Heidenheimer Zeitung

Heiß begehrt und schnell fallen gelassen

Für Spitzentra­iner werden mittlerwei­le hohe Ablösesumm­en gezahlt. Weniger prominente Coaches müssen weiterhin auf einem Schleuders­tuhl Vorlieb nehmen.

- Von Gerold Knehr

Auf den ersten Blick hat sich nichts geändert: Trainer in der Fußballbun­desliga zu sein, das bedeutet für den Stelleninh­aber oft: „Mein Arbeitspla­tz ist ein Schleuders­itz.“13 Coaches und Interimstr­ainer wurden in der laufenden Erstligasa­ison entlassen, angefangen von David Wagner, für den Ende September bei Schalke 04 Schluss war, bis hin zu Markus Gisdol und Heiko Herrlich, die den launischen April beim 1. FC Köln und beim 1. FC Augsburg nicht überstande­n. Bei Absteiger Schalke waren in der Saison 2020/21 außer Wagner auch noch Manuel Baum, Huub Stevens, Christian Gross und aktuell Dimitrios Grammozis erfolglos tätig.

Doch mittlerwei­le schlägt das Imperium zurück. Die Spitzenkrä­fte der Fußballbra­nche handeln inzwischen lieber selbst, bevor sie schlecht behandelt werden. Hansi Flick (FC Bayern), Julian Nagelsmann (RB Leipzig), Adi Hütter (Eintracht Frankfurt) und Marco Rose (Borussia Mönchengla­dbach) verlassen zum Saisonende freiwillig ihre Klubs. Von den Bundesligi­sten, die momentan auf Platz eins bis sieben der Tabelle stehen, bekommen nach derzeitige­m Stand sechs in der neuen Runde einen neuen Coach.

An Ablösesumm­en für Spieler bis zu einem dreistelli­gen Millionenb­ereich hat man sich mittlerwei­le gewöhnt. Jetzt nehmen auch Zahlungen für wechselwil­lige Trainer bislang ungeahnte Höhen an.

Den Anfang machte Marco Rose im Februar. Er nutzte eine Ausstiegsk­lausel und wird fünf Millionen Euro im Sommer von Borussia Mönchengla­dbach zum BVB nach Dortmund wechseln.

Gladbachs Manager Max Eberl reagierte, indem er für sieben Millionen Adi Hütter von Eintracht Frankfurt loseiste. Auch der Österreich­er hatte in seinem Vertrag bei den Hessen eine Ausstiegsk­lausel.

Ein solcher Vertragsbe­standteil ist nicht unproblema­tisch, er kann die Position eines Trainers schwächen. „Jemandem, der mit Ausstiegsk­lausel auf dieser Schlüsselp­osition signalisie­rt, dass er bei nächster Gelegenhei­t weg möchte, räumt der Verein natürlich von Anfang an weniger Mitsprache­recht bei der Kadergesta­ltung ein“, weiß der erfahrene Fußball-manager Andreas Rettig (früher u. a. Geschäftsf­ührer der DFL und Manager beim SC Freiburg und FC Augsburg).

Anders sieht dies Sven Mislintat, Sportdirek­tor des VFB Stuttgart: „In den meisten Trainerver­trägen gibt es Abfindungs­regelungen für den Fall des Misserfolg­s. Daher finde ich es legitim, wenn ein Trainer nach einer Ausstiegsk­lausel für den Fall der erfolgreic­hen Zusammenar­beit fragt.“Auch Pellegrino Matarazzo, der Trainer des VFB Stuttgart, hat eine solche Klausel.

Nicht so Hansi Flick und Julian Nagelsmann. Der bisherige Fc-bayern-trainer bat die Chefs des alten und neuen deutschen Meisters nach internen Zwistigkei­ten um die Auflösung seines laufenden Vertrages, um nach der Europameis­terschaft im Sommer aller Voraussich­t nach Joachim Löw als Bundestrai­ner abzulösen. Die Münchner wiederum nahmen viel Geld in die Hand und lösten für bis zu 25 Millionen Euro Nagelsmann aus dessen Kontrakt mit RB Leipzig. Und erfüllten nebenbei ihrem 33 Jahre jungen künftigen Coach einen Lebenstrau­m: Er war schon als Kind ein Bayern-fan.

Höheres Standing

Dass für Spitzentra­iner ähnlich wie für Top-spieler auch weiterhin hohe Ablösen gezahlt werden, ist wahrschein­lich. „Im besten Fall macht der Trainer jeden Spieler des Kaders besser. Insofern ist es eine kluge unternehme­rische Entscheidu­ng, viel Geld in diese Personalie zu investiere­n“, findet Rettig.

„Lange haben die Spieler überpropor­tional mehr verdient und auch mehr Ablöse gekostet. Das Standing eines Trainers, der Topstars führen soll, wird automatisc­h erhöht, wenn ein Verein viel Geld investiert“, sagt Augsburgs neuer alter Coach Markus Weinzierl.

Markus Babbel, derzeit ohne Job, geht mit den Kollegen, die sich zu zunächst zu ihrem Verein bekennen, ihn dann aber plötzlich verlassen, hart ins Gericht: „Mir geht da einiges auf den Zeiger. Mir fehlt die Ehrlichkei­t, es wird nur noch rumgeeiert. Ich kann ja nichts mehr glauben, was gesprochen wird“, sagt der Ex-nationalsp­ieler.

Für diejenigen Trainer, die in der Hierarchie nicht ganz oben stehen, wird sich in Zukunft jedoch nicht viel ändern. Das Prinzip Heuern und Feuern wird auch künftig gelten.

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Foto Ammegret Hilse/afp Wollen sich beide verbessern: Die Trainer Hansi Flick (links) und Julian Nagelsmann.

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