„Weil ich die Bilder nie vergessen kann“
Seit 25 Jahren hilft Helene Dingler aus Königsbronn im Norden Ugandas. Wie sie dazu kam, was sie auf ihren Reisen in das ostafrikanische Land erlebt hat und die Auswirkungen von Klimawandel und Corona.
Die Zeit ist wie im Flug vergangen“, sagt Helene Dingler. Sie sitzt in der großen Küche an einem Holztisch auf dem Seegartenhof zwischen Oberkochen und Königsbronn. Dort lebt sie, vor allem dort arbeitet sie Tag für Tag für Menschen, die weit entfernt leben. Es ist 25 Jahre her, da hat Helene Dingler begonnen, den Notleidenden in Uganda zu helfen. „Ich hätte nie gedacht, dass sich das so entwickelt“, sagt sie. Noch zwei Monate, dann wird sie 84 Jahre alt.
Sobald es geht, möchte sie wieder in das ostafrikanische Land reisen. Auch, um zu sehen, wie die Spenden der Menschen von der ganzen Ostalb dort eingesetzt werden. „Das wäre das elfte Mal“, sagt sie. „Ich hatte 2020 schon die Koffer gepackt. Dann kam Corona.“
Hilfe für Kriegs-leidtragende
Helene Dinglers Engagement beginnt 1996, als sie Josef Gerner kennenlernt. Der Comboni-pater, im Norden Ugandas in Kitgum stationiert, ist auf Besuch in der Heimat. Von ihm erfährt sie, wie die Menschen dort inmitten eines blutigen Rebellenkriegs leiden. Es fehlt an Nahrung, Medizin, an all den Dingen, die man zum Überleben braucht. Die Lord‘s Resistance Army (LRA) überzieht vom Sudan aus das Land mit Terror. Bilder von zwangsrekrutierten Kindersoldaten, die zu Mördern auch an den eigenen Familien gemacht werden, gehen um die Welt.
Es ist die Zeit, in der Helene Dingler auf dem neu gegründeten Bauernmarkt in Herbrechtingen ihre selbst gemachte Floristik und Arbeiten aus Ton verkauft. „Als ich hörte, was Pater Gerner erzählte, wusste ich, warum ich das machen werde“, erinnert sich Helene Dingler. Der erste Markt in Herbrechtingen ist bereits für Uganda. 400 D-mark kommen zusammen. Heute sind es wie zuletzt in Oberkochen bis zu 1000 Euro. Tausende Pakete mit Verbandsmaterial hat die Königsbronnerin seitdem nach Uganda geschickt. Wegen Corona geht aber auch das im Moment nicht.
Rotwein und Valium vorm Flug
Das erste Mal selbst reist Helene Dingler 2004 nach Uganda. Ihr erster Flug überhaupt. Sie hat Angst davor, doch die mitreisende Ärztin hat einen unkonventionellen Tipp: „Rotwein und Valium, damit ging es“, so die heute 83-Jährige. Die kleine Propellermaschine, die sie in den Norden bringt, fliegt Schleifen, um dem Rebellenfeuer zu entgehen. In ihrer ersten Nacht hört sie Schüsse. „Ich hatte Todesangst.“Am Morgen erfährt sie: Alltag im Bürgerkrieg. Auch Helene Dingler gewöhnt sich daran.
„Zehn Jahre lang ging es dort immer nur ums Überleben“, sagt sie. Bei dieser und weiteren Reisen lernt sie ehemalige Kindersoldaten kennen, viele von Rebellen verstümmelt. Eine Frau, die drei Tage lang schwer verletzt unter einem Berg Leichen lag. Bilder, die sie nie vergisst und die sie weiter antreiben, so Helene Dingler. Sie spendet Blut für zwei Kinder, die sonst sterben müssen und ist froh, dass die Rasierklinge, mit der der Arzt kommt, nur zum Pflasterabschneiden ist.
Als die Bomben explodieren
Die schlimmste Reise aber unternimmt sie im Jahr 2016. Helene Dingler und ihre Mitreisenden Dr. Juliane und Karl Kost warten in Brüssel auf ihren Weiterflug nach Afrika. Dann explodieren die Bomben. „Wir waren hinten an den Gates, die Explosion war in der vorderen Halle“, erzählt sie. Sie hören nichts, aber ein weiterer Mitreisender erzählt von Rauch, den er gesehen habe. Dann geht es auch schon los, ohne Gepäck, nur mit dem Handgepäck. „Ich hatte darin vor allem die Geschenke,
die mir Menschen noch kurz vor der Abreise gegeben hatten“, sagt Helene Dingler. Kamm und Zahnbürste gehörten nicht dazu.
Zu Tausenden werden die Menschen aus dem Flughafen evakuiert, kommen in einen Hof. Erfahren, dass sich zwei Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt haben, ein dritter seinen Sprengstoffgürtel weggeworfen hatte. „Wer weiß, was sonst noch passiert wäre“, sagt Helene Dingler. Am Ende des Tages sind bei diesem Anschlag und einem weiteren in der U-bahn 36 Menschen getötet, 340 verletzt worden.
Von einer Turnhalle, wo alle untergebracht werden, geht es weiter in ein Hotel, tags darauf mit dem Bus nach Frankfurt. Ans Umkehren denkt keiner. Anderntags geht es weiter nach Äthiopien, wo die Reisenden auf dem Flughafen auf vier Metallliegen übernachten. Fünf Tage ist Helene Dingler von Königsbronn aus unterwegs, als sie endlich in Kitgum ankommt.
Zahlreiche Hilfsprojekte
Nach dem Bürgerkrieg ging es dort aufwärts. Mit Hilfe der Uganda-hilfe konnten zahlreiche Hilfsprojekte organisiert werden. Alle sind akribisch aufgelistet. Von Anfang an überweist ihr Mitstreiter Berthold Ziller nicht einfach nur das Geld aus den Spenden und dem Erlös der Bauernmärkte. „Es gibt die Anfrage mit einem Kostenvoranschlag und anschließend dann auch die Abrechnung“, sagt sie. Fahrzeuge, Renovierungen an Schulen, Ochsengespanne, Brunnen, 400 Stockbetten, Mithilfe beim Neubau einer Schwestern- und Hebammenschule, Mikroskope, Ultraschallgeräte, ein Endoskop für Kinder, die Unterstützung einer
Handwerkerschule, ein Schlafsaal in einem Waisenhaus für Gehörlose, zuletzt 100 Fahrräder. All diese und mehr Hilfen gingen nach Uganda nicht nur an Pater Gerner, sondern auch Missionare im Südsudan und in die Region Gulu.
Überall hat die Pandemie die Lage wieder verschärft. „Hunger gab es da immer, aber jetzt ist er wieder ein großes Problem“, so Helene Dingler. Der Klimawandel setze den Ernten zu, zuletzt hätten die Heuschrecken das Land überzogen. Die Ausgangssperren verhindern, dass die Kleinbauern das Wenige, was sie könnten, verkaufen können. Weil die Busse nicht mal die Krankenhäuser anfahren, seien 1000 Kinder bereits an Malaria gestorben. Und die, die zur Schule kommen würden, hätten nichts zu essen, wie Pater Gerner berichte. Selbst das medizinische Personal hungere.
„Alles wird teurer. Antibiotika kosten mittlerweile 200 Euro“, sagt Helene Dingler. „Wo Hilfe am notwendigsten ist, sieht man nur vor Ort“, sagt sie. Deshalb wird sie wieder nach Uganda reisen. „Sobald Corona vorbei ist.“