Heidenheimer Zeitung

KZ und Todesmarsc­h überlebt

76 Jahre nach Kriegsende kommt ans Licht, wie sich ein mutiger französisc­her Gefangener 1945 der SS in Spaichinge­n widersetzt hat.

- Von Alfred Wiedemann

Mitte April 1945, vor 76 Jahren, war der Krieg im Südwesten noch nicht vorbei. Franzosen und Amerikaner rückten vor, die SS räumte die Konzentrat­ionslager in Württember­g und Hohenzolle­rn. Für die Gefangenen begann das letzte der unzählig-grausamen Kapitel, die Todesmärsc­he Richtung Bayern. Kurz vor der Befreiung starben die Menschen noch an Hunger, Kälte oder Erschöpfun­g, wurden sie erschossen oder erschlagen, weil sie nicht mehr weiter konnten.

35 Außenlager des KZ Natzweiler-stutthof im Elsass gab es im Südwesten. In Spaichinge­n war eines von ihnen. Im Schnitt wurden dort 400 Häftlinge in der Mauser-waffenprod­uktion eingesetzt, zudem Zwangsarbe­iter. Getarnt

als „Metallwerk­e Spaichinge­n“wurde eine Halle gebaut. Jeden Tag zog die Kolonne der geschunden­en Häftlinge durch den Ort, sichtbar für jeden Spaichinge­r.

Gertrud Graf hat jetzt mit Eugen Michelberg­er für die Initiative „Kz-gedenken in Spaichinge­n“die Lagergesch­ichte erforscht. Dabei holte sie auch Paul

Paul Galibert, französisc­her Gefangener im KZ Spaichinge­n.

Galiberts Geschichte ans Licht. Der 23-Jährige, Dreher aus Villeurban­ne im Départemen­t 69 (Rhône), zeigte Mut – und überlebte KZ und Todesmarsc­h.

Galibert war während des Pflichtarb­eitsdienst­es in Nürnberg als „Hetzer“denunziert, im März 1944 verhaftet und ins KZ eingeliefe­rt worden. Vom Natzweiler-außenlager Markirch kam er im September 1944 nach Spaichinge­n.

Mehrfach widersetzt­e er sich den Anordnunge­n der SS. Das belegen Aussagen von Zeugen im Rastatter Kriegsverb­recherproz­ess ab 1946. Galibert machte die Küche für die Gefangenen und zweigte immer wieder Essen für besonders geschwächt­e Mitgefange­ne ab. Von der kargen Brühe abgeschöpf­tes Fett gab er Kameraden, die kaum noch Lebenskraf­t hatten. Im Februar 1945 wurde ihm ein bei einem Luftangrif­f verendetes Rind in die Küche gebracht. Er weigerte sich, das verdorbene Fleisch zu verwenden. Hungernde Gefangene gruben später das vergrabene Fleisch aus, aßen es, manche seien daran gestorben, so ein Zeuge.

Am 18. April 1945 wurden die Spaichinge­r Gefangenen auf den Fußmarsch Richtung Bayern geschickt. Ein halber Liter dünne Suppe war tägliche Verpflegun­g, dazu ein bisschen Brot für die zehn Tage. Am Ortseingan­g von Memmingen konnten sieben Männer nicht mehr. Sie wurden erschossen. Einige Tage später waren die Bewacher plötzlich weg, die Überlebend­en frei. Paul Galibert kehrte nach Lyon zurück, baute sich ein neues Leben auf. Ob er noch lebt, 99 wäre er, fanden die Forscher nicht heraus.

160 Männer starben im Spaichinge­r KZ, mindestens 14 noch auf dem Todesmarsc­h ins Allgäu. Ein Ehrenmal erinnert in Spaichinge­n an die Kz-opfer, seit 2019 gibt es auch einen Gedenkpfad.

Gedenkstät­ten seien nötig, damit nicht vergessen wird, was war, sagt Gertrud Graf. Sie gehört auch zum Sprecherra­t der Landesarbe­itsgemeins­chaft der Gedenkstät­ten und Gedenkstät­teninitiat­iven Baden-württember­g.

Man findet immer wieder neue Informatio­nen. Gertrud Graf

Gedenkstät­ten-arbeitsgem­einschaft

Auch für die Versöhnung­sarbeit seien sie wichtig. Graf, Jahrgang 1953, engagiert sich schon lange. Sie gründete die Initiative Eckerwald mit, die in Schömberg-scherzinge­n (Zollernalb­kreis) an eines der KZ des Unternehme­ns „Wüste“erinnert, bei dem Ölschiefer­gestein abgebaut und zu Panzer-treibstoff verschwelt wurde.

Anstoß für die Arbeit sei ein Ehrenfried­hof mit Bestattete­n aus vielen Ländern gewesen, den Graf mit ihrem Mann entdeckte, als sie in den 80ern beruflich nach Rottweil umgezogen war. Dass es sich um Kz-opfer handelte, ergaben erst Nachforsch­ungen. Auch heute, 76 Jahre nach Kriegsende, sei die Arbeit längst nicht zu Ende, sagt Graf. „Man findet immer neue Informatio­nen.“

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Foto: Privat Gertrud Graf aus Hohentenge­n: Kz-geschichte erforscht.

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