Rückhalt für Nawalny schwindet
Der Protest stagniert. Die Masse interessiert sich zu wenig für Politik und den kranken Oppositionellen.
Moskau. Ein schwarzer Dodge Challenger rollt die Twerskaja, aus dem halb geöffneten Fenster hält ein blondes Mädchen ein Pappschild mit schwungvollen Großbuchstaben: „Über so etwas darf man nicht schweigen!“Die Menschenmenge, die sich über das breite Trottoir der zentralen Moskauer Straße Richtung Kreml bewegt, klatscht. Und jemand fängt an zu skandieren: „Freiheit für Nawalny!“Die Leute in der Moskauer Abenddämmerung sind zum Großteil unter 30, sie sind fröhlich, friedlich, ironisch. Ein krasser Gegensatz zu der gepanzerten und behelmten Mauer aus Einsatzpolizisten, die den Manege-platz vor dem Kreml sperrt.
In mehr als 50 Städten Russlands gingen Menschen auf die Straße. Ein mutiger Protest, bei den jüngsten Oppositionskundgebungen an zwei Januarwochenenden hagelte es Gummiknüppelschläge und knapp 9800 Festnahmen. Wohl auch deshalb haben wieder nur Promille-teile der russischen Bevölkerung demonstriert. Zu wenig, um den hungerstreikenden und schwer kranken Nawalny aus dem Gefängnis zu befreien. Vorher hatte Nawalnys Mannschaft per Internet mobil gemacht. 466 000 Menschen aus 203 Städten registrierten sich als Kundgebungsteilnehmer.
Doch nur ein Bruchteil der virtuellen Teilnehmer ging auf die Straße, sogar in liberalen Hochburgen wie Sankt Petersburg. Die Masse der Russen hält sich lieber raus aus der Politik. Nach einer Umfrage des Lewada-meinungsforschungszentrums glauben nur 24 Prozent von ihnen, sie könnten die politischen Entscheidungen im Land beeinflussen. 68 Prozent denken, der Staat müsse für ihr Wohlergehen sorgen. Und die Mehrheit glaubt den staatlichen Medien. So empfinden laut Lewada nur 29 Prozent der Russen die Haftstrafe für Nawalny als ungerecht.
Die Moskauer hatten diesmal Glück. Die Sicherheitsorgane verzichteten überraschend auf Gummiknüppelattacken und Massenfestnahmen, es wurden nur 30 Menschen abgeführt. Dafür prügelten ihre Kollegen anderswo umso eifriger. Vor allem in Sankt Petersburg, wo sie auch Tränengas einsetzten und 806 Menschen festnahmen.