Bangen um Nawalnys Leben
Ärzte sehen trotz der Verlegung des Kreml-kritikers in ein Krankenhaus keinen Fortschritt.
Moskau. Obwohl der seit 19 Tagen hungerstreikende Kreml-kritiker Alexej Nawalny in ein Gefängniskrankenhaus eingeliefert worden ist, fürchten Ärzte weiter um sein Leben. Moskauer Mediziner hatten zuletzt die Analyse einer Blutprobe vom vergangenen Donnerstag mit extrem hohen Kaliumwerten, die nach ihrer Ansicht zum Herzstillstand führen könnten, veröffentlicht. „Dass sie ihn jetzt in ein Krankenhaus bringen“, sagt der Politologe Juri Korgonjuk unserer Zeitung, „zeugt nur davon, dass sich sein Zustand weiter verschlechtert“. Und Nawalnys Ärztin Anastasia Wassiljewa twittert, er sei nur in einem anderen Gefängnis gelandet – zwischen Tuberkulosekranken. „Das ist keineswegs eine Klinik, wo man ihm eine Diagnose stellen und ernsthaft behandeln kann.“
Währenddessen schickt sich Russlands Staatsmacht an, Nawalnys politische Strukturen zu vernichten. Vergangenen Freitag beantragte die Moskauer Staatsanwaltschaft vor Gericht, seine
Antikorruptionsstiftung FBK sowie die „Stäbe Nawalnys“, also alle Büros seines Netzwerkes, zu „extremistischen Organisationen“zu erklären. Damit drohen Mitarbeitern, Spendern und Sponsoren sechs bis zehn Jahre Gefängnis. „Das öffnet den Weg für hunderte von Strafverfahren“, bloggt Fbk-direktor Iwan Schdanow gemeinsam mit Nawalnys Stabschef Leonid Wolkow. „Für frei denkende Menschen, für die Zivilgesellschaft in Russland bricht eine äußerst finsterste Zeit an.“Wolkow, Schdanow und Nawalnys Wirtschaftsexperte Wladimir Milow haben Russland verlassen, gegen Wolkow läuft bereits ein Strafverfahren.
EU fordert Einlenken
Angesichts von Nawalnys Gesundheitszustand und des bevorstehenden Verbots seiner Organisationen hat Nawalnys Stab eine seit Wochen im Internet laufende Kampagne zur Sammlung einer halben Million Teilnehmer für landesweite Proteste abgebrochen. Obwohl erst 450 000 Zusagen eingegangen waren, rief man für Mittwoch Kundgebungen in 76 russischen Städten aus, allein in Moskau registrierten sich mehr als 170 000 Menschen. Sollten sie auf die Straße gehen, wäre das ein Rekordprotest gegen Wladimir Putin – am Tag, an dem Russlands Staatschef seine jährliche Rede zur Lage der Nation halten wird. „Tatsächlich wird nur ein Bruchteil der 450 000 auf die Straße gehen“, glaubt Politologe Korgonjuk. Im Internet zuzustimmen sei einfacher, als sich vor die Gummiknüppel zu wagen.
Unterdessen suchen die Eu-außenminister Wege, um Russland bei Nawalny und in der Ukraine-krise zum Einlenken zu bewegen. Der Eu-außenbeauftragte Josep Borrell bezeichnete die Lage an der Grenze zur Ukraine angesichts massiver russischer Truppenverlegungen als „sehr gefährlich“. Und: Die EU mache Moskau „für die Gesundheitssituation von Herrn Nawalny verantwortlich“.