Der Unverwüstliche
Selten ist ein Politiker in Deutschland so weit gekommen, der so oft einen zweiten Anlauf gebraucht hat: Der CDU-CHEF, der endlich Kanzlerkandidat ist, will nun – ganz von sich selbst überzeugt – aus der Defensive das Amt erobern.
Fröhlich – ausgerechnet. Armin Laschet steht vor der Cdu-zentrale in Berlin und sagt tatsächlich, er freue sich auf einen „fröhlichen Wahlkampf“. Sogar die Sonne, die sich seit Wochen nicht hat blicken lassen in der aprilkalten Hauptstadt, scheint dazu. Natürlich hat Laschet noch ein paar andere Attribute für die kommenden Monate parat: „Fair“solle die Auseinandersetzung werden, „frisch“und auch „ernsthaft“. Aber dass Laschet in diesem Moment das Wort „fröhlich“einfällt, ist schon ziemlich bemerkenswert. Denn der Parteichef befindet sich zu jenem Zeitpunkt in der finalen Phase einer brutalen Politikschlacht, die Schneisen der Verwüstung nicht nur durch CDU und CSU, sondern auch durch das pandemiegeschüttelte Land schlägt. Weswegen dem ein oder anderen in der Union gerade wohl eher zum Heulen zumute sein dürfte.
Es ist Montagmittag, bis in die frühen Morgenstunden hat Laschet mit CSUCHEF Markus Söder irgendwo in den Räumen des Bundestags um die Kanzlerkandidatur gerungen, am Ende trennten sie sich – mal wieder – ohne Ergebnis. Es ist aber auch wenige Stunden vor genau jener Sitzung des Cdu-bundesvorstands, die Laschet den Sieg bringen wird. Einen Sieg, an den zuletzt nicht mehr viele glaubten, kein erspielter, sondern ein erpresster Sieg und einer ganz ohne Glanz. Es ist der Sieg desjenigen, der als designierter Verlierer auf das Feld ging, der einen nach dem anderen reinbekam und selbst keinen einzigen richtigen Treffer landen konnte. Der aber einfach einsteckte, die Nerven bewahrte und stehen blieb.
Wobei unter anderem die Teilnehmer ebenjener entscheidenden Vorstandsrunde bezeugen können, dass Laschet eben doch mehr ist als der Weltmeister im Aushalten. Denn wie der Parteichef in der Nacht der Entscheidung seinem Cdu-gremium das nötige Votum abgerungen hat, muss beinahe schon als Akt der Gewalt beschrieben werden. „Der Machtmenschliche“, heißt eine Biografie über Laschet, und inzwischen dürfte auch Söder wissen, warum man das Wort auf der ersten Silbe betont. Dass Laschet nur dieser fröhliche Armin aus Aachen ist, wird jedenfalls vorerst niemand mehr behaupten. Wer aber ist der Mann dann, der sich inmitten einer der schwersten
Krisen der Nachkriegszeit aufmacht, Kanzler des mächtigsten Landes in Europa zu werden?
Unverwüstlichkeit gehört wohl zu Laschets wichtigsten Eigenschaften. Selten ist ein Politiker in Deutschland so weit gekommen, der so oft einen zweiten Anlauf gebraucht hat. Das erste Bundestagsmandat in den 90er Jahren nach vier Jahren wieder verloren, das erste Ministeramt in Nordrhein-westfalen nach einer Legislaturperiode wieder futsch, beim ersten Versuch als Cdu-landeschef gescheitert. Dann aber der Triumph, als er 2017 das sozialdemokratische Stammland NRW für die Union gewinnt. Wobei auch damals der Erfolg knapp war – seine schwarz-gelbe Koalition hat eine Stimme Mehrheit – und die Schwächen des Gegners einen gewissen Anteil hatten.
Von Stimmungen völlig unbeeindruckt
Als nach dem Rückzug Angela Merkels vom Cdu-vorsitz der erste Dreikampf um die Nachfolge eingeläutet wurde, war Laschet, obwohl Ministerpräsident des größten Bundeslandes, nicht dabei. Irgendwie verpasste er den Moment. Doch als Annegret Kramp-karrenbauer Anfang 2020 zermürbt aufgab, bekam er mal wieder eine zweite Chance. Und er, der natürliche Anwärter qua Amt, wurde zum Außenseiter, nicht mal der letzte Platz schien zwischenzeitlich mehr ausgeschlossen. Wer aber in den dunklen Wintertagen zu Beginn dieses Jahres Laschet begegnete, traf einen von Umfragen, Stimmungen und Basisbekundungen völlig unbeeindruckten Mann. Einen, der nicht nur an seinen Erfolg glaubte, sondern auf eine selbstverständliche Weise davon überzeugt war. Söder hätte also gewarnt sein können.
Vielleicht aber muss man auch Aachener sein, um genau dort noch eine Lücke zu sehen, wo für andere längst kein Durchkommen mehr erkennbar ist. Die Schriftstellerin Ildikó von Kürthy, die mit Laschet die Heimatstadt teilt, hat diese spezifische Mentalität vor kurzem in einem lustigen Gastbeitrag unter anderem so beschrieben: In Hamburg beispielsweise gelte eine Lokalität als übervoll, „wenn sich an jedem Tisch eine Person befindet und am Tresen ein Anstandsabstand von zwei Metern eingehalten wird“. Nicht so in Aachen: „In Aachen ist die Schenke erst dann dicht, wenn die Leute vorne rausquellen wie überschüssiger Streuselbrötchenteig.“Und noch etwas hat von Kürthy geschrieben – und das liest sich fast schon wie das künftige Wahlprogramm des Kanzlerkandidaten: „Aachen ist eine Mischung aus Dorf, Krönungsstadt, Karnevalshochburg, Innovationszentrum und Studentenbude.“
Tatsächlich muss Laschet nun den Weg nach vorne finden. Dass die Zeit verdammt knapp wird bis zur Bundestagswahl, könnte ihm dabei sogar nutzen. Mit Blick auf die wenigen verbleibenden Monate werden sich die Reihen der Union schneller schließen müssen, als angesichts der aktuellen Schadensbilanz normalerweise zu erwarten wäre. Der Cdu-spitzenmann startet aus der Defensive, das ist klar. Das Gute daran, wenn man in Sachen Ansehen und Umfragen tief im Tal hockt, ist allerdings: Von nun an kann es eigentlich nur bergauf gehen.
Aus Nachteil wird Vorteil, das soll zu einer Art Laschet’schem Gesetz werden. Im Kreis seiner Unterstützer geht die Argumentation daher so: Nach den wahrlich schmerzhaften Tagen der Wahrheit sind nun sämtliche Zweifel an und Vorbehalte gegen den Kandidaten aktenkundig. Sprengsätze können daraus nicht mehr werden. „Alles ist auf den Tisch gekommen“, sagt Generalsekretär Paul Ziemiak. Selbst die politische Konkurrenz attestierte ihm wegen seines Stehvermögens „Kanzlerpotenzial“.
In den Wahlkampf ziehen will Laschet nun unter der Überschrift „Modernisierungsjahrzehnt“. Modernität allerdings ist etwas, was sich nicht automatisch mit Laschet verbindet. Zwar scheint er mit seinem Smartphone auf eine Weise verwachsen, die fast schon an einen Cyborg denken lässt. Warnmeldungen des Geräts zu seiner exorbitanten Bildschirmzeit klickt er weg. Aber ansonsten ist Laschet – 60 Jahre, männlich, katholisch, westdeutsch – eher Inbegriff der alten CDU. Auch sein Weg an die Spitze war das Resultat seit Jahrzehnten bewährter Mechanismen. Söder setzte dem mit der ihm eigenen Ruchlosigkeit und dem ihm eigenen Riecher die Ansprüche einer „modernen Demokratie“entgegen, sortierte ausdrücklich „die, die auf Zukunft aus waren“, auf seine Seite.
Hinter dem Konflikt der beiden steht trotz aller Fokussierung auf die ja wirklich sehr unterschiedlichen Charaktere aber auch eine inhaltliche Frage. Was braucht Deutschland derzeit mehr: einen
Antreiber, der die Republik schnellstmöglich auf Vordermann bringt oder einen Beisammenhalter, der das wundgeriebene Land mit sich selbst versöhnt? Vermutlich beides und Laschets Vorteil war, dass man ihm den Antreiber dann doch noch ein bisschen eher zutraut als Söder den Versöhner.
Auch in der internationalen Politik ist Zusammenhalt das Leitmotiv von Laschet. Und die Stadt von Karl dem Großen, wo Laschet bis heute mit seiner Familie in einem Reihenhaus in Aachen-burtscheid wohnt, auch in dieser Hinsicht eine Art Symbol. Laschet ist dort verankert, wo Deutschland übergeht nach Holland, Belgien, Frankreich – und Europa ist eine seiner wichtigsten politischen Koordinaten. „Manche werden sagen, noch so einer, der an Europa glaubt“, räumt er selbst ein, als er Ende März Grundzüge des Wahlprogramms vorstellt. Den „leidenschaftlichen Europäer“allerdings nimmt man ihm ab – und das ist durchaus ein Gegensatz zu Merkel, die die Dinge grundsätzlich eher im Kopf als mit dem Bauch bewertet.
60 Jahre alt, männlich, katholisch, westdeutsch: Laschet ist eher Inbegriff der alten CDU.
Ein fröhlicher Wahlkämpfer
Überhaupt, die Kanzlerin. Es ist schon eine erstaunliche Entwicklung, dass ausgerechnet Söder, der einst den „geordneten Multilateralismus“für beendet erklären wollte, sich zuletzt als Lieblingsenkel inszenieren konnte, während Laschet quasi als enterbt gilt, dem im Rennen um die Cdu-spitze noch das Image der „männlichen Merkel“um die Ohren gehauen wurde. Die Kanzlerin jedenfalls schwieg, als in der Fraktion die Fetzen flogen, und sie schwieg auch, als es im Vorstand um Alles oder Nichts für Laschet ging. Sie blieb so demonstrativ neutral, dass es als Distanzierung von Laschet verstanden wurde. Auch das aber könnte es ihm, zweite Ableitung aus dem Laschet‘schen Gesetz, nun erleichtern, glaubhaft für einen Aufbruch zu werben. Zumal der Kurs der Kanzlerinnen-aktie angesichts der Corona-pannen zuletzt durchaus Verluste verzeichnete.
Einfach wird es nicht werden für Laschet, im Gegenteil. Unterschätzt wird er ab jetzt aber wohl auch nicht mehr. Vermutlich kann man sich Laschet daher tatsächlich als einen mitunter auch fröhlichen Wahlkämpfer vorstellen – und wenn dann noch die Sonne scheint sowieso.