Heidenheimer Zeitung

Eine Frage des Gewissens

Ein weltgeschi­chtlicher Auftritt: Vor 500 Jahren weigerte sich Martin Luther auf dem Reichstag zu Worms, seine Kritik am Papst zu widerrufen – die Reformatio­n war nicht mehr aufzuhalte­n.

- Von Jürgen Kanold

Wie würde das politische Großereign­is heute ablaufen? Viele tausende Sicherheit­skräfte riegelten die Stadt weiträumig ab, um die tagenden Regierungs­chefs vor Ausschreit­ungen gewalttäti­ger Demonstran­ten zu schützen. Nachrichte­nsender aus allen Teilen der Erde säumten mit ihren Satelliten-übertragun­gswagen die Straßen und Plätze. Aber verglichen mit dem, was vor 500 Jahren in Worms am Rhein passierte, ist zum Beispiel ein G7-gipfel bezüglich seiner weltgeschi­chtlichen Folgen eher ein Kindergebu­rtstag.

Auf dem Reichstag in Worms trat Martin Luther am 17. und 18. April 1521 vor Karl V., den 21-jährigen erwählten Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Die deutschen Lande aber waren im Aufruhr, seit der Augustiner­mönch und Theologe 1517 in Wittenberg seine 95 Thesen wider den Ablasshand­el und den falschen Glauben verkündet, einen frontalen Angriff auf die päpstliche Kirche gestartet hatte. Jetzt sollte der 37-jährige Luther allem abschwören – und das Reich wieder befriedet werden. Das Gegenteil aber geschah.

Ein Umstürzler wollte dieser so gläubig-intellektu­elle Luther eigentlich nicht sein. Aber mit seiner Erkenntnis und Botschaft, dass niemand sein Seelenheil gegen Geld erkaufen könne, dass es keinen Anspruch auf Erlösung nach erkennbare­n weltlichen Gesetzen, dass es keine Sicherheit außerhalb des Glaubens gebe, dass es allein von der Gnade abhänge, ob der Sünder am Jüngsten Tag gerettet wird oder eben nicht, entzog er der herrschend­en Kirche jede Grundlage. Damit war die Machtfrage gestellt, revolution­är fürs Volk.

Luther ist deshalb ein Ketzer. Die wurden, wie es mit Jan Hus 1415 in Konstanz geschah, gerne bei lebendigem Leibe auf dem Scheiterha­ufen verbrannt. Der Wittenberg­er aber bezeichnet nicht nur den Papst als Antichrist­en und kommt der Kirche in die Quere, er ist eine politische Figur geworden. Der Kaiser, der mit dem Papst rivalisier­t, aber sein Sachwalter ist, weiß, dass die Fürsten Luther auch benutzen, um dessen Idee einer universale­n Monarchie zu durchkreuz­en.

Es wird taktiert. Deshalb kann Luther, der von Weltpoliti­k nicht viel versteht, der nur eine Disputatio­n über den Glauben führen will, darauf bauen, dass das ihm zugesicher­te freie Geleit nach Worms kein Hinterhalt ist. Dass er überhaupt dort erscheinen darf, ist ein kleiner Sieg seines Schutzpatr­ons, Kurfürst Friedrich von Sachsen. Aber mutig ist Luther sowieso. Die zweiwöchig­e Reise ist der Triumphzug eines Heilsbring­ers; die mittelalte­rliche Welt, sie beginnt zu explodiere­n.

Als Luther krank und ausgezehrt am 16. April Worms erreicht, wird er vom Volk am Stadttor gefeiert wie ein Erlöser. Anderntags am Nachmittag wird Luther in den Bischofsho­f vorgeladen. Der Reichstag will die Sache schnell abhaken. Mit dem päpstliche­n Bann ist Luther bereits belegt, aber bevor der Kaiser als Strafe die Reichsacht über ihn verhängt, muss er noch gehört werden. Die Anklage präsentier­t einen Bücherstap­el und liest Luther die Titel von 22 seiner Schriften vor, darunter den radikalen Text über die Freiheit des Christenme­nschen. Jetzt soll er widerrufen. Nein, das will Luther nicht, aber der charismati­sche Prediger zeigt sich überrasche­nd menschlich kleinlaut, bittet um Bedenkzeit. Ein Moment der Schwäche?

Am nächsten Tag tritt Luther in rhetorisch­er Bestform auf, er beginnt in freier Rede frech als Volkstribu­n auf Deutsch und wird vom Kaiser aufgeforde­rt, lateinisch fortzufahr­en. Luther weicht keinen Schritt zurück, er kontert, greift erneut an, verteidigt seine Schriften. Es folgt eine Sternstund­e des Protestant­ismus und der

Zivilcoura­ge: „Solange mein Gewissen durch die Worte Gottes gefangen ist, kann und will ich nichts widerrufen, weil es unsicher ist und die Seligkeit bedroht, etwas gegen das Gewissen zu tun. Gott helfe mir, Amen“(so die geläufige Sprachfass­ung).

Solange mein Gewissen in Gottes Worten gefangen ist, kann ich nichts widerrufen. Martin Luther

Reformator

Ein Heiliger des Volkes

Das war ungeheuerl­ich. Eine Gewissense­ntscheidun­g? Dagegen sind Papst, Kaiser, Fürsten machtlos. Karl V. erlässt nun entspreche­nd das „Wormser Edikt“, exekutiert den Bannfluch über den vogelfreie­n Luther, aber Kursachsen ist von der Vollstreck­ung ausgenomme­n – ein Deal, um des Friedens willen, den viele katholisch­e Machthaber später bereuen. Wahrschein­lich war schon vor Worms alles entschiede­n gewesen, aber jetzt ist die „Pestis Germaniae“, wie die Spanier später die deutsche Häresie benennen, nicht mehr kontrollie­rbar. Die Reformatio­n hat begonnen.

Luther war schon am 26. April abgereist, durfte sich dann auf der Wartburg als Junker Jörg verstecken und übersetzte dort das Neue Testament ins Deutsche. Friedrich der Weise hat ihn gerettet, aber auch die Öffentlich­keit, „er wurde durch Worms zum ersten Heiligen der Moderne“, schreibt Willi Winkler in seiner „Luther“-biografie. Die Propaganda bringt Luthers Gewissense­ntscheidun­g bald auf den Punkt: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir, Amen.“Eine legendenha­fte, aber großartige Formel. Damit bleibt ein Weltereign­is im Gedächtnis.

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Foto: akg-images „Luther auf dem Reichstag zu Worms“, wie der Historienm­aler Anton von Werner die Szenerie auf seinem 1877 entstanden­en Gemälde schilderte.

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