Spahn: Impf-priorisierung fällt spätestens im Juni weg
Bundesrat lässt trotz großer Bedenken das geänderte Infektionsschutzgesetz passieren. In Karlsruhe liegt schon der erste Eilantrag gegen die Notbremse vor.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erwartet spätestens für Juni eine Freigabe der Corona-impfungen für alle Impfwilligen in Deutschland. Momentan gehe er davon aus, „dass wir im Juni die Priorisierung aufheben können“, sagte Spahn im Bundesrat. Er wäre „froh“, wenn es noch früher möglich sei, fügte Spahn hinzu.
Im Mai komme zunächst die Priorisierungsgruppe drei bei den Impfungen an die Reihe, sagte Spahn. Dann kämen „viele Berufsgruppen“zu den Impfberechtigten hinzu. Laut Bundesgesundheitsministerium hatten bis Mittwoch mehr als 17,9 Millionen Bürger mindestens eine Impfung erhalten. Vollständig geimpft waren demnach 5,7 Millionen Menschen – das entsprach 6,9 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Der Bundesrat hat das geänderte Infektionsschutzgesetz mit der Corona-notbremse trotz massiver Kritik passieren lassen. In einer Sondersitzung verzichtete die Länderkammer darauf, den Vermittlungsausschuss zu dem Gesetz anzurufen, das der Bundestag am Vortag verabschiedet hatte. Es gab keine förmliche Abstimmung. Bundespräsident Frank-walter Steinmeier unterzeichnete das Gesetz anschließend, das bereits im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde.
Im Bundesrat äußerten alle sechs Ministerpräsidenten, die sich in der Aussprache zu Wort meldeten, Unmut. Sie sehen verfassungsrechtliche Bedenken, insbesondere wegen der starren Notbremse, und Probleme bei der Umsetzung. Die Länderchefs wollten aber angesichts der aktuellen Lage das Gesetz nicht aufhalten. Baden-württemberg setzt die Corona-notbremse eins zu eins um. Das bedeutet, dass die Ausgangssperre erst um 22 Uhr beginnt.
Schon vor der Bundesratsentscheidung über die Notbremse ist am Bundesverfassungsgericht der erste Eilantrag dagegen eingegangen, eingelegt von einer Anwaltskanzlei. Die FDP hat ebenfalls einen solchen Schritt angekündigt, genauso wie der Spd-bundestagsabgeordnete Florian Post.
Nach dem Bundestag hat der Bundesrat, trotz massiver Kritik mehrerer Landesregierungen, die deutschlandweit gültige Corona-notbremse passieren lassen. Der Bundespräsident setzte kurz danach am Donnerstag seine Unterschrift unter das geänderte Infektionsschutzgesetz. Unterdessen gibt es die Hoffnung, dass sich ab Juni jeder Erwachsene impfen lassen kann – unabhängig von Alter oder Vorerkrankung.
Inhalt der Gesetzesänderung Das Gesetz setzt Mindeststandards, die in den Ländern eingehalten werden müssen. Wird die Sieben-tage-inzidenz von 100 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner in einem Kreis oder in einer kreisfreien Stadt an drei aufeinanderfolgenden Tagen überschritten, dürfen die Einwohner ab 22 Uhr und bis 5 Uhr die eigene Wohnung oder das eigene Grundstück in der Regel nicht mehr verlassen. Spaziergänge und Joggen allein bleiben bis Mitternacht erlaubt.
Ein Haushalt darf sich nur mit einer weiteren Person treffen. Theater, Museen, Schwimmbäder, Fitnessstudios schließen. Läden, die nicht dem täglichen Bedarf dienen, dürfen nur noch für Kunden öffnen, die einen negativen Test vorlegen und einen Termin gebucht haben. Ab einer Inzidenz von 150 soll nur noch das Abholen bestellter Waren möglich sein.
Präsenzunterricht an Schulen soll ab einer Inzidenz von 165 gestoppt werden. Schärfer allerdings dürfen die Länder reagieren. So haben Bayern und Mecklenburg-vorpommern angekündigt, die Schulen ab der Inzidenz von 100 zu schließen. Gelockert werden soll die Notbremse, wenn die Inzidenz an fünf aufeinanderfolgenden Tagen die Schwelle von 100 unterschreitet. Die Maßnahmen sind bis 30. Juni befristet.
Südwesten passt sich an Badenwürttemberg will die Coronanotbremse des Bundes komplett umsetzen und auch die Ausgangsbeschränkungen erst um 22 Uhr beginnen lassen. „Das Gesetz wird eins zu eins umgesetzt“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). „Jetzt da immer rumzumachen, das hat keinen Sinn.“Zunächst hatte das Land erwogen, die Ausgangsbeschränkungen in Kreisen mit einer Sieben-tage-inzidenz von über 100 weiter von 21 Uhr abends bis 5 Uhr morgens gelten zu lassen. Bis zum Wochenende soll die Landesverordnung nun angepasst werden.
Erste Klagen Kaum ist die Notbremse verabschiedet, wird bereits gegen sie geklagt. Der Rechtsanwalt Claus Pinkerneil mit Kanzleien in Berlin und München teilte mit, Verfassungsbeschwerde eingelegt zu haben. Die
Freien Wähler kündigen gar eine doppelte Verfassungsbeschwerde an. Man wolle die „Freiheitsrechte“der Bürger verteidigen, sagte Bundeschef Hubert Aiwanger, der bayerischer Vize-ministerpräsident ist, am Donnerstag. Konkret soll mit einer ersten Klage die Ausgangssperre verhindert werden. Mit einer weiteren Klage wollen die Freien Wähler später auch noch die Regelungen zu Handel, Gastronomie und Kultur zu Fall bringen. Auch FDP-CHEF Christian Lindner und der Spd-abgeordnete Florian Post wollen klagen.
Impfen für alle Bei den Impfungen könnte aus Sicht von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ab Juni keine Priorisierung mehr nötig sein. Wenn es früher sein sollte, wäre er froh, sagte er. Der Bund erwartet so hohe Liefermengen, dass die Priorisierung dann aufgegeben werden kann. Für Astrazeneca gilt die völlige Freigabe teilweise schon: Nach Sachsen, Mecklenburg-vorpommern und Bayern gab auch Berlin den Impfstoff für alle Altersgruppen in den Praxen frei. Eigentlich soll laut Impfkommission Astrazeneca wegen möglicher Thrombosen nur bei über 60-Jährigen eingesetzt werden.
Freie Wähler verteidigen „Freiheitsrechte“.
Bestellung in Russland Zum Impferfolg soll auch das russische Vakzin Sputnik V beitragen. Nach Angaben von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), der in Moskau ist, will die Bundesrepublik jeweils zehn Million Dosen im Juni, Juli und im August kaufen. Voraussetzung sei die Zulassung durch die Europäische Arzneimittelbehörde.
Dominierende Mutation Die zuerst in England aufgetauchte Variante B.1.1.7 hat in Deutschland fast vollständig den vorherigen Typ des Virus verdrängt: 93 Prozent aller Neuinfektionen gehen laut Robert-koch-institut auf diese Mutation zurück. Die südafrikanische Mutation B.1.351 dagegen liegt bei 0,6 Prozent, die brasilianische P.1 bei 0,1 Prozent.
Belegung der Intensivstationen Die Zahl der Covid-19-patienten, die auf Intensivstationen behandelt werden müssen, ist über die Marke von 5000 gestiegen. Bundesweit werden 5049 Fälle behandelt, 62 mehr als am Vortag, geht aus dem Register der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) hervor. Die Entwicklung in diesem Jahr ist ein Auf und Ab: Gab es am 3. Januar 5745 Covid-19-patienten auf Intensivstationen, und damit so viel wie noch nie, waren es am 13. März 2713. Dann aber ging es wieder nach oben – vor einem Monat waren es 3145 gewesen, vor einer Woche 4679.