„Ein genialer Tüftler“
Mit farbkodierten Stromkabeln revolutionierte der Ingenieur Oskar Lapp die Verbindungstechnologie, er wäre dieser Tage 100 Jahre alt geworden. Seine Erfindung wurde ein Welterfolg.
Es ist gar nicht so lange her, dass sich Elektriker herumquälen mussten, wenn sie ein Kabel anschließen wollten. Es brauchte einen Tüftler, der nach dem Krieg von Thüringen ins Schwäbische zugewandert war, um dies zu ändern. Vor sechs Jahrzehnten hatte Oskar Lapp die Idee, den Adern im Stromkabel unterschiedliche Farben zu geben. Damit legte er in Stuttgart den Grundstein für ein Unternehmen, das heute weltweit führend im Bereich der Kabel- und Verbindungstechnologie ist. In diesem Jahr wäre der Firmengründer 100 Jahre alt geworden.
Mit seiner Erfindung landete Oskar Lapp einen doppelten Coup: Mit der ersten industriell gefertigten Steuerleitung revolutionierte er die Verbindungstechnologie. Zuvor musste in einem mühsamen Verfahren, „Durchklingeln“genannt, beim Anschließen geprüft werden, welchen Enden die einheitlich schwarz oder grau gefärbten Adern zugeordnet werden mussten. Außerdem entstand unter dem Namen „Ölflex“für das besonders flexible und gegen Öl unempfindliche Kabel eine Marke, die bis heute das Herz des Unternehmens Lapp Holding AG ausmacht. Der international agierende Hersteller produziert aktuell mit weltweit mehr als 4500 Mitarbeitern alles, was zum Transport von Energie und Daten nötig ist.
Lapp steht mit seiner zündenden Idee und seiner Arbeitseinstellung beispielhaft für das deutsche Wirtschaftswunder. „Aus technikhistorischer Perspektive ist die Farbkodierung der einzelnen Leitungen eines Stromkabels auch ein einprägsames Beispiel für die erfolgreiche wirtschaftliche Umsetzung einer Innovation“, sagt Thomas Schütz von der Universität Stuttgart. Als Experte für die südwestdeutsche Technik- und Wirtschaftsgeschichte hat sich der wissenschaftliche Mitarbeiter auch mit der Firma Lapp befasst. Die Geschichte des Unternehmens sei gerade im Südwesten kein Einzelfall.
Am praktischen Nutzen der Weltneuheit besteht für Schütz kein Zweifel. „Stellen Sie sich vor, wie schwierig es gewesen sein muss, ein Haus oder etwas Komplexeres wie einen Flughafen zu verkabeln, ohne zu wissen, welche Leitung welche ist.“Mit der Farbkodierung der Kabel sei es hingegen kinderleicht, die entsprechenden Enden einander zuzuordnen.
Das Unternehmen, das bis heute von der Familie geführt wird, hält das Andenken an den Firmengründer hoch. „Unser Vater ist unser großes Vorbild“, sagt Andreas Lapp, Vorstandsvorsitzender der Holding. „Mein Mann war tüchtig, und er hatte wirklich alle guten Gaben vom lieben Gott mitbekommen“, beschreibt Ursula Ida Lapp (90) ihren Mann, der am 25. April 1987 an einer Herzkrankheit verstorben ist.
Oskar Lapp wurde 1921 in Benshausen in Thüringen als eines von vier Kindern einer Handwerkerfamilie geboren. Er musste als Soldat in den Krieg ziehen, kam in sowjetische Gefangenschaft und landete nach seiner Flucht aus der DDR schließlich in Stuttgart. Der Neustart war schwierig, erinnert sich seine Ehefrau. „Es waren damals sehr harte Zeiten. Wir waren aus Thüringen geflüchtet und hatten nichts mehr außer uns selbst“, erinnert sich Ursula Ida Lapp. Ihr Mann hatte bei der Firma Harting eine Anstellung als Ingenieur gefunden, wo er mit neuen Ideen auf sich aufmerksam machte, darunter ein verbesserter Steckverbinder. „Er war einfach ein genialer Erfinder und Tüftler“, schwärmt seine Frau.
Sonntags beim Tee erzählte er seiner Frau von der Idee mit den farbigen Leitungen erzählt. Das war die Geburtsstunde von Ölflex, der ersten industriell gefertigten Anschluss- und Steuerleitung mit farbigen Adern und deutlich kleinerem Durchmesser als zuvor üblich. Ein Wuppertaler Kabelhersteller produzierte sie nach den Vorstellungen Lapps. Mit einem Bankkredit machte er sich 1959 selbstständig. Die neugegründete Firma U. I. Lapp trug den Namen von Ursula Ida Lapp. Weil Oskar Lapp noch bei Harting angestellt war, ließ sie sich als Unternehmensgründerin ins Handelsregister eintragen.
Die Firma ging in der Garage des Wohnhauses des Ehepaares in Stuttgart-vaihingen an den Start. Oskar Lapp hatte in seiner Frau eine ebenbürtige Partnerin, für die damalige Zeit eine ungewöhnliche Rolle. „Wir haben beide sehr hart gearbeitet“, erinnert sich Ursula Ida Lapp. Er im Außendienst, sie blieb mit drei kleinen Kindern zu Hause und schrieb Werbebriefe und machte die Buchhaltung.
„Zur Unterstützung haben wir schon nach kurzer Zeit einen Elektrofachmann eingestellt, der mit mir oft mit dem Handwagen und später mit dem VW-BUS zum Güterbahnhof fuhr. Dort haben wir die bestellten Kabel, die in Ringen geliefert wurden, etikettiert und gleich weiter versandt“, erinnert sich Ursula Ida Lapp. Freizeit und Urlaub gab es nicht. „Wir haben höchstens sonntags mit den Kindern kleinere Ausflüge in die Umgebung gemacht. Das Geld, das wir verdienten, investierten wir in den Ausbau unserer Firma“, sagt die rührige Unternehmerin, die nach dem frühen Tod ihres Mannes die Verantwortung im Betrieb übernahm.
Lapp setzte Qualitätsstandards, bot auch fertig produzierte Kabelstränge mit bis zu 130 farbigen Adern an. Die Nachfrage war enorm, die Firma wuchs rasch, 1963 wurde die erste eigene Fabrik eröffnet. Neben Ölflex wurden viele weitere Produkte entwickelt. Die erste Auslandsniederlassung gründete Lapp 1976 in den USA. Das von ihm entwickelte Prinzip „Alles aus einer Hand“ist bis heute in der Firma gültig, bekräftigt Siegbert Lapp, Aufsichtsratsvorsitzender der Lapp Holding.
Was sich Ursula Ida Lapp immer gewünscht hat, ist eingetreten: Zwei ihrer Enkel haben schon verantwortliche Positionen im Betrieb übernommen.