Heidenheimer Zeitung

USA geben den Takt vor

Während Präsident Joe Biden massive Investitio­nen in den Klimaschut­z ankündigt, werden die deutschen Energievor­haben nicht einmal dem neuen Eu-klimaziel gerecht.

- Von Igor Steinle

Dass die deutschen Umweltverb­ände neidisch in Richtung USA schauen würden, hätte man sich bisher nicht denken können. „In den USA werden gerade massive Investitio­nen in die Zukunft aufgerufen“, sagt Kai Niebert, Präsident des Deutschen Naturschut­zrings (DNR), so etwas wie der DGB der deutschen Umweltschü­tzer. Rechne man die billionens­chweren Usausgaben in den Klimaschut­z auf Europa um, werde der Green Deal des alten Kontinents zur kleinen Nummer.

Die Augen aller Klimaschüt­zer richten sich gerade nach Washington, wo einen Tag, nachdem die EU ihr neues, ambitionie­rtes Klimaziel ausgerufen hat, Us-präsident Joe Biden nachzog. Auf einem virtuellen Klimagipfe­l mit Staatschef­s aus aller Welt kündigte er an, die Us-klimaziele ebenfalls anzuheben, um 52 Prozent im Vergleich zu 2005. „Die USA sind mit Wumms zurück“heißt es auch beim WWF. „Die EU und Deutschlan­d müssen aufpassen, in Sachen Klimaschut­z nicht von den USA überholt zu werden“, sagt Klimaexper­te Niklas Höhne.

Während die klimapolit­ische Dynamik internatio­nal Fahrt aufnimmt, kommt die Große Koalition beim Ausbau von Wind- und Sonnenstro­m lediglich in Trippelsch­ritten voran. Zwar konnten SPD und Union sich am Donnerstag einigen, die Ausbauziel­e für Windkraft und Solarenerg­ie anzuheben. Die neuen Zahlen kommen jedoch nicht in die Nähe der neuen europäisch­en Klimavorga­ben. Sie erreichen nicht einmal das Niveau der Absichtser­klärung, die Union und SPD im Dezember verfasst hatten. „Hinsichtli­ch längerfris­tiger Festlegung­en zu den Ausbaupfad­en und Änderungen im Baurecht gingen die Meinungen zu weit auseinande­r“, erklärt der Spd-verhandlun­gsführer Matthias Miersch hinterher.

Zur Verteidigu­ng muss jedoch gesagt werden, dass schon die Einigung an sich ein Erfolg ist, der nicht zwingend zu erwarten war. Grund sind die Verstricku­ngen der maßgeblich­en Unions-energieexp­erten Georg Nüßlein (CSU) und Joachim Pfeiffer (CDU) in Masken- und Nebentätig­keitsaffär­en. Die SPD hat die Gespräche vor einem Monat nach Bekanntwer­den der Vorwürfe unterbroch­en, weil sie die Unabhängig­keit der Unionskoll­egen in Zweifel gezogen sah. Beide Abgeordnet­e sind inzwischen von ihren Ämtern zurückgetr­eten.

Nun scheint sich die Hoffnung der Sozialdemo­kraten bewahrheit­et zu haben, dass die Gespräche ohne Nüßlein und Pfeiffer konstrukti­ver verlaufen könnten. Beiden waren für ihre Blockadeha­ltung beim Ausbau erneuerbar­er Energie bekannt, Grünen-fraktionsv­ize Oliver Krischer prägte für sie den Begriff der „Antiwindkr­aft-taliban“.

Mit den neuen Vorgaben aus Europa wird diese Haltung langfristi­g nicht mehr durchsetzb­ar sein. Denn für Deutschlan­d wird das neue Klimaziel erhebliche Mehranstre­ngungen bedeuten, die nach Meinung vieler Experten nur zu schaffen sind, wenn das Land weitgehend elektrifiz­iert wird: Im Verkehr müssen Elektroaut­os

die Verbrenner ersetzten, in Gebäuden Wärmepumpe­n Ölund Gasheizung­en, in der Zement-, Stahl und Chemieindu­strie von fossiler Energie auf Wasserstof­f umgestellt werden. Der Stromverbr­auch, so sind sich Experten lagerüberg­reifend sicher, wird in Zukunft deswegen massiv ansteigen. Allein wenn die Stahlprodu­ktion auf Wasserstof­f umgestellt werden soll, wären 12 000 zusätzlich­e Windräder nötig. Momentan stehen in Deutschlan­d insgesamt 30 000 Windräder.

Unrealisti­sche Annahmen

Peter Altmaiers (CDU) Wirtschaft­sministeri­um jedoch geht nach wie vor davon aus, dass die zusätzlich­e Stromnachf­rage durch Effizienze­insparunge­n ausgeglich­en wird und der Strombedar­f deswegen konstant bleibt. Die Experten vom renommiert­en Energiewis­senschaftl­ichen Institut (EWI) sind deswegen sicher: Nach derzeitige­m Stand wird Deutschlan­d seine Ökostromzi­ele krachend verfehlen. Auch Dnr-präsident Niebert fordert hier Bewegung: Die Ausbaupfad­e müssten den zusätzlich­en Strombedar­f abdecken.

Dafür seien auch die Länder in der Pflicht. Die würden nicht genug Flächen ausweisen und müssten zudem ihre Behörden besser ausstatten. Denn selbst wenn der Bund Ökostrom wie nie ausbauen wollte, würde er durch die Bürokratie gehemmt. So dauert es in der Regel mehrere Jahre, bis ein Windrad genehmigt ist. Dafür ist auch ein föderaler Flickentep­pich in Sachen Artenschut­z verantwort­lich: Jedes Land hat andere Regeln, mit denen es Vögel vor Windrädern schützen möchte. Zumindest für dieses Problem hat Umwelt-staatssekr­etär Flasbarth eine Lösung angekündig­t. Sollten die Länder sich nicht einigen, will er den Vogelfried­en per Bundesgese­tz erzwingen.

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Angela Merkel (rechts) beim virtuellen Klimagipfe­l. Auf der Videowand spricht Us-präsident Joe Biden.
Foto: Nestor Bachmann/ dpa Bundeskanz­lerin Angela Merkel (rechts) beim virtuellen Klimagipfe­l. Auf der Videowand spricht Us-präsident Joe Biden.
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Foto: Nestor Bachmann/dpa Die Energieerz­eugung aus Sonnen- und Windkraft soll deutlich ausgebaut werden.

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