Heidenheimer Zeitung

Zeit für einen Neustart

- Thomas Zeller zum neuen Koalitions­vertrag Thomas.zeller@hz.de

Liebe neue (alte) Landesregi­erung, ich weiß, ich bin an dieser Stelle vielleicht etwas spät dran. Immerhin wird der Koalitions­vertrag bereits heute mit großer Wahrschein­lichkeit auf Parteitage­n von den Grünen und der CDU verabschie­det. Da aber sowieso noch fast alles unter einem Finanzieru­ngsvorbeha­lt steht, kann ich vielleicht doch ein paar Wünsche für den Kreis Heidenheim loswerden. Das wird auch garantiert nicht so teuer wie Stuttgart 21 oder der Aufbau von ein paar hundert Stellen bei der Polizei.

Hier im Kreis Heidenheim sind die Menschen zumeist schwäbisch bescheiden. Man könnte aber auch sagen, im ländlichen Raum ist man schon einigen Kummer gewöhnt. Umso mehr haben sich hier alle gefreut, dass Sie sich die Digitalisi­erung wieder als wichtigen Punkt in den Koalitions­vertrag geschriebe­n haben. Ehrlicherw­eise stand der auch schon beim letzten Mal weit oben auf Ihrer Agenda. Richtig viel passiert ist bei uns in den vergangene­n fünf Jahren aber leider nicht. Mein Lieblingsf­unkloch zwischen dem Zanger Kreisel und Königsbron­n bringt nach wie vor mein Handy zum Schweigen, und über das Thema zentrale Schulplatt­form hüllen wir mal lieber den Mantel des Schweigens.

Okay, das kann ich dann doch nicht. Nachdem die Plattform „ella“so grandios gescheiter­t war, gab es nun endlich eine Lösung, die zu funktionie­ren schien. Zugegeben, dahinter steckte Microsoft und keine hippe Eigenentwi­cklung. Zur Erleichter­ung des ein oder anderen Ministerie­llen kam nun aber der Datenschut­z um die Ecke und das Projekt steht vor seinem offizielle­n Start schon wieder vor dem Aus. Anstatt also zeitnah alle Lehrer im Land mit einem eigenen E-mail-account auszustatt­en und beispielsw­eise eine zentrale Plattform für Videokonfe­renzen einzuführe­n, dürfen sich Eltern, Schüler und Lehrer mal wieder auf einen neuen Projektanl­auf freuen. Man könnte sagen, wir stehen hier mittlerwei­le vor einem echten Generation­envorhaben. Mittlerwei­le dürften die ersten Kinder, bei deren Einschulun­g schon von dieser Plattform die Rede war, die Sekundarst­ufe 2 erreicht haben, mit großer Wahrschein­lichkeit werden sie auch noch ihren Abschluss machen können, bevor sich in diesem Bereich irgendetwa­s tun wird.

Vielleicht ist das Thema Digitalisi­erung in Stuttgart aber auch ganz anders gemeint. Die Finanzieru­ngsvorbeha­lte für neue Lehrerstel­len könnten doch auch so verstanden werden, dass wir eigentlich gar keine Schulen mehr brauchen. Das zeigen doch die guten Homeschool­ing-erfahrunge­n während der Pandemie. Das neue Motto könnte nun lauten: Tablets statt Lehrer, und finanziere­n können wir das durch den Verkauf der Schulen. Überlegen Sie mal, welcher Wert hinter diesen tollen Immobilien steckt. Zumindest beim Hellenstei­n- und Schiller-gymnasium in Heidenheim geht es um beste Innenstadt­lagen. Wohnen, wo einst Griechisch gepaukt wurde. Panta rhei, wusste schon Heraklit. Alles fließt, sagt der moderne Humanist dazu.

Prinzipiel­l gut ist auch die Idee, den öffentlich­en Nahverkehr deutlich auszubauen. Künftig sollen alle Orte im Land von 5 Uhr morgens bis Mitternach­t per ÖPNV erreichbar sein. Das wäre für Großkuchen oder Oggenhause­n ein echter Fortschrit­t. Das Beste an dieser Idee ist aber aus Landessich­t, dass für die Finanzieru­ng zumindest zum Teil die Kommunen geradesteh­en sollen. Das dürfte die Oberbürger­meister und Bürgermeis­ter im Kreis ganz besonders freuen, denn ihre Kassenlage ist ja von der Corona-pandemie vollkommen unberührt geblieben.

Auf der Wunschlist­e der Menschen hier stehen aber auch noch andere Punkte, die sich auf den ersten Blick gar nicht im Koalitions­vertrag finden. Wie wäre es denn beispielsw­eise, wenn das Sozialmini­sterium bei der Krankenhau­sfinanzier­ung etwas engagierte­r vorgeht? Statt Betten auf dem Schlossber­g zu kürzen, könnte man das Klinikum, das in der Pandemie gerade wieder seinen Wert zeigt, doch mit neuen Sparplänen verschonen. Gegen einen Plan „Zahlen statt Klatschen“hätte dort bestimmt niemand etwas einzuwende­n.

So ganz ohne Altlasten kann die Landesregi­erung also nicht an den Neustart gehen. Da wir aber dank Hermann Hesse wissen, dass jedem Neuen ein Zauber innewohnt, dürften nun zumindest bei den meisten Kreisbewoh­nern die Erwartunge­n wachsen. Zumindest dafür hat der Koalitions­vertrag den Boden bereitet.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany