Heidenheimer Zeitung

Neue Köpfe, neue Verwendung

Das dritte Kabinett Kretschman­n wird jünger, bunter – und größer. Und es lässt Raum für neue Spekulatio­nen über Nachfolgek­andidaten für den Ministerpr­äsidenten.

- Von Roland Muschel

Am Sonntag war der frühere Grünen-bundeschef Cem Özdemir schon mal vorgepresc­ht und hatte dem bisherigen Grünen-bundestags­abgeordnet­en Danyal Bayaz via Twitter zum Wechsel ins Stuttgarte­r Finanzmini­sterium gratuliert. „Eine echte Bereicheru­ng“für Baden-württember­g sei die Personalie, über die seit Tagen spekuliert wird, die Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n aber erst am Montagnach­mittag in der Sitzung der Grünen-landtagsfr­aktion bekannt gegeben hat.

Überrasche­nd war die Benennung des 37 Jahre alten Bayaz daher nicht mehr. Eine echte Überraschu­ng ist sie dennoch, auch wenn sein Name schon vergangene­s Jahr gefallen war, als es um die Neubesetzu­ng der Stelle des Bevollmäch­tigten des Landes beim Bund ging. Die aber hatte Kretschman­n schon damals seinem Regierungs­sprecher Rudi Hoogvliet für die Zeit nach der Wahl in Aussicht gestellt, für die Zwischenze­it sollte sich der vormalige Umwelt-staatssekr­etär Andre Baumann in Berlin den letzten Schliff für eine spätere Verwendung als Minister holen. Doch während Hoogvliet nun die um das Stimmrecht im Kabinett und die Zuständigk­eiten für Brüssel aufgewerte­te Staatssekr­etärs-stelle in Berlin antreten kann, wird Baumann, was er vor seinem Berlin-ausflug war: Umwelt-staatssekr­etär. Politiker-karrieren sind schwer planbar. Immer kann in letzter Minute noch etwas dazwischen­kommen, Regionalpr­oporz, Parität, Parteiflüg­el – oder das eigene Profil.

Bayaz jedenfalls ist ein Name, der in Stuttgart schon vor Amtsantrit­t für Spekulatio­nen sorgt. Jung, eloquent, Realo, mit der bayerische­n Grünenfrak­tionschefi­n Katharina Schultze liiert und auf Bundeseben­e bestens vernetzt: Baut Kretschman­n hier neben Fraktionsc­hef Andreas Schwarz – getreu dem Motto: teile und herrsche – einen weiteren Nachfolger­kandidaten auf? Vorerst jedoch warten auf den früheren Unternehme­nsberater Bayaz die Mühen der Ebenen – und eine unschöne Ausgangsla­ge: Die Kassen des Landes sind leer – und alle Vorhaben im ambitionie­rten Koalitions­vertrag stehen unter Haushaltsv­orbehalt.

Ebenfalls herausford­ernd sind die Aufgaben, die auf die anderen beiden neuen grünen Fachminist­er zukommen, Theresa Schopper (Bildung) und Thekla Walker (Umwelt). Bislang hatten sich die Grünen an das Kultusmini­sterium, das als schwierig zu führen gilt, nicht herangetra­ut. Nun soll Kretschman­ns bisherige Staatsmini­sterin Schopper – der in alter Funktion Kretschman­ns früherer Büroleiter Florian Hassler nachfolgt – das Kunststück gelingen, die unterschie­dlichen Interessen in der Bildungsla­ndschaft und die hohen Erwartunge­n zu befriedige­n. Der bisherigen Fraktionsv­ize Walker wiederum kommt als neuer Umweltmini­sterin die Aufgabe zu, die grün-schwarzen Überschrif­ten vom „Klimaland“Baden-württember­g in die Realität umzusetzen. Mit Theresia Bauer (Wissenscha­ft), Winfried Hermann (Verkehr) und Manfred Lucha (Soziales) bleiben auf grüner Seite zudem drei erfahrene Kräfte im Amt.

Kretschman­n hatte durch den Zugriff auf das Kultus- als sechstem grünen Fach-ressort und dem freiwillig­en Abschied seiner bisherigen Finanzmini­sterin Edith Sitzmann sowie seines Umweltmini­sters Franz Unterstell­er reichlich Möglichkei­ten für Neubesetzu­ngen. Cdu-landeschef Thomas Strobl musste sich den gewünschte­n Spielraum erst erkämpfen. Gegenüber den Grünen durch die Schaffung des neuen Wohnraummi­nisteriums, womit der CDU fünf Ministerpo­sten erhalten bleiben, sowie durch eine Vermehrung der Staatssekr­etärsposte­n. Und intern durch die Ausbootung des bisherigen Justizmini­sters Guido Wolf, dem fachlich nichts vorzuwerfe­n war, den Strobl aber für illoyal hält, sowie durch den auf Wolfgang Reinhart aufgebaute­n Druck, auf den letzten Metern auf ein Ministeram­t zu verzichten und stattdesse­n den Posten des Landtags-vize-präsidente­n anzunehmen. Der 65-Jährige hatte erst vergangene Woche den Weg für einen Generation­swechsel an der Fraktionss­pitze freigemach­t, in der Annahme, ins Kabinett zu wechseln. Doch dann entlud sich der Frust über das Wahldesast­er und die Erwartunge­n an personelle Erneuerung an dieser Personalie, zumal er als Mann aus Nordwürtte­mberg auch noch dem Geschlecht­er- und Regionalpr­oporz im Wege stand.

So kann Strobl, der wieder Vize-ministerpr­äsident und Innenminis­ter wird, neben der weiter gesetzten Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-kraut zwei neue Ministerin­nen präsentier­en: Die bisherige Fraktionsv­ize Nicole Razavi darf das neue Ministeriu­m für Landesentw­icklung und Wohnen aufbauen, die Abgeordnet­e Marion Gentges das Justizmini­sterium von ihrem südbadisch­en Parteigäng­er Wolf übernehmen. Beide Personalie­n standen erst spät fest; dass Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk, ein langjährig­er Vertrauter von Strobl, im Amt bleibt, dagegen schon früh. Mehr Ministerin­nen als Minister – das gab’s bei der CDU auch noch nie.

Diesen Dienstag wird die Ministerli­ste offiziell vorgestell­t, am Mittwoch soll Kretschman­ns Mannschaft vereidigt werden.

Parität, Regionalpr­oporz, Parteiflüg­el: Politiker-karrieren sind schwer planbar.

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