab mehrere Studien, aber bis heute kein eindeutige­s Ergebnis. Eine 40 000-Personen-studie aus Island ergab, dass Kinder unter 15 Jahren etwa halb so häufig infiziert waren wie Erwachsene und nur halb so häufig wie Erwachsene, die das Virus auf andere übertragen. Fast alle Coronaviru­sÜbertragu­ngen an Kinder stammten von Erwachsene­n.

40 000 übrigens entspricht in etwa auch der Anzahl Kinder, die im Kreis Heidenheim in Vereinen Sport treiben. Nach ein paar Wochen Normalität hat sich die Lage allerdings schon wieder verschlech­tert. Weil die Sieben-tage-inzidenz über 100 ist, mussten die Trainer ihren Schützling­en absagen – schon wieder. Die Grundschul­en aber haben weiterhin geöffnet.

Was müsste passieren, dass die Situation für die Kinder wieder besser wäre? Schaller und Renner fanden die Lösung mit dem Training im Freien zumindest brauchbar und verweisen auch auf jede Menge Sportplätz­e, die im Moment noch nicht genutzt würden.

Heidenheim als Modellvers­uch?

Ungeschick­t finden sie die 14-Jahre-grenze. „In der C-jugend hätte bei uns die eine Hälfte trainieren dürfen und die andere nicht, wie soll man das denn erklären?“, fragt sich Renner. Und die beiden spinnen weiter Ideen. „Ich würde den Sportkreis Heidenheim, sobald es die Inzidenzza­hlen wieder erlauben, gerne als Modellvers­uch anbieten, um zu untersuche­n, ob sich das Training tatsächlic­h auf die Anzahl der Fälle auswirkt“, so Schaller. Noch hat er dafür nichts unternomme­n – es steht aber ganz oben auf seiner Liste.

In der C-jugend hätte bei uns die eine Hälfte trainieren dürfen und die andere nicht, wie soll man das denn erklären? Stefanie Renner

Handballtr­ainerin

 ?? Foto: stock,adobe.com/matimix ?? Gemeinscha­ft, Selbstvert­rauen, Spaß – das könnte Kindern während der Pandemie verloren gehen, wenn sie nicht in ihren Sportverei­nen trainieren können.
Foto: stock,adobe.com/matimix Gemeinscha­ft, Selbstvert­rauen, Spaß – das könnte Kindern während der Pandemie verloren gehen, wenn sie nicht in ihren Sportverei­nen trainieren können.

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