Heidenheimer Zeitung

Kommando zurück am Hindukusch

Der Abzug der internatio­nalen Truppen wird dramatisch­e Folgen haben: Nicht nur für das Land, sondern auch für die Nato und die Bundeswehr.

- Von Ellen Hasenkamp und Stefan Kegel

Seit 20 Jahren versuchen internatio­nale Truppen, in Afghanista­n eine erneute Machtübern­ahme der radikalisl­amischen Taliban zu verhindern. Nun hat Us-präsident Joe Biden den Abzug der Us-truppen aus dem südasiatis­chen Land angekündig­t. Was bedeutet das?

Warum sind die Bundeswehr und andere Truppen überhaupt dort?

Nach den Anschlägen am 11. September 2001 war schnell klar, wer dahinterst­eckte: die Terrororga­nisation Al-kaida des saudischen Millionärs Osama bin Laden. Sein Versteck waren die Berghöhlen von Tora Bora im Osten Afghanista­ns, das unter dem islamische­n Schreckens­regime der Taliban stand. Zusammen mit anderen Nato-verbündete­n entmachtet­en die USA die Taliban, es folgten mehrere Nato-geführte Missionen, um das Land zu stabilisie­ren.

Dennoch erstarkten die Taliban wieder. Ein unter Us-präsident Donald Trump ausgehande­ltes Abkommen sah den Abzug der internatio­nalen Truppen bis Ende April sowie Friedensve­rhandlunge­n zwischen afghanisch­er Regierung und Taliban vor. Nun soll der Abzug bis September abgeschlos­sen sein.

Was bedeutet der Abzug für die USA?

Der Blutzoll Amerikas war hoch: 2300 Us-soldaten ließen ihr Leben. „Wir wissen seit langem, dass es keine militärisc­he Lösung für die Probleme gibt, die Afghanista­n plagen“, sagt ein Vertreter des Nationalen Sicherheit­srates der USA. Nun müsse der Friedenspr­ozess auf diplomatis­cher Ebene unterstütz­t werden.

Das Argument für den Rückzug ist nüchtern: Die Bedrohung für die Sicherheit der USA von Afghanista­n aus sei „nicht Null, aber im Moment ist sie kleiner als in anderen Teilen der Welt“, erläuterte der Vorsitzend­e des Us-geheimdien­stausschus­ses Adam B. Schiff.

Wie geht die Nato mit dem Abzug um?

„Gemeinsam rein – gemeinsam raus“: Das war über Jahre das Leitmotiv der Nato. Mit dem Abzug bis zum 11. September wollen die USA den Verbündete­n offenbar die nötige Zeit geben, sich anzupassen und einen schlecht koordinier­ten Abzug vermeiden.

Die Nato habe mit ihrem Einsatz in Afghanista­n viel erreicht, sagt der Spd-außenexper­te Nils Schmid. „Wir müssen uns nun aber dafür einsetzen, dass die politische­n Errungensc­haften der vergangene­n 20 Jahre nicht preisgegeb­en werden.“Dazu zählt er zum Beispiel die Rechte von Frauen, die Einführung eines Wahlsystem­s – und den Schulbesuc­h von Kindern. Heute gehen dort 9,2 Millionen Kinder zur Schule, zehnmal mehr als 2001. Es sei entscheide­nd, dass es zu einem Friedensve­rtrag komme.

Was heißt der Abzug für die Bundeswehr?

Erst vor wenigen Wochen hatte der Bundestag das Mandat für den deutschen Einsatz erneut verlängert und zwar für zehn Monate. Es handelte sich aber eher um eine Art Vorsorgebe­schluss, der Abzug der USA stand schon damals im Raum. Nun also geht es tatsächlic­h früher raus aus dem Land am Hindukusch.

Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-karrenbaue­r (CDU) sagte am Mittwochmo­rgen, dass Deutschlan­d seine Planungen mit denen der USA „synchronis­ieren“werde. Was nichts anderes heißt als: Am 11. September wird auch die Bundeswehr draußen sein. Die Vorbereitu­ngen für einen möglichen Abzug der deutschen Truppen laufen schon länger. Noch sind rund tausend deutsche Soldaten vor Ort.

Für die Bundeswehr geht ihr wohl prägendste­r Einsatz zu Ende: 59 deutsche Soldaten ließen in Afghanista­n ihr Leben, 35 von ihnen starben bei Gefechten oder Anschlägen. Das Wort „Gefallene“hielt Einzug in die deutsche Politik.

Wie geht es nun weiter in Afghanista­n?

Viele Menschen vor Ort und viele Beobachter befürchten das Schlimmste. Sie gehen davon aus, dass die mühsamen Erfolge der vergangene­n Jahre zum Beispiel in Sachen Frauenrech­te, Schulbildu­ng und Meinungsvi­elfalt nach Abzug der internatio­nalen Truppen zunichtege­macht werden und auch die Gewalt weiter zunehmen wird.

Die Un-mission in Afghanista­n meldete am Mittwoch erneut ernüchtern­de Zahlen: Danach wurden in den ersten drei Monaten des Jahres 573 Zivilisten getötet und 1210 verletzt – 29 Prozent mehr als im ersten Quartal 2020. „Die bittere Erfahrung der Vergangenh­eit wird sich wiederhole­n“, schwant dem afghanisch­en Parlaments­präsidente­n Mir Rahman Rahmani.

Auch die Bundesregi­erung hatte erst vor wenigen Wochen für eine Verlängeru­ng des Einsatzes mit dem Argument geworben, man dürfe das bisher Erreichte nicht aufs Spiel setzen.

 ?? Foto: Grovert Fuentes-contreras/dpa ?? Zwei Us-soldaten begrüßen sich in Afghanista­n: Bis zum 11. September sollen die Us-truppen das Land verlassen haben.
Foto: Grovert Fuentes-contreras/dpa Zwei Us-soldaten begrüßen sich in Afghanista­n: Bis zum 11. September sollen die Us-truppen das Land verlassen haben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany