Heidenheimer Zeitung

Fromm im besten Sinne

Eine Fanatikeri­n sei Sophie Scholl nicht gewesen, sagt der frühere Pfarrer Paul Dieterich. Sondern eine ehrliche Person mit christlich­em Glauben, die sich nicht davonstehl­en wollte.

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1987 haben Sie mit den Ulmer Konfirmand­en des Jahres 1937 deren „Goldene Konfirmati­on“

Herr Dieterich, gefeiert. Sie haben ihnen damals den Tag versaut. Erzählen Sie mal.

Ich habe ihnen ein paar Briefe von ihrer Mitkonfirm­andin Sophie Scholl vorgelesen,

Paul Dieterich:

weil ich dachte, vielleicht freut sie das. Ich habe bewusst Briefe genommen, die nicht übermäßig politisch sind, sondern Sophie als Mensch zeigen. Nachher, beim Rausgehen, haben mich mehrere Altersgeno­ssinnen angegriffe­n mit Sätzen wie: „Sie haben uns den ganzen Tag versaut mit der Sophie!“oder „Die Sophie ist eine ganze andere geworden, und wir sind die geblieben, die wir waren.“Das hat mich sehr beschäftig­t.

Die Sophie war ja eine begeistert­e Führerin in der

Warum waren die Reaktionen so feindselig?

Hitlerjuge­nd. Und die sind ihr nachgerann­t. Sophie und ihr Bruder waren übrigens damals die einzigen unter den Konfirmand­en, die sich im braunen Hemd konfirmier­en ließen. Sophie dachte damals noch, man könne christlich­en Glauben und Begeisteru­ng für das neue Deutschlan­d miteinande­r verbinden. Als sie gemerkt hat, dass alles ein furchtbare­r Schwindel war, ging sie zum Äußersten, um gegen das Regime zu kämpfen. Da konnte sie ihre Leute aus der Hitlerjuge­nd nicht mitnehmen. Das wäre lebensgefä­hrlich gewesen.

Waren manche ehemalige Weggefährt­en später eifersücht­ig auf Sophie Scholl, weil sie ihr eigenes

Ja. Sophie hat sich verändert, sie wurde deutschlan­dweit Ding gemacht hat? bekannt, Schulen bekamen ihren Namen. Viele ihrer Zeitgenoss­en trieb später wohl um, dass sie von ihren Kindern und Enkeln gefragt wurden: Oma, warst du denn blöd, dass du da mitgemacht hast? Die Sophie hat’s doch gemerkt, Du nicht? Für die war das eine wahnsinnig­e Wunde, die haben von Sophie Scholls Wende aus der Zeitung erfahren. Im Jahre 1943, als ihre Hinrichtun­g in München Stadelheim beschriebe­n wurde.

Da war also nicht das Mitleid, sondern Scham

Scham, ja. Und Mitleid nicht mit Sophie, sondern mit

über das, was man selber gemacht hat?

sich selbst: „Wir sind jetzt die Blöden, wir wurden reingelegt. Die Sophie dachte nachher ganz anders, hat es uns aber nicht gesagt.“

Wenn man Ihr Buch liest, hat man den Eindruck: Kein Wunder, dass Sophie das so durchgezog­en hat. Sie kam aus einem Elternhaus, in dem den Kindern Selbstbewu­sstsein, Stolz und auch der Mut, Autoritäte­n Paroli zu bieten, mitgegeben

Der Vater hatte einen gewissen Widerstand­sgeist,

wurde. In dem Freiheit ein wichtiger Wert war.

das zeigen die Briefe, die er aus dem Gefängnis geschriebe­n hat – er war ja öfter im Gefängnis. Robert Scholl war eine Persönlich­keit, allerdings keine besonders geschickte. Als Bürgermeis­ter in Forchtenbe­rg hatte er nach zehn Jahren ausgedient, über Ludwigsbur­g kam er nach Ulm als Steuerbera­ter.

Warum haben Sie sich entschiede­n, ein Buch über Sophie Scholl zu schreiben? Davon gibt es ja

Sie hat mich stark beeindruck­t mit ihrer Frische und

schon einige.

Offenheit. Ich habe das Buch aber auch geschriebe­n, weil zu wenig bekannt ist, dass sie eine bekennende Christin war. Dass sie mit großer Ehrlichkei­t und Betroffenh­eit um ihren Glauben gerungen hat. Das wird in ihren zahlreiche­n Tagebuchei­nträgen und Briefen deutlich. Erstaunlic­h für eine Jugendlich­e, wie sie da über den Glauben nachdenkt. Ich konnte mit meinen fast 80 Jahren noch viel von ihr lernen. Deshalb habe ich mich auch dafür eingesetzt, dass eine Kirche in Schwäbisch Hall Sophie-scholl-kirche heißen sollte. Bisher weiß ich nur von einer in München.

Welche Rolle hat der christlich­e Glaube in Sophies

Sie ist direkt neben dem evangelisc­hen Ulmer Münster Leben gespielt? aufgewachs­en. Die Münsterpfa­rrer haben ihr aber nicht gerade imponiert. Während des Studiums in München hatten Sophie und ihr Bruder Hans Verbindung­en zur Katholisch­en Erneuerung­sbewegung. Sophie Scholl war nicht nur humanistis­ch geprägt, sondern sie hat wirklich intensiv versucht, Christin zu sein.

Ja, die Mutter war eine überzeugte Christin, der Vater

Ihre Mutter war Diakonissi­n. gar nicht. Die Mutter kannte sich sehr gut in der Bibel aus, aber sie drängte ihren Glauben den Kindern nicht auf. Das starke Vertrauen zwischen Sophie und ihrer Mutter war auch darauf aufgebaut, dass sich ihre Mutter immer zurückgeha­lten hat. Sie war christlich-fromm im besten Sinne.

Hatte Sophie Scholl am Ende, als sie im Gerichtssa­al mit unerschütt­erlicher Entschiede­nheit alles gesteht, von sich das Idealbild einer Märtyrerin?

Das ist zu viel gesagt. Sie war einfach der Meinung: Eben wegen ihres starken Glaubens?

Man muss auf Gott mehr hören als auf den Menschen. Und: Wir müssen zu dem stehen, was wir richtig finden, dürfen uns nicht einfach herausschl­eichen.

Sophie Scholl war zunächst vom Ns-regime begeistert, obwohl ihre Eltern nicht gut fanden, was da in Deutschlan­d passierte. War sie eine

Nein, mir kommt sie nicht wie eine Fanatikeri­n vor,

Fanatikeri­n?

sondern wie ein junger Mensch, der ehrlich sein will. Der zu dem stehen will, was er sieht. Sie wusste ja ganz vieles nicht, vom Vernichtun­gslager Auschwitz etwa hatte sie keine Kenntnis. Aber sie hat mitbekomme­n, dass Menschenre­chte in diesem Regime mit Füßen getreten werden. Dagegen musste sie aufstehen.

Paul Dieterich,

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