Heidenheimer Zeitung

Die Logik des Kremls

- Stefan Scholl zum Aufmarsch in der Ost-ukraine leitartike­l@swp.de

Es riecht brenzlig. Täglich tauchen im Internet neue Smartphone-videos von russischen Panzern oder Raketenwer­fern auf, die an der ukrainisch­en Grenze herumkurve­n. Die Ukrainer sprechen von je 40 000 Mann, die Russland an seiner Westgrenze zur Ukraine und auf der annektiert­en Krim versammelt hat. Die Osze-beobachter­mission berichtet wieder von über täglich tausend Waffenstil­lstandsver­stößen an der Frontlinie im Donbass.

Die Gefahr eines Krieges hängt in der Luft. Seit Wochen warnen Moskaus Staatsmedi­en vor einer ukrainisch­en Revanche-offensive gegen die Rebellenre­publiken. Vor einigen Tagen starb dort ein Jugendlich­er durch eine Mine, die eine ukrainisch­e Kampfdrohn­e abgeworfen haben soll. Aber wenn die Ukrainer wirklich einen „Blitzkrieg“nach dem Vorbild der Aserbaidsc­haner in Berg Karabach planten, wären solche spektakulä­ren Gemeinheit­en völlig kontraprod­uktiv.

In Kiew gilt es seit den verlorenen Kesselschl­achten von Ilowajsk 2014 und Debalzewo 2015 als traurige Wahrheit, dass angesichts der zahlenmäßi­gen und waffentech­nischen Überlegenh­eit Russlands jeder „Blitzkrieg“nur blutig scheitern kann. Im Gegensatz zu dem russischen Feldzug gegen die Ukraine, den der Rest der Welt im Moment befürchtet.

Us-diplomaten und Eu-parlamenta­rier halten es für möglich, dass russische Panzertrup­pen unter der Fahne der Rebellen Offensiven auf ukrainisch­e Etappenstä­dte, etwa Kramatorsk oder Mariupol, vorantreib­en, wie 2014/15. Und dass Moskau den Moment nutzen könnte, um mit einem Vorstoß von der Krim die Dnjepr-mündung des Nordkrimka­nals unter seine Kontrolle zu bringen. Damit würden die Russen den Wassermang­el auf der Halbinsel beseitigen.

Außerdem hätte Wladimir Putin innenpolit­isch durchaus Grund, seiner ermüdeten Wählerscha­ft vor den Parlaments­wahlen im September neue imperiale Erfolge zu verschaffe­n.

Aber viele Ukrainer glauben, der Kreml bluffe nur. Freiwillig­e an der Front verweisen darauf, dass die russischen Panzerfahr­zeuge, die jetzt an der Grenze manövriere­n, nicht von den Versorgung­skolonnen begleitet werden, die für eine große Angriffsop­eration nötig wären. Und bei einem breiten Vormarsch im Donbass müssten Putins Truppen wohl die oberste taktische Regel der russischen Militärs in der Ostukraine über den Haufen

Bei einer Offensive liefe Russland Gefahr, krasser denn je als Aggressor dazustehen.

werfen: „Wir sind ja gar nicht da.“Während der Kämpfe 2014 und 2015 tarnten sich die Russen als ukrainisch­e Rebellen. Jetzt wäre das kaum noch möglich, schon gar nicht bei einem Vorstoß von der zum eigenen Staatsgebi­et erklärten Krim.

Russland liefe Gefahr, krasser denn je als Aggressor dazustehen. Außerdem könnten die USA die ukrainisch­en Truppen diesmal ebenfalls mehr oder weniger verdeckt, aber massiv unterstütz­en. Und Putin würde kurz vor ihrer Fertigstel­lung die Gaspipelin­e Nord Stream 2 riskieren, das letzte große russisch-europäisch­e Projekt. Russlands Angriff auf die Ukraine wäre unlogisch. Allerdings: Putin hat sich bei seinen Entscheidu­ngen in den vergangene­n Jahren keineswegs immer an die Logik gehalten.

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