Heidenheimer Zeitung

„Missgunst ist ein schlechter Motor“

Joy Denalanes neues Album „Let Yourself Be Loved“erscheint beim legendären Motown-label. Ein Gespräch über gute Liebeslied­er und ob sie eine Platte mit ihrem Mann Max Herre plant.

-

Es gibt natürlich genug Lieder über die Liebe, aber es ist ein Grundbedür­fnis, das uns alle bewegt, uns formt und ausmacht. Deshalb kann man nie genug davon erzählen. Liebe schreibt sich immer wieder neu in einem Menschen ein. Die Idee bei Liedern ist, dass diese Lieder größer werden als die Idee der Autoren und Autorinnen selbst. Dass sie womöglich eine Bedeutung anstoßen und entwickeln, die noch weitergeht.

Von Freundscha­ft, romantisch­er Liebe, der Liebe

Von welcher Liebe singen Sie?

einer Mutter zu ihrem Kind, der Liebe zwischen Geschwiste­rn und zu Eltern.

Schwer zu sagen. Es gibt sehr abstrakte Liebeslied­er,

Was macht ein gutes Liebeslied aus?

in denen das Narrativ nicht offensicht­lich ist, sondern eine Liebesgesc­hichte durch den Ton erzählt wird. Das kann eine Melodie oder ein Ausdruck im Gesang sein. Es sind unterschie­dliche Komponente­n, die ein Liebeslied zu einem guten Liebeslied machen.

Gehören auch Schmerz und eine gewisse Dringlichk­eit

Ich glaube schon. Dringlichk­eit spielt eine immense dazu?

Rolle. Das schönste Liebeslied nutzt dir nichts, wenn du das Gefühl nicht transporti­eren kannst.

Eines der schönsten deutschen Liebeslied­er ist „Mit Dir“, das Duett mit Ihrem Mann Max Herre aus dem Jahr 1999. 20 Jahre später haben Sie die Fortsetzun­g veröffentl­icht: „Das Wenigste“. Wann

Bestimmt irgendwann. Ich fände es schade, wenn

wird es ein gemeinsame­s Album geben?

wir es nicht machen würden. Wir planen aber noch nichts.

Ihre Kinder sind aus dem Gröbsten raus, da gäbe es Kapazitäte­n. Ist Mutterlieb­e eigentlich mit anderen

Ich finde nicht. Am ehesten vielleicht mit jener zu Formen der Liebe vergleichb­ar?

den Eltern. Die finde ich auch interessan­t, weil die sehr wandelbar ist und extrem unterschie­dliche Phasen durchlebt. Wenn wir auf die Welt kommen, stehen wir in absoluter Abhängigke­it von unseren Eltern. Später dann folgt das Loslösen vom Elternhaus, vielleicht auch die Antibewegu­ng, die eigenen Eltern zu hinterfrag­en, um sie dann, wenn sie viel älter geworden sind, neu zu betrachten.

Auch wenn man einen Elternteil viel zu früh loslassen

Meine Mutter habe ich vor 20 Jahren verloren. Ich musste?

war zwar erwachsen, würde mich aber als mutterlos bezeichnen. Das ist eine Leerstelle, die aber ihren Platz in meinem Leben hat. Mein Vater ist inzwischen sehr betagt. Wir haben eine ganz enge Verbindung.

Selbstlieb­e ist ein Thema bei Ihnen. Wodurch

Wir sind in dieser individual­istischen Leistungsg­esellschaf­t

wird die gefährdet? wahnsinnig damit beschäftig­t, uns zu optimieren und immer im Wettbewerb zu stehen. Auf Social-media-plattforme­n steht man in noch größerer Konkurrenz zueinander. Wenn Menschen nicht so stabil sind, neigen sie dazu, in Verunsiche­rung zu verfallen. Das ist ein Phänomen, das man in dieser Zeit gut untersuche­n kann. In meiner eigenen Blase begegnet es mir total oft, dass tolle Menschen mit einer tiefen Verunsiche­rung durchs Leben gehen. Das macht mich traurig. Ich empfinde das anders. Ich fühle mich auf verschiede­nen Ebenen sehr geliebt.

Dazu muss man sich vom Leistungsd­ruck frei

Ich kann von mir sagen, dass ich es mag, wenn Leute

machen. neben oder vor mir erfolgreic­h sind. Missgunst ist ein schlechter Motor. Davon versuche ich mich frei zu machen.

Das Gegenteil von Liebe ist Hass. Leider sprechen wir 20 Jahre nach Ihrem Debüt noch immer über Rassismus, aktuell wieder sehr intensiv.

Die individuel­len Erfahrunge­n treiben einen natürlich an. Und Rassismus ist einfach Teil meiner Lebensreal­ität. Was ich aber interessan­t und wichtig finde, ist, dass es einen gesellscha­ftlichen Blick nach innen gibt. Als ich anfing, Musik zu machen, wollten viele nicht wahrnehmen, dass wir ein Einwanderu­ngsland sind. Es gibt mittlerwei­le ein Vokabular, um die Rassismuse­rfahrung in den Strukturen unserer Gesellscha­ft zu untersuche­n. Das ist wichtig und bringt uns zu neuen Debatten. Jetzt spricht man über Phänomene und die kann man messen. Das ist wichtig für eine Gesellscha­ft und die Politik, die ein Handeln formuliert. Das sind Stufen, die man haben muss, um eine Bewegung hineinzube­kommen. Darüber kann man sich freuen, auch wenn man immer noch in einer Habachtste­llung ist.

Durch Offenheit können fragile Momente entstehen.

Warum?

Dann kommen Menschen in den Modus „Jetzt ist es aber mal gut“oder „Es ist ja nicht jeder schlecht“. Und genau das ist falsch: Es geht um Struktur und institutio­nelle Phänomene. Wir sind eine Gesellscha­ft, die sich mit Rassismus auseinande­rsetzen muss.

Dachten Sie als kleines Mädchen, dass Sie alles

Durchaus. Ich habe mich zwar als schwarzes Mädchen

erreichen können? wahrgenomm­en, über etwaige Vor- und Nachteile gegenüber meinen weißen Freundinne­n und Freunden habe ich mir aber keine Gedanken gemacht.

Glaubten Sie, dass Sie durch Ihr Geschlecht Nachteile

Auch das nicht. Meine Eltern hatten uns nie das Gefühl haben würden? gegeben, dass wir nur bis zu einem gewissen Punkt kommen. Aber sie haben uns früh für Rassismus und Diskrimini­erung sensibilis­iert. Irgendwann wurde mir klar, dass ich mich extra auf die Zehenspitz­en stellen muss. Das war aber später in der Pubertät. Da kamen dann auch die Fragen nach Gleichbere­chtigung auf.

Wie sieht es heute aus mit der Gleichstel­lung von

Die Industrie ist von Männern dominiert, das bestätigen

Männern und Frauen im Musikbusin­ess? die Zahlen. Das liegt aber nicht daran, dass Männer begabter sind oder mehr von Musik verstehen. Also liegt es an den Strukturen, die den Aufstieg der Männer befördern. Wir müssen überlegen, wie man diese ändert. Beispielsw­eise über eine Quote. Es kann ja wohl nicht richtig sein, dass es einen Pay Gap gibt, dass weibliche Künstlerin­nen bei Festivalau­ftritten weniger verdienen als Männer. Außerdem kann es nicht sein, dass bei einem Festival zu 80 Prozent Männer auftreten. Das ist der Grund, dass viele Musikerinn­en sich nicht trauen, einen solchen Weg zu gehen. Wir brauchen Frauen als Vorbilder.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany