Bergfest in der L-bank
In den Koalitionsverhandlungen zwischen Grünen und CDU ist Halbzeit. Noch ist vieles unklar, doch sicher ist: Es wird Enttäuschungen geben.
Müde sehen sie aus, zuversichtlich wollen sie wohl wirken. Vor knapp drei Wochen haben die Landesverbände von Grünen und CDU Koalitionsverhandlungen über die Fortsetzung ihrer Regierungskoalition aufgenommen. Nun, etwa zur Halbzeit, treten die Parteispitzen vor die Presse. Zu viert stehen sie im Foyer der L-bank in Stuttgart, wo seit Tagen zwölf Themen-arbeitsgruppen und drei übergeordnete Delegationen über die Eckpfeiler einer Regierungspolitik der kommenden Jahre verhandeln.
„Der Koalitionsvertrag nimmt Gestalt an“, sagt die Grünen-landeschefin Sandra Detzer. „Der Elektromotor der Verhandlungen schnurrt.“Man wolle „ein erstes Zwischenfazit ziehen“, sagt ihr Co-chef Oliver Hildenbrand und spricht von einer „Koalition der Nachhaltigkeit und der Modernisierung“. Man wolle „auf die großen politischen Fragen auch große politische Antworten“geben.
Bei den Christdemokraten klingt alles etwas kleinteiliger. „Wir haben bewegte Tage hinter uns und, ich prognostiziere mal, wir haben bewegte Tage vor uns“, sagt Cdu-landeschef Thomas Strobl. Zwei Arbeitsgruppen hätten bereits gemeinsame Papiere verabschiedet, in den anderen zehn werde bis zum Abend dieses Freitags noch verhandelt.
Die kommende Woche werde dann „die Woche der Entscheidungen“, sagt Strobl. Cdu-generalsekretär Manuel Hagel spricht von einem Bergfest. „Nicht, weil der Berg schon erklommen ist und es jetzt bergab geht, sondern weil wir die Hälfte des Berges erklommen haben und jetzt ambitioniert in die zweite Hälfte starten.“
Keiner der vier geht sehr tief in Details der Gespräche. Doch ihre Zwischentöne und Wasserstandsmeldungen, die aus den Verhandlungszimmern dringen, deuten darauf hin, dass der Berg noch die eine oder andere Stolperfalle bereithalten dürfte.
Auch wecken die bisher öffentlich gewordenen Ergebnisse – und das bereits vorab vereinbarte Sondierungspapier – Zweifel, ob hier eine gemeinsame Seilschaft im Berg steht oder ob die Grünen, künftig die deutlich größte Fraktion im Landtag, in der CDU nach deren Wahlschlappe nicht eher Wasserträger für die nächsten fünf Regierungsjahre sehen.
Bereits in den Sondierungen beschlossen wurden unter anderem detaillierte Grundzüge eines Klimaschutz-programms, das klingt wie aus dem Wahlprogramm der Öko-partei. Auch die Wahlrechtsreformen, auf die sich die Unterhändler (wie berichtet) dieser Tage geeinigt haben, entsprechen den Vorstellungen der Grünen. In der vergangenen Legislatur noch war das nun vereinbarte Zwei-stimmen-landtagswahlrecht mit geschlossenen Landeslisten – obwohl damals schon im Koalitionsvertrag festgehalten – am Widerstand der Cdu-fraktion gescheitert. Nun trägt die Union es mit.
Selbst im Kernthema der CDU, der inneren Sicherheit, scheinen die Grünen ihrer Basis Erfolge mit nach Hause bringen zu wollen. So trägt die CDU, entsprechende Berichte werden bestätigt, eine individuelle Kennzeichnungspflicht für Polizisten stehender Einheiten mit.
„Buhlen wie auf dem Strich“
Auch Liberalisierungen im Bereich Kleinkriminalität stehen im Raum, sind aber noch strittig. Das wären etwa eine höhere Freimenge beim Besitz von Cannabis oder Lockerungen bei Strafen für Schwarzfahren oder das „Containern“genannte Ausräumen von Supermarkt-mülleimern.
Das innenpolitische Entgegenkommen der Union versetzt den Polizeigewerkschafter Ralf Kusterer derart in Rage, dass er, zum Ärger Hagels, in der Zeitung der Deutschen Polizeigewerkschaft schreibt, die CDU buhle um eine Regierungsbeteiligung „wie Prostituierte auf dem Straßenstrich“.
Noch ist nichts beschlossen, jedes Verhandlungsergebnis stehe unter Vorbehalt einer Gesamteinigung, sagt Strobl. Am Nachmittag wird weiter verhandelt, auch das Wochenende ist eingeplant. In der L-bank dürften vorerst auch weiterhin einige müde Gesichter zu sehen sein – und wohl auch nicht wenige enttäuschte.