Aus Handyvideos entsteht ein Chorprojekt
Wie gelingt ein Freiwilliges Soziales Jahr bei einem Chor, der nicht singen darf? Nathanael Koloska berichtet von seinem Abschlussprojekt, das ebenso ungewöhnlich ist wie das Jahr, das der Chor hinter sich hat.
Der Fsjler Nathanael Koloska spricht über seine multimediale Abschlussarbeit beim Neuen Kammerchor Heidenheim.
Dass Nathanael Koloska kein gewöhnliches Freiwilliges Soziales Jahr bevorstehen sollte, war im Prinzip von Anfang an klar. Denn als der heute 19-Jährige im September 2020 sein FSJ Kultur beim Neuen Kammerchor Heidenheim antrat, war der Chor fast schon kein Chor mehr. Zumindest nicht so, wie man es vom Neuen Kammerchor gewohnt ist.
Eine Konzertabsage folgte im ersten Corona-jahr der nächsten, kurzfristig drohte dem Chor sogar ein Singverbot, schließlich konnten sich zumindest kleine Gruppen zum Proben treffen. Ein Hin und Her, ein Auf und Ab, ein Wechselbad der Gefühle. Und sicherlich keine idealen Bedingungen für ein FSJ. Und doch steht Koloska wenige Monate vor Abschluss seines doch eher ungewöhnlichen Freiwilligendienstes – und genauso ungewöhnlich soll auch sein Abschlussprojekt werden.
Popnummer statt Chorstück
„That’s What Friends Are For“, im Original von Rod Stewart, besser bekannt durch die Interpretation von Dionne Warwick, lautet der Titel des Stücks, das der Neue Kammerchor für das Projekt einstudiert hat. Das Besondere daran: Obwohl am Ende eine chorale Videoversion des Songs entstehen soll, hat jedes Chormitglied seinen Part separat eingesungen.
„An die 40 Mitglieder haben zu Hause ihre eigene Ton- und
Videospur mit dem Handy aufgenommen“, erzählt Koloska. Der ein oder andere hätte sich ein wenig geniert und letztlich nur eine Tonspur beigesteuert. Verständlich für den 19-Jährigen: „Sich selber auf Video zu sehen und zu hören, ganz ohne den Rest des Chores – das ist eine ganz neue Erfahrung.“
Am Muttertag soll das Gemeinschaftsprojekt online gehen. Bis dahin steht für Koloska noch einiges an Arbeit an: Alles zusammenschneiden, den Gesang mit den Lippenbewegungen synchronisieren, kleine rhythmische Abweichungen korrigieren – 30 bis 40 Stunden Zeitaufwand, so schätzt der Fsjler, fallen insgesamt für „That’s What Friends
Are For“an. Die Wahl fiel übrigens deshalb auf eine Popnummer, weil sich ein klassisches Chorstück laut Nathanael Koloska online nicht realisieren lässt.
Neue Wege versucht
Ein Online-chor, damit tut sich auch Thomas Kammel, der Leiter des Neuen Kammerchors Heidenheim, etwas schwer. Im November vergangenen Jahres hielt Kammel Proben über gängige Videokonferenz-plattformen noch für ausgeschlossen. Zu Beginn des Jahres zeichnete sich jedoch vor allem aus dem Kreis der Chormitglieder der Wunsch ab, es mit Online-proben zumindest einmal zu versuchen. Und siehe da, es funktioniert – so irgendwie.
Jeden Samstag treffen sich rund 60 Mitglieder des Kammerchors im Internet und proben, eingeteilt in die einzelnen Stimmgruppen, für insgesamt bis zu vier Stunden. Der Knackpunkt an der Sache: „Die Sängerinnen und Sänger hören mich und das Klavier. Sie selber schalten ihre Mikrofone aber aus“, berichtet Thomas Kammel. Eine extrem einseitige Situation, findet der Chorleiter. „Doch es ist wichtig, den jungen Menschen jetzt eine Perspektive zu geben. Sie lechzen geradezu nach kulturellem Tun“, findet Kammel.
All diese Proben – münden die denn überhaupt in echten Auftritten? „Eigentlich ist der Kammerchor sehr aktiv, obwohl wir derzeit in der Öffentlichkeit wenig gesehen werden“, sagt Kammel. Unter dem Titel „Total sakral“konnte der Chor seit Ende vergangenen Jahres entsprechend der gültigen Corona-verordnung rund 15 Konzerte in Kirchen geben.
„Nehmen immer wieder Anlauf“
Für den Neuen Kammerchor, der normalerweise an die 40 Konzerte im Jahr gibt, und sich dabei nicht nur auf den Kreis Heidenheim oder gar auf Deutschland beschränkt, ist das verständlicherweise genau das – eine Einschränkung. Unterkriegen lässt sich der Kammerchor jedoch nicht: „Wir nehmen immer wieder Anlauf und planen neue Konzerte.
Auch wenn wir sie immer wieder absagen müssen“, erzählt Thomas Kammel.
Treue Mitglieder
Und eine weitere positive Tendenz zeichnet sich ab: Der Mitgliederschwund, den Kammel durch die fehlenden Präsenzauftritte befürchtet hatte, scheint auszubleiben. Das neueste Mitglied ist im November auf den Kammerchor-geschmack gekommen – obwohl der Chor seither sozusagen ein reiner Online-chor bleiben musste.