Gemischte Gefühle
Viele Bürger sind laut Umfrage trotz Krise optimistisch. Manche Experten schätzen die Stimmung viel düsterer ein.
Berlin. In Großbritannien fließt das Bier im Außenbereich von Pubs in Strömen, in Israel können Geimpfte wieder in Schwimmbäder und in den USA werden Hauspartys geplant. In Ländern mit hohen Impfquoten beflügelt die Aussicht auf ein Ende der Corona-pandemie bereits viele Menschen. Und wie sieht es in Deutschland aus? Trotz Impfverzögerungen und politischen Machtspielen ist die Laune Umfragen zufolge gar nicht so schlecht. Mehr noch: Die Deutschen blicken nach Angaben von Experten positiv in die Zukunft.
Die Pandemie hat die Lebenszufriedenheit vieler Menschen in Deutschland einer Umfrage zufolge in einigen Bereichen sogar verbessert. So schätzen zahlreiche Erwachsene sowohl ihre Gesundheit als auch ihren Schlaf deutlich besser ein als früher, wie neueste Daten des „Sozio-oekonomischen Panels“(SOEP) zeigen. Die jährliche Befragung von Privathaushalten ist die größte Langzeitstudie zur gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland. Mehr als 6500 Teilnehmende
der Studie wurden im April und Juni 2020 sowie im Januar 2021 zusätzlich zu ihrer Lebenssituation in der Pandemie befragt.
„Im Angesicht der Bedrohungen durch die Pandemie sind die Zipperlein, die man am Rücken spürt, wohl zu vernachlässigen“, erklärte Stefan Liebig, Direktor des Panels und wissenschaftliches Vorstandsmitglied des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), den teils positiven Trend. Das DIW und die Uni Bielefeld arbeiteten bei der Zusatzstudie zusammen.
Weniger Fahrten zur Arbeit
Auch für die größer gewordene Zufriedenheit mit dem Schlaf gibt es eine Erklärung: „Durch das Homeoffice entfallen zum Beispiel lange Anfahrtswege zur Arbeitsstelle.“Nicht mehr ganz so zufrieden wie vor der Pandemie sind die Befragten mit dem Familienleben – man denke nur an das oft nervenaufreibende Homeschooling. Am meisten ärgert sie aber der Umfrage zufolge, dass die Corona-krise so stark ihr Freizeitverhalten einschränkt.
Zukunftsforscher Horst Opaschowski ist von der „mentalen Stärke“der Menschen in Deutschland beeindruckt. Sie blickten, so ergaben seine Umfragen, trotz der nun mehr als einjährigen Pandemie optimistisch in die Zukunft. Das Opaschowski-institut für Zukunftsfragen hatte hierfür zu drei Zeitpunkten der Pandemie jeweils 1000 Personen ab 14 Jahren befragt. „Mit der Dauer der Pandemie werden eher neue Kräfte freigesetzt: Statt Angst und Pessimismus herrschen Ausdauer, Zuversicht und Hoffnung vor“, meint Opaschowski.
Der Soziologe Martin Schröder von der Universität Marburg dagegen warnt, dass die Lebenszufriedenheit in Deutschland derzeit „unfassbar niedrig“sei. Die Folge seien mehr psychische Erkrankungen, so Schröder, der auch ein Buch über Lebenszufriedenheit geschrieben hat. Auch die Psychologin Isabella Heuser-collier von der Berliner Charité rechnet mit mehr Depressionen und Angststörungen: „Wir wappnen uns vor einer Flut solcher Erkrankungen.“