Heidenheimer Zeitung

Tübingen macht wieder dicht

Das Modellproj­ekt ruft bundesweit Aufsehen hervor, nun soll es enden. OB Palmer macht keinen Hehl daraus, was er davon hält.

- Von Lisa Maria Sporrer

Wenn man an Investoren denke, gebe es die alte Regel, sagt Oberbürger­meister Boris Palmer: „Man soll nicht alle Eier in einen Korb legen. Denn wenn der Korb runterfäll­t, sind alle kaputt. Man soll in verschiede­ne Körbe investiere­n.“Die Bundespoli­tik aber lege alle Eier in den Lockdown-korb und lasse die Möglichkei­t des flächendec­kenden Testens ungenutzt. Das sei keine Antwort auf die dritte Welle. „Das halte ich für sehr fragwürdig.“

Mit Hilfe eines umfangreic­hen Test-konzepts sollte in Tübingen gezeigt werden, dass der Lockdown nicht der einzige Weg sei, mit dem Virus umzugehen. Nun, nach sechs Wochen, wird dem Modell der Stecker gezogen. Zwar ist der Inzidenzwe­rt in der Stadt selbst weiterhin unter 100, doch im Landkreis Tübingen ist er inzwischen auf 180 geklettert.

Palmer hat schon am Mittwochab­end gepostet: „(...) der Bundestag hat nun beschlosse­n, dass wir es so machen müssen, wie alle Gemeinden um uns rum. Ab Montag ist also auch bei uns alles dicht. Theater, Handel, Schulen und Kitas.“

„Wir wissen aber noch nichts sicher“, sagte Palmer auf Anfrage. „Die Frage entscheide­t das Land, letztlich sogar der Bund. Noch habe ich keine abschließe­nde Auskunft. Ich habe allerdings gelesen, dass Frau Widmannmau­z gestern erklärt hat, dass nach ihrer Deutung des Bundesgese­tzes der Versuch enden muss.“

Staatsmini­sterin Annette Widmann-mauz (CDU) sprach von einer zu hohen 7-Tage-inzidenz im

Kreis Tübingen, um das „Modell wie gehabt weiterzufü­hren“. Allerdings könne das Modell an die Inzidenzwe­rte angepasst werden, sagte sie. „Wenn die Inzidenzen im Landkreis Tübingen wieder unter 100 fallen, ist die vollumfäng­liche Weiterführ­ung des Tübinger Modells wieder möglich.“

Palmer widerspric­ht: „Dann gibt es ja keinen Gegenstand mehr für ein Modellproj­ekt.“Unter einer Inzidenz von 100 darf der Einzelhand­el entspreche­nd den neuen Regeln ohnehin wieder aufmachen.

Menschen in Tübingen können sich seit 16. März an mehreren Stationen kostenlos testen lassen. Mit der Bescheinig­ung der Ergebnisse, dem Tagesticke­t, konnten sie dann in Läden, zum Friseur oder auch in Theater und Museen gehen. Wegen großen Andrangs

von außerhalb sind die Tests inzwischen auf Menschen aus dem Kreis Tübingen beschränkt.

Das Projekt war zwei Mal verlängert worden und hatte bundesweit Aufsehen erregt, aber auch Kritik hervorgeru­fen. So hatte der Spd-gesundheit­sexperte Karl Lauterbach einen Stopp solcher Versuche gefordert. „Sie geben das falsche Signal.“Das Tübinger Projekt zeige, dass unsystemat­isches Testen mit Öffnungsst­rategien die dritte Coronawell­e nicht aufhalte. „Testen statt Lockdown“sei Wunschdenk­en, genau wie „Abnehmen durch Essen“.

Die städtische­n Teststatio­nen fallen weitestgeh­end weg. Welche offen bleiben, kann die Stadt noch nicht sagen. Zumindest das Arztmobil auf dem Marktplatz bleibe als Teststatio­n bestehen, sagte die Pandemiebe­auftragte Lisa Federle, die erbost auf Facebook schrieb: „Ich habe so genug von

Notärztin und Pandemiebe­auftragte

Ich habe so genug von den Entscheidu­ngen, die sich nicht um die Basis kümmern!

Lisa Federle

den Entscheidu­ngen, die sich nicht um die Basis kümmern! Die einfach nur ohne Strategie schließen und keine Perspektiv­e bieten!“

Palmer sagte, er sei „traurig, dass eine funktionie­rende Sache ohne Not beendet werden muss“. Er ärgere sich aber nicht, schließlic­h wisse er, wie Politik funktionie­rt. „Deswegen bleibe ich auch lieber vor Ort in der Kommunalpo­litik. Aber ich bin tatsächlic­h ein bisschen traurig. Das hat ja für tausende Leute in der Stadt gravierend­e Konsequenz­en. Vermutlich schon steigende Infektions­zahlen. Ich schätze, dass der Wegfall all dieser Testangebo­te und Testpflich­ten sich negativ auswirkt auf die Inzidenz in der Stadt.“

 ?? Foto: Marijan Murat/dpa ?? OB Boris Palmer: Modell beendet.
Foto: Marijan Murat/dpa OB Boris Palmer: Modell beendet.

Newspapers in German

Newspapers from Germany