Ddears Secehswteinrnde n
Einst waren sie massenhaft vor der kalifornischen Küste zu finden. Seit einigen Jahren setzt Seesternen ein rätselhaftes Massensterben zu. Forscher suchen nach der Ursache.
Erst bekommen sie weiße Flecken, dann wird die Haut schwabbelig. Zuweilen lösen sich einzelne Arme ab und wandern selbstständig über den Meeresgrund weiter. Am Ende löst sich der gesamte Seestern in eine undefinierbare Masse auf. Das ist keineswegs die Kopfgeburt eines Horrorfilm-regisseurs mit zu viel Phantasie, sondern ein realistisches Szenario, das sich bereits seit einigen Jahren an der Pazifik-küste von Mexiko bis Alaska abspielt. Das „Sea Star Wasting Syndrome“(deutsch in etwa: Seestern-verfalls-syndrom) wurde erstmals 2013 massiv festgestellt. Zuvor hatte es in den Gewässern zwar immer wieder vereinzelte Massensterben gegeben, aber niemals in diesem Ausmaß. Und nicht so anhaltend: Die Bestände haben sich bis heute nicht erholt. Während man in den Tidenpolen bei Ebbe einst zahlreiche Seesterne beobachten konnte, bleiben die Felsen mittlerweile weitgehend leer. Betroffen sind quasi alle vorkommenden Arten. Besonders schwer hat es aber den Sonnenblumenseestern (Pycnopodia helianthoides) erwischt, der bis zu einem Meter groß werden kann: Er ist inzwischen vom Aussterben bedroht, die Prognose ist schlecht. Lediglich an der Küste vor Alaska scheint sich ein kleiner Bestand halten zu können.
Wie man den Tieren helfen könnte, ist unklar. Denn dazu müsste man wissen, was genau mit den Seesternen los ist. Das rätselhafte Phänomen beschäftigt Wissenschaftler seit Ausbruch des Massensterbens. Anfangs hatte man gedacht, ein Virus könnte verantwortlich sein. Das scheint aber ein Fehlschluss zu sein, wie eine aktuelle Studie von Us-amerikanischen Forschern verschiedener Institute ergeben hat, veröffentlicht wurde sie in der Fachzeitschrift „Frontiers in Microbiology“. Die betreffenden Viren, fand das Team heraus, halten sich auch in gesunden Seesternen auf, ohne diese zu beeinträchtigen. Und nicht in allen toten Tiere wurden die Viren gefunden. „Offenbar gehören die Viren zum Mikrobiom der Seesterne“, schreiben die Forscher.
Was aber setzt den Meeresbewohnern dann derart zu? Es handelt sich wahrscheinlich um eine sehr komplexe Wechselwirkung der Seesterne mit ihrer Umgebung, so das Ergebnis der Studie. Seesterne atmen normalerweise durch zahlreiche Öffnungen an ihrer Oberseite, die ein wenig wie Kiemen funktionieren: Durch sie filtern sie den Sauerstoff aus dem Meerwasser. Genau dieser Vorgang ist bei den befallenen Seesternen gestört, so die Forscher. Die dünne Grenzschicht zwischen Seesternkörper und Ozean enthält dann sehr wenig Sauerstoff – selbst dann, wenn im übrigen Wasser genügend davon vorhanden ist.
Ausgelöst wird das von bestimmten Bakterien, die Zu wenig Sauerstoff in sehr nährstoffreicher Umgebung leben. Durch ihren Stoffwechsel verbrauchen sie viel Sauerstoff, sodass die Seesterne nicht mehr genügend davon aufnehmen können. Das kann zum einen zur Folge haben, dass die Tiere allgemein geschwächt sind und leichter anderen Erregern zum Opfer fallen. Ganz direkt kann es aber auch bewirken, dass Zellen absterben – was die Läsionen und das sich auflösende Gewebe erklären würde.
Die Forscher stellten im Versuch nach, wie die Seesterne auf die Anwesenheit der betreffenden Bakterien und auf sauerstoffarmes Wasser reagieren – in beiden Fällen entwickelten sie Läsionen, während Kontrollgruppen unter normalen Lebensbedingungen unversehrt blieben. Warum gerade die großen Sonnenblumenseesterne derart massiv betroffen sind, erklären sich die Forscher damit, dass sie von einer dickeren Grenzschicht zwischen Körper und Ozean umgeben sind. Eine Sauerstoffknappheit in dieser Schicht macht sich stärker bemerkbar, da das sauerstoffreiche Wasser sie weniger gut durchdringen kann.
Was genau diese Anomalie allerdings ausgelöst hat und immer noch auslöst, ist Gegenstand der Spekulation. Relativ wahrscheinlich ist aber, dass sich die nährstoffliebenden Bakterien durch Überdüngung der Meere, etwa durch landwirtschaftliche und industrielle Abwässer, übermäßig vermehren. Dass die Meere durch den Klimawandel immer wärmer werden, trägt zudem zur Vermehrung der Bakterien bei. Immerhin setzte das Sterben wenige Wochen nach einer Meereshitzewelle ein. Und: Wärmeres Wasser kann weniger Sauerstoff aufnehmen als kühleres, weshalb der Sauerstoffgehalt womöglich generell niedriger ist als die Seesterne gewohnt sind.
Das Massenstreben aufzuhalten, dürfte sich als schwierig gestalten, schreiben die Forscher. Zwar wurde vereinzelt beobachtet, dass sich erkrankte Seesterne wieder erholen können. Aber je mehr Seesterne sterben, desto mehr Nährstoffe gelangen durch ihre Zersetzung ins Meer. Die Bakterien gedeihen also immer besser – ein Teufelskreis entsteht.
Die negativen Auswirkungen betreffen indes nicht nur die Seesterne, betonen die Forscher. Die Tiere nehmen eine Schlüsselrolle im Ökosystem der pazifischen Küstengewässer ein, allen voran der große Sonnenblumenseestern. Zur Lieblingsspeise der Tiere zählen Seeigel und Muscheln. Ohne ihre natürlichen Fressfeinde explodiert vor allem der Seeigel-bestand, da diese auch nicht von menschlichen Fischern dezimiert werden. Seeigel wiederum grasen in großem Stil die Kelpwälder ab – das sind besonders hochwachsende Seetang-arten, die einen stark strukturierten Lebensraum bilden, in dem sich zahlreiche Fischarten und andere Meeresbewohner wohl fühlen. Vor Kaliforniens Küste seien bereits etwa 90 Prozent der Kelpwälder verschwunden, schreiben die Forscher. Zurück bleibt eine Unterwasserwüste.
Dass sich die Tangwälder wieder erholen, ist unter den gegebenen Umständen schwierig. Es sei denn, auch die Seeigel werden von einer Seuche befallen. Wie sich das aber auf das gesamte Ökosystem auswirken würde, ist ungewiss.