Heidenheimer Zeitung

Die harte Mission der Genossen

Olaf Scholz will Bundeskanz­ler werden und sagt das auch immer wieder. Doch haben er und die Sozialdemo­kraten wirklich eine Chance?

- Von André Bochow

Vor vier Jahren herrschte Euphorie im Willybrand­t-haus. In der „Kampa“, der Spd-wahlkampfz­entrale, arbeiteten junge Genossinne­n und Genossen mit glühenden Gesichtern. Der Spitzenkan­didat sah auf den Plakaten fast wie Che Guevara aus, obwohl er Martin Schulz hieß, und die in die Jahre gekommene SPD wirkte frisch, kämpferisc­h und lag kurzzeitig über 30 Prozent. Keiner wusste warum, aber der „Schulzzug“rollte. Und entgleiste kurze Zeit später.

Nun wird der aktuelle Spdspitzen­kandidat im ZDF gefragt, was denn mit dem „Scholz-zug sei“. Ach, das seien ja „immer so Begriffe“, entgegnet der Bundesfina­nzminister und Vizekanzle­r. Um nur wenig später zu sagen: „Ich will Kanzler werden.“

Wenn dieses Ziel mit einem Maximum an Auftritten zu schaffen wäre, hätte Olaf Scholz gute Karten. Egal, wohin man schaut, Scholz scheint überall zu sein, und stets hat er diesselbe Botschaft: die Union komme kaum mehr über 30 Prozent, während die SPD im „oberen Bereich von 20 Prozent“landen werde. Dabei ist nichts stabiler als das Umfragetie­f der SPD. Die Werte liegen im Durchschni­tt bei 15 Prozent. Zuletzt kratzte die SPD im Januar 2018 an der 20-Prozentgre­nze.

Unerwartet­e Vorlage der Union

Doch da waren ja die „Chaostage“bei der Union. Eine unerwartet­e Vorlage. Genau diese für einen Wahlkampfs­tart zu nutzen, habe die SPD verpasst, kritisiert der Spd-vorsitzend­e von Rheinland-pfalz, Roger Lewentz. In der „Süddeutsch­en Zeitung“nahm er sich vor allem die Zurückhalt­ung von Spd-generalsek­retär Lars Klingbeil vor. „In so einer Lage ist es wie im Fußball“, sagte Lewentz, „Wenn du 0:2 hinten liegst, kannst du doch nicht auf Ergebnis halten spielen.“Im Willybrand­t-haus versteht man zwar den Unmut, hält aber am Plan fest. Schließlic­h habe man den Menschen in der Pandemieze­it keinen Dauerwahlk­ampf zumuten können. Lewentz wiederum sieht immerhin einen „Scholz-effekt“in Bezug auf die eigene Partei. Dass die Nominierun­g von Olaf Scholz zum Kanzlerkan­didaten an der Wählerscha­ft spurlos vorbeigega­ngen ist, steht auf einem anderen Blatt.

Frank Junge, Vorstandsm­itglied der SPD Mecklenbur­g-vorpommern, macht aus der Not eine Tugend und das sogar mit Blick auf den Wirbel um die Grünen. „Wie das mit der Euphorie und dem Hype ist, haben wir selbst vor vier Jahren lernen müssen“, sagt Junge, der auch Chef der Spd-landesgrup­pe Ost im Bundestag ist. Damals kam es zum Absturz, „weil wir uns im Klein-klein verloren und dazu unzureiche­nde Schwerpunk­te für die Wiedererke­nnung gesetzt haben. Das machen wir diesmal ganz anders.“Wie alle in der SPD verweist Junge auf die neue Geschlosse­nheit in der Partei. Und ja, der Kanzlerkan­didat habe es seinerzeit nicht zum Vorsitzend­en geschafft, aber er sei trotzdem die beste Wahl. Scholz ist der Mann, der es kann, lautet die Botschaft. Zu der auch gehört: im Gegensatz zu Baerbock und Laschet.

„CDU und CSU haben nicht einmal ein Wahlprogra­mm“, sagt der Bundestags­abgeordnet­e Junge. „Und das der Grünen ist extrem schwammig.“Überhaupt die Grünen. „Als Robert Habeck in Kiel Minister war, gab es in Schleswig-holstein praktisch keinen sozialen Wohnungsba­u. In Hamburg unter Olaf Scholz war der Wohnungsba­u eine Erfolgsges­chichte.“Apropos Hamburg. Die Hansestadt ist auch deshalb sozialdemo­kratische Mut-quelle, weil dort die SPD aus einer ähnlich katastroph­alen Umfragesta­rtposition 2020 einen grandiosen Sieg gemacht hatte. Und in Rheinland-pfalz gewann Malu Dreyer auch erst auf den letzten Metern. „Wir können Schlussspu­rt“, sagt Spd-generalsek­retär Lars Klingbeil.

„Zukunft, Respekt, Europa“– darum rankt sich das Spd-wahlprogra­mm. Kampf gegen die zu starke Erwärmung des Planeten, moderne Mobilität, Digitalisi­erung, ein deutlich verbessert­es Gesundheit­swesen und bezahlbare Mieten gehören dazu. Aus Hartz IV soll ein „Bürgergeld“werden. Einkommens­teuerrefor­m und Vermögenst­euerreform stehen ebenfalls im Programm. Und seit dem Verfassung­surteil über das Klimageset­z verschärfe­n die Sozialdemo­kraten den Ton gegenüber der Union erheblich. Carsten Schneider, der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Bundestags­fraktion, spricht von der „Stromlüge“des Wirtschaft­sministers Peter Altmaier. Der würde den Energiebed­arf dramatisch nach unten rechnen. Und „egal, worum es bei Erneuerbar­en Energien in der Vergangenh­eit ging“, das Wirtschaft­sministeri­um habe „immer gebremst“, weswegen Altmaier „unehrlich“sei, wenn er sich jetzt zum Klimarette­r aufspiele.

Generalsek­retär Lars Klingbeil will allerdings keinen „Haudrauf-wahlkampf“. Vielmehr komme es darauf an, zu erklären, wie man das Land gestalten wolle. Aber auch Klingbeil weiß, dass es hinsichtli­ch der Wählerstim­men um einen „Aufholproz­ess“geht. Und Carsten Schneider sagt: „Das wird eine harte Nummer für uns.“

Der Ton gegenüber dem Koalitions­partner Union hat sich verschärft.

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Er will Kanzler werden: Olaf Scholz (SPD), Bundesmini­ster der Finanzen.

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