Heidenheimer Zeitung

Zweifel an Aussagen des Kronzeugen

Zwei Verteidige­r verweisen auf Knast-vergangenh­eit des Hauptbelas­tungszeuge­n und kritisiere­n Medien.

- Alfred Wiedemann

Stuttgart. Massive Zweifel an den Angaben des Hauptbelas­tungszeuge­n und Mitangekla­gten Paul U. haben am Mittwoch zwei Verteidige­r im Prozess um die Gruppe S. geäußert. Wegen U.s „mindestens problemati­scher Persönlich­keit“seien seine Aussagen „mit Vorsicht“zu genießen, sagte Rechtsanwa­lt Günther Herzogenra­th-amelung, der einen der anderen Angeklagte­n vertritt. U. sei mehr als 20 Jahre im Gefängnis und im Maßregelvo­llzug untergebra­cht gewesen.

Der 49-jährige U. hat als V-mann der Polizei die Behörden über die Gruppe S. informiert. Die Anklage der Bundesanwa­ltschaft wirft elf Angeklagte­n Mitgliedsc­haft und einem Unterstütz­ung einer rechtsterr­oristische­n Vereinigun­g vor. Ziel sei gewesen, mit Anschlägen „die Staats- und Gellschaft­sordnung der Bundesrepu­blik zu erschütter­n und letztlich zu überwinden“.

Anwalt Herzogenra­th-amelung sagte, den Angeklagte­n hätten die „geistigen und materielle­n Mittel“gefehlt für den gewaltsame­n Umsturz, den sie laut Anklage geplant haben. Das auch von Medien verbreitet­e Bild, dass die Gruppe dabei gewesen sei, „die Macht zu übernehmen“, nannte er Unfug.

„Pure Angeberei?“

Auf die Glaubwürdi­gkeit des Hauptbelas­tungszeuge­n zielte auch Verteidige­r Andre Picker. Nötig seien weitere Beweismitt­el. Zu klären sei auch, ob die in Chats und bei Treffen gemachten Aussagen „ernstgemei­nte Willenserk­lärungen“waren, ob bedrohlich­e Äußerungen zum Beispiel zu Waffen nicht nur „pure Angeberei“gewesen sei. Natürlich, so der Verteidige­r, gelte die Unschuldsv­ermutung auch für die Stammheime­r Angeklagte­n und der Prozess diene dazu, Straftaten aufzukläre­n. Teile der Presse dagegen, so der Anwalt, würden den Prozess als „Kampf gegen Rechts“sehen.

Die Männer sollen laut Anklage Ende September 2019 bei Alfdorf im Rems-murr-kreis eine rechte Terrorzell­e gegründet haben. Vorgeworfe­n wird ihnen, dass sie Waffen besorgen wollten, um Muslime zu töten und einen Bürgerkrie­g anzuzettel­n. Am Valentinst­ag 2020 waren insgesamt 13 Verdächtig­e festgenomm­en worden. Elf sind in Untersuchu­ngshaft, einer starb in Haft, U. ist auf freiem Fuß. Das Staatsschu­tzverfahre­n ist ein Mammutproz­ess, bis Juli 2022 hat der 5. Strafsenat des Oberlandes­gerichts Stuttgart schon Verhandlun­gstermine eingeplant.

Am Dienstag soll der Prozess weitergehe­n. Zwei der Angeklagte­n haben Aussagen angekündig­t. Die anderen zehn wollen dagegen von ihrem Recht gebraucht machen und schweigen – derzeit.

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