Der Erzähl-sender
Das am Sonntag startende „Bild TV“will eine Marktlücke im Fernsehmarkt füllen. Lukrative Werbegelder locken. Ob der niedrige Etat für hohe Qualität ausreicht, bleibt abzuwarten.
Zum Regieren brauche ich Bild, Bams und die Glotze“, hat Gerhard Schröder bekanntlich erkannt. Von Sonntag an könnte sich der Alt-bundeskanzler einen Teil sparen: Deutschlands größte Boulevardzeitung „Bild“startet einen Fernsehsender. 24 Stunden am Tag soll das frei empfangbare Programm „Bild TV“die „wichtigsten, berührendsten und schönsten Geschichten des Tages“erzählen, kündigt Programmchef Claus Strunz an. Wie der Sender gesehen werden kann, erklärt “Bild TV“hier: https://bit. ly/3ivbyiy.
„Wir verstehen uns weder als ein Vollprogramm, noch sehen wir uns in der Gruppe der Nachrichtensender. Wir selber verstehen uns als ein eigenes Genre – als Geschichten-sender“, erklärt der 54-jährige Journalist und Moderator. Nachrichtensender würden eine Chronistenpflicht für sich in Anspruch nehmen und seien sehr stark auf Politik und Wirtschaft konzentriert. Für den eigenen Sender empfinde man dagegen keine breitgefächerte Chronistenpflicht. „Bild TV“fülle eine Marktlücke.
Das wenige Wochen vor der Bundestagswahl startende Programm wird werktags zwischen 9 und 14 Uhr jede Stunde Aktuelles thematisieren. Zu sehen sind Moderatoren im Studio, Reporter vor Ort, Experten und Zuschauer. Vor und nach diesem Programm-ankerplatz will „Bild TV“aber nicht in einen „Dokuschlummer“gehen, heißt es. Es gebe zwar Dokumentationen, der Sender sei aber immer auf Live-modus, falls etwas Außergewöhnliches geschehe. Meinungsstärke soll dabei „live zur exklusiven Schlagzeile“führen. Ab dem 22. August wolle Bild nicht nur Fernsehen machen: „Bild ist TV.“Im „Spiegel” erklärte Bild-chefredakteur Julian Reichelt: „Die Leute haben das Gefühl,
sie werden nicht gehört. Da sehe ich großes Potenzial.“
Ein Polit-talk zur besten Sendezeit: 20.15 Uhr dreht sich Montag bis Freitag um Schlagzeilen und Themen des Tages. Am Start-sonntag sind Talks mit den Kanzlerkandidaten Armin Laschet und Olaf Scholz angekündigt. Um 19.30 Uhr beginnt eine „Kanzlernacht“, bei der getrennt voneinander im Talkformat „Die richtigen Fragen“erst Laschet und dann in einer weiteren Runde Scholz gestellt werden sollen.
Ein deutsches „Fox News“will „Bild TV“aber nicht sein. Der konservative Sender in den USA galt lange Zeit als Haus-und-hofsender
von Ex-präsident Donald Trump. „So ein Vergleich stellt sich nicht für Bild, wir sind kein deutsches Fox News. Deren Ansatz fußt auf einem bipolaren politischen System wie in den USA“, sagt Strunz. In einem Mehrparteiensystem wie Deutschland hingegen, wo immer auch Regierungskoalitionen geschmiedet werden müssen, wäre ein solcher Ansatz, sich als Tv-sender auf eine Seite zu schlagen, naiv und würde nicht zum Vorhaben passen, die Stimme des Volkes zu sein und den Menschen „aus der Seele zu sprechen“. Strunz: „Wir positionieren uns mit klaren Haltungen in dem doch sehr diversifizierten Meinungsspektrum.“
Wie „Bild TV“aussehen könnte, ist im Internet seit langem zu sehen, wo „Bild“-online-angebote mit Videoinhalten verstärkt werden. Das journalistische Flaggschiff des Axel-springerkonzerns zeigt etwa stundenlange Live-berichterstattung über die Flutkatastrophe in Westdeutschland, die Lage in Afghanistan und die Treffen der Länderchefs zur Corona-pandemie. Gesprächsrunden drehen sich um „Gender-wahnsinn – Keiner Frau wird damit geholfen” und „Gruppenvergewaltigung – Natürlich hat es mit einem kulturellen Hintergrund zu tun!“Weil die Marke „Bild“eher Männer als Frauen erreicht, setzt das Tv-programm viel auf Sport und lässt Sportkommentator Marcel Reif montags und freitags zu Wort kommen.
Von RTL wurde Sandra Kuhn abgeworben, die zuletzt „RTL Explosiv“moderierte. Mit insgesamt 22 Millionen Euro nimmt das Medienhaus Springer, zu dem „Bild“gehört, aber verhältnismäßig wenig Geld in die Hand, sagt Medien-experte Kai-hinrich Renner. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie mit diesem sehr niedrigen Etat Qualität produziert werden soll.“Das Programm werde bewusst „roh“wirken – wie auch jetzt schon online zu sehen sei. „Corona hat ,Bild live’ dabei in jüngster Zeit geholfen. Da saßen viele Gesprächspartner sowieso nur vor ihrem Laptop“, sagt Renner. Ansonsten greife man stark auf Journalisten aus dem eigenen Haus zurück, das sei ebenfalls preiswert. „Sollte es mit ,Bild TV’ nicht klappen, setzt Springer auch nicht viel Geld in den Sand.“
„Bild TV“ist der dritte Fernsehsender im Konzern. Es gibt bereits die Kanäle „Welt“und „N24doku“. Das klassische Mediengeschäft ist das Sorgenkind Springers. Die verkaufte Auflage von „Bild“ist seit 1998 um fast 73 Prozent auf 1,2 Millionen Exemplare zurückgegangen. Der Abwärtstrend
fiel dabei stärker aus als bei fast allen anderen Boulevardzeitungen, überregionalen Tageszeitungen sowie Sonntagsund Wochenzeitungen. Vor allem deshalb wurde massiv ins Digitale investiert. Knapp Dreiviertel des Umsatzes stammen heute aus dem digitalen Geschäft. „Bild.de“ist die meistbesuchte Nachrichtenseite Deutschlands, Inhalte hinter einer Bezahlschranke spielen eine wichtige Rolle, erklärt der Konzern. Durch eine Partnerschaft mit dem Us-finanzinvestor KKR will Springer schneller im Digitalen wachsen, nach eigenen Angaben „weltweit Marktführer im digitalen Journalismus und bei digitalen Rubrikengeschäften“wie Job- oder Immobilienportalen werden.
Immer mehr Tv-sender
KKR ist Großaktionär, hält aber nicht die Mehrheit. Nachdem Friede Springer 15 Prozent ihrer Anteile Mathias Döpfner geschenkt hat, kommen auf die Verleger-witwe und den langjährigen Vorstandschef des Medienhauses je 22 Prozent. Die Aktie wurde von der Börse genommen.
Dass ein neues bundesweit verbreitetes Programm startet, ist gar nicht so selten, wie es von den Landesmedienanstalten heißt, die als Medienregulierer für Rundfunklizenzen zuständig sind. Allein in diesem Jahr hätten etwa Amazon und DAZN Zulassungen beantragt. Ende 2020 waren in Deutschland 202 private Fernsehprogramme mit bundesweiter Zulassung auf Sendung. Der Tv-fernsehwerbemarkt ist laut Renner „extrem lukrativ“.
Auch im Ausland gibt es Zeitungen mit angehängtem TV-SENder. In Österreich „Schautv“, „OE24.TV“und „Krone TV“. Letzteren hält der Medienökonom Josef Trappel für ein „dynamisches, aber wenig beachtetes Experiment, das auf Low-costbasis betrieben wird“.
Bild TV erzählt die wichtigsten, berührendsten und schönsten Geschichten.
Claus Strunz