Tübingen macht wieder dicht
Das Modellprojekt ruft bundesweit Aufsehen hervor, nun soll es enden. OB Palmer macht keinen Hehl daraus, was er davon hält.
Wenn man an Investoren denke, gebe es die alte Regel, sagt Oberbürgermeister Boris Palmer: „Man soll nicht alle Eier in einen Korb legen. Denn wenn der Korb runterfällt, sind alle kaputt. Man soll in verschiedene Körbe investieren.“Die Bundespolitik aber lege alle Eier in den Lockdown-korb und lasse die Möglichkeit des flächendeckenden Testens ungenutzt. Das sei keine Antwort auf die dritte Welle. „Das halte ich für sehr fragwürdig.“
Mit Hilfe eines umfangreichen Test-konzepts sollte in Tübingen gezeigt werden, dass der Lockdown nicht der einzige Weg sei, mit dem Virus umzugehen. Nun, nach sechs Wochen, wird dem Modell der Stecker gezogen. Zwar ist der Inzidenzwert in der Stadt selbst weiterhin unter 100, doch im Landkreis Tübingen ist er inzwischen auf 180 geklettert.
Palmer hat schon am Mittwochabend gepostet: „(...) der Bundestag hat nun beschlossen, dass wir es so machen müssen, wie alle Gemeinden um uns rum. Ab Montag ist also auch bei uns alles dicht. Theater, Handel, Schulen und Kitas.“
„Wir wissen aber noch nichts sicher“, sagte Palmer auf Anfrage. „Die Frage entscheidet das Land, letztlich sogar der Bund. Noch habe ich keine abschließende Auskunft. Ich habe allerdings gelesen, dass Frau Widmannmauz gestern erklärt hat, dass nach ihrer Deutung des Bundesgesetzes der Versuch enden muss.“
Staatsministerin Annette Widmann-mauz (CDU) sprach von einer zu hohen 7-Tage-inzidenz im
Kreis Tübingen, um das „Modell wie gehabt weiterzuführen“. Allerdings könne das Modell an die Inzidenzwerte angepasst werden, sagte sie. „Wenn die Inzidenzen im Landkreis Tübingen wieder unter 100 fallen, ist die vollumfängliche Weiterführung des Tübinger Modells wieder möglich.“
Palmer widerspricht: „Dann gibt es ja keinen Gegenstand mehr für ein Modellprojekt.“Unter einer Inzidenz von 100 darf der Einzelhandel entsprechend den neuen Regeln ohnehin wieder aufmachen.
Menschen in Tübingen können sich seit 16. März an mehreren Stationen kostenlos testen lassen. Mit der Bescheinigung der Ergebnisse, dem Tagesticket, konnten sie dann in Läden, zum Friseur oder auch in Theater und Museen gehen. Wegen großen Andrangs
von außerhalb sind die Tests inzwischen auf Menschen aus dem Kreis Tübingen beschränkt.
Das Projekt war zwei Mal verlängert worden und hatte bundesweit Aufsehen erregt, aber auch Kritik hervorgerufen. So hatte der Spd-gesundheitsexperte Karl Lauterbach einen Stopp solcher Versuche gefordert. „Sie geben das falsche Signal.“Das Tübinger Projekt zeige, dass unsystematisches Testen mit Öffnungsstrategien die dritte Coronawelle nicht aufhalte. „Testen statt Lockdown“sei Wunschdenken, genau wie „Abnehmen durch Essen“.
Die städtischen Teststationen fallen weitestgehend weg. Welche offen bleiben, kann die Stadt noch nicht sagen. Zumindest das Arztmobil auf dem Marktplatz bleibe als Teststation bestehen, sagte die Pandemiebeauftragte Lisa Federle, die erbost auf Facebook schrieb: „Ich habe so genug von
Notärztin und Pandemiebeauftragte
Ich habe so genug von den Entscheidungen, die sich nicht um die Basis kümmern!
Lisa Federle
den Entscheidungen, die sich nicht um die Basis kümmern! Die einfach nur ohne Strategie schließen und keine Perspektive bieten!“
Palmer sagte, er sei „traurig, dass eine funktionierende Sache ohne Not beendet werden muss“. Er ärgere sich aber nicht, schließlich wisse er, wie Politik funktioniert. „Deswegen bleibe ich auch lieber vor Ort in der Kommunalpolitik. Aber ich bin tatsächlich ein bisschen traurig. Das hat ja für tausende Leute in der Stadt gravierende Konsequenzen. Vermutlich schon steigende Infektionszahlen. Ich schätze, dass der Wegfall all dieser Testangebote und Testpflichten sich negativ auswirkt auf die Inzidenz in der Stadt.“