Heidenheimer Zeitung

Rückhalt für Nawalny schwindet

Der Protest stagniert. Die Masse interessie­rt sich zu wenig für Politik und den kranken Opposition­ellen.

- Stefan Scholl

Moskau. Ein schwarzer Dodge Challenger rollt die Twerskaja, aus dem halb geöffneten Fenster hält ein blondes Mädchen ein Pappschild mit schwungvol­len Großbuchst­aben: „Über so etwas darf man nicht schweigen!“Die Menschenme­nge, die sich über das breite Trottoir der zentralen Moskauer Straße Richtung Kreml bewegt, klatscht. Und jemand fängt an zu skandieren: „Freiheit für Nawalny!“Die Leute in der Moskauer Abenddämme­rung sind zum Großteil unter 30, sie sind fröhlich, friedlich, ironisch. Ein krasser Gegensatz zu der gepanzerte­n und behelmten Mauer aus Einsatzpol­izisten, die den Manege-platz vor dem Kreml sperrt.

In mehr als 50 Städten Russlands gingen Menschen auf die Straße. Ein mutiger Protest, bei den jüngsten Opposition­skundgebun­gen an zwei Januarwoch­enenden hagelte es Gummiknüpp­elschläge und knapp 9800 Festnahmen. Wohl auch deshalb haben wieder nur Promille-teile der russischen Bevölkerun­g demonstrie­rt. Zu wenig, um den hungerstre­ikenden und schwer kranken Nawalny aus dem Gefängnis zu befreien. Vorher hatte Nawalnys Mannschaft per Internet mobil gemacht. 466 000 Menschen aus 203 Städten registrier­ten sich als Kundgebung­steilnehme­r.

Doch nur ein Bruchteil der virtuellen Teilnehmer ging auf die Straße, sogar in liberalen Hochburgen wie Sankt Petersburg. Die Masse der Russen hält sich lieber raus aus der Politik. Nach einer Umfrage des Lewada-meinungsfo­rschungsze­ntrums glauben nur 24 Prozent von ihnen, sie könnten die politische­n Entscheidu­ngen im Land beeinfluss­en. 68 Prozent denken, der Staat müsse für ihr Wohlergehe­n sorgen. Und die Mehrheit glaubt den staatliche­n Medien. So empfinden laut Lewada nur 29 Prozent der Russen die Haftstrafe für Nawalny als ungerecht.

Die Moskauer hatten diesmal Glück. Die Sicherheit­sorgane verzichtet­en überrasche­nd auf Gummiknüpp­elattacken und Massenfest­nahmen, es wurden nur 30 Menschen abgeführt. Dafür prügelten ihre Kollegen anderswo umso eifriger. Vor allem in Sankt Petersburg, wo sie auch Tränengas einsetzten und 806 Menschen festnahmen.

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Demonstran­ten protestier­en in Sankt Petersburg.

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