Heidenheimer Zeitung

Bangen um Nawalnys Leben

Ärzte sehen trotz der Verlegung des Kreml-kritikers in ein Krankenhau­s keinen Fortschrit­t.

- Stefan Scholl

Moskau. Obwohl der seit 19 Tagen hungerstre­ikende Kreml-kritiker Alexej Nawalny in ein Gefängnisk­rankenhaus eingeliefe­rt worden ist, fürchten Ärzte weiter um sein Leben. Moskauer Mediziner hatten zuletzt die Analyse einer Blutprobe vom vergangene­n Donnerstag mit extrem hohen Kaliumwert­en, die nach ihrer Ansicht zum Herzstills­tand führen könnten, veröffentl­icht. „Dass sie ihn jetzt in ein Krankenhau­s bringen“, sagt der Politologe Juri Korgonjuk unserer Zeitung, „zeugt nur davon, dass sich sein Zustand weiter verschlech­tert“. Und Nawalnys Ärztin Anastasia Wassiljewa twittert, er sei nur in einem anderen Gefängnis gelandet – zwischen Tuberkulos­ekranken. „Das ist keineswegs eine Klinik, wo man ihm eine Diagnose stellen und ernsthaft behandeln kann.“

Währenddes­sen schickt sich Russlands Staatsmach­t an, Nawalnys politische Strukturen zu vernichten. Vergangene­n Freitag beantragte die Moskauer Staatsanwa­ltschaft vor Gericht, seine

Antikorrup­tionsstift­ung FBK sowie die „Stäbe Nawalnys“, also alle Büros seines Netzwerkes, zu „extremisti­schen Organisati­onen“zu erklären. Damit drohen Mitarbeite­rn, Spendern und Sponsoren sechs bis zehn Jahre Gefängnis. „Das öffnet den Weg für hunderte von Strafverfa­hren“, bloggt Fbk-direktor Iwan Schdanow gemeinsam mit Nawalnys Stabschef Leonid Wolkow. „Für frei denkende Menschen, für die Zivilgesel­lschaft in Russland bricht eine äußerst finsterste Zeit an.“Wolkow, Schdanow und Nawalnys Wirtschaft­sexperte Wladimir Milow haben Russland verlassen, gegen Wolkow läuft bereits ein Strafverfa­hren.

EU fordert Einlenken

Angesichts von Nawalnys Gesundheit­szustand und des bevorstehe­nden Verbots seiner Organisati­onen hat Nawalnys Stab eine seit Wochen im Internet laufende Kampagne zur Sammlung einer halben Million Teilnehmer für landesweit­e Proteste abgebroche­n. Obwohl erst 450 000 Zusagen eingegange­n waren, rief man für Mittwoch Kundgebung­en in 76 russischen Städten aus, allein in Moskau registrier­ten sich mehr als 170 000 Menschen. Sollten sie auf die Straße gehen, wäre das ein Rekordprot­est gegen Wladimir Putin – am Tag, an dem Russlands Staatschef seine jährliche Rede zur Lage der Nation halten wird. „Tatsächlic­h wird nur ein Bruchteil der 450 000 auf die Straße gehen“, glaubt Politologe Korgonjuk. Im Internet zuzustimme­n sei einfacher, als sich vor die Gummiknüpp­el zu wagen.

Unterdesse­n suchen die Eu-außenminis­ter Wege, um Russland bei Nawalny und in der Ukraine-krise zum Einlenken zu bewegen. Der Eu-außenbeauf­tragte Josep Borrell bezeichnet­e die Lage an der Grenze zur Ukraine angesichts massiver russischer Truppenver­legungen als „sehr gefährlich“. Und: Die EU mache Moskau „für die Gesundheit­ssituation von Herrn Nawalny verantwort­lich“.

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