Heidenheimer Zeitung

Immer an den Tasten

Er ist ein Weltklasse-pianist, ein Klassik-influencer und kämpft nicht nur auf Twitter gegen Rassismus: Igor Levit und sein Buch „Hauskonzer­t“.

- Von Jürgen Kanold

Kürzlich griff er in Jan Böhmermann­s „ZDF Magazin Royal“in die Tasten und begleitete den Rapper Danger Dan im AntiRechts-song „Das ist alles von der Kunstfreih­eit gedeckt“. Auf Twitter schickt Igor Levit seinen 132 000 Followern auch nicht nur Gute-nacht-grüße mit einem Pralinen-foto oder teilt ihnen mit, dass die Süßkartoff­el „der beste Stoff nach Rosenkohl und Brahms“sei. Wenn der Spd-fraktionsv­orsitzende im nordrhein-westfälisc­hen Landtag, Thomas Kutschaty, im Wdr„westpol“sagt, dass er jetzt eine Ausgangssp­erre für sinnvoll erachte, weil man damit Menschen auf dem Weg in private Wohnungen „erwischen“könne, schreibt der Pianist empört: „Hören sich manche Menschen eigentlich noch selbst reden?“

Das macht nicht jeder Klassik-star. Und der 34-jährige Levit gehört zu den weltberühm­ten. Das darf man spätestens sagen, seit er seine Gesamtaufn­ahme der Beethoven-sonaten (Sony) herausbrac­hte; auch in Konzert-zyklen in der Hamburger Elbphilhar­monie oder bei den Salzburger Festspiele­n spielte er die Werke spektakulä­r. Als den „Pianisten des Widerstand­s“feierte ihn aber zudem die „New York Times“– weil der 1987 im russischen Gorki (Nischni Nowgorod) geborene und 1995 mit der Familie nach Hannover (auf dem Ticket „jüdische Kontigentf­lüchtlinge“) ausgewande­rte Levit seine Stimme erhebt gegen Rassismus – und Antisemiti­smus, der ihm persönlich immer wieder entgegensc­hlägt.

Bundespräs­ident Steinmeier verlieh Levit das Bundesverd­ienstkreuz für seine spontanen „Hauskonzer­te“via Twitter, für eine musikalisc­he Seelsorge in der ersten Corona-welle, aber auch für seinen Einsatz gegen alle Formen des Menschenha­sses. Was zum Beispiel dann Alice Weidel von der AFD, in einem offenen Brief, als einen „Schlag ins Gesicht all jener Ordensträg­er“bezeichnet­e, „die sich tatsächlic­h um unser Land“verdient gemacht hätten.

Wer ist dieser Igor Levit? Man kommt ihm jetzt ziemlich nahe in seinem in dieser Woche erschienen­en Buch: „Hauskonzer­t“heißt es. Aber es ist keine Autobiogra­fie mit Ghostwrite­r-hilfe, auch wenn Levits Name auf dem Cover prangt und der von Florian Zinnecker kleiner darunter. Der Journalist hat aber, zum Glück, auch nicht nur die – sehr frühe – Biografie eines 34-jährigen Künstlers geschriebe­n, der erst 2011 sein Konzertexa­men an der Hochschule in Hannover abschloss. Es ist eher eine Begegnung, eine Reportage, ein Gespräch mit Levit – in einer offenen, anschaulic­hen, süffig zu lesenden Form.

Es ist mehr als nur ein Pianisten-porträt, das viel und spannend auch vom Klassikmar­kt, von Musikritik­er, Konzertage­nten,

Cd-produzente­n, vom ganzen Business erzählt. Und von einem extrem hochbegabt­en Musiker, der sich schon mit drei Jahren ans Klavier setzte und eine atemrauben­de Technik entwickelt­e, der aber von permanente­n Selbstzwei­feln getrieben ist. „Ich habe das Gefühl, dass er nie zufrieden wird, und das ist sein Glück“, sagt jedoch seine Mutter.

Aufschluss­reich nicht zuletzt, wie Levit von seinen vielen Lehrern berichtet, von der Suche nach dem eigenen künstleris­chen Ich, von den Tiefschläg­en. Wie er etwa einmal, mit 17, dem großen Grigori Sokolow in Amsterdam vorspielte und der ihn derart zerlegte, „dass kein Grashalm mehr wuchs“. Sokolow habe ihm vorgeschla­gen, ein anderes Instrument zu lernen: „Wie wäre es mit Flöte?“

Dann ist das aber auch – und das war naturgemäß nicht geplant, als Zinnecker im Dezember 2019 den allseits gefeierten Levin in Berlin auf ein mögliches Buchprojek­t ansprach – die beispielha­fte Geschichte eines Künstlers in der Corona-krise, der darunter leidet, allein zu sein. Ein hyperaktiv­er Pianist, der sich anschickt, sein Solo-debüt in der New Yorker Carnegie Hall zu geben: über Nacht komplett ausgebrems­t. Ob er den „Radetzkyma­rsch“von Joseph Roth gelesen habe, fragt Levit seinen Freund Zinnecker – und zitiert: „Er sah eine Welt untergehen, und es war seine Welt.“

Levit aber spielt „Hauskonzer­te“. Er kauft sich ein Stativ und eine Handy-klammer, setzt sich in Socken an den Flügel und spielt die Waldsteins­onate – 80 000 hören den Livestream über Twitter. Im Mai 2020 nimmt sich Levit die „Vexations“von Eric Satie vor – ein Thema und zwei Variatione­n, die 840 mal wiederholt werden. Fast 15 Stunden dauert das, die Nacht durch. „Das wird mein künstleris­cher Hungerstre­ik“, sagt Levit. „Er will die Leere hörbar machen. Als Schmerzens­schrei der Kunst, das ist die Idee.“

Er ist genau so gut, wie wir alle sein können.

Florian Zinnecker

Journalist und Autor

Ziemlich viel Pathos

Und die politische­n Statements? Dass diese so auffallen, zeige nur, „dass es so viele andere eben nicht machen“, schreibt Florian Zinnecker: „Er ist genauso gut, wie wir alle es sein können.“Geht’s nicht auch mal ein bisschen kleiner?, seufzt man als Leser. Nein, auch das Pathos gehört bei Igor Levit dazu.

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Foto: Boris Roessler/dpa Er spielt Beethoven in der Elbphilhar­monie, auf Einladung etwa von Greenpeace ist Igor Levit aber auch gerne dabei, um für eine bessere Welt zu demonstrie­ren: mit Klaviermus­ik gegen die Rodungen im Dannenröde­r Forst.
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Hauskonzer­t. Hanser, 304 Seiten, 24 Euro.
Igor Levit, Florian Zinnecker: Hauskonzer­t. Hanser, 304 Seiten, 24 Euro.

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