Heidenheimer Zeitung

Der Erzähl-sender

Das am Sonntag startende „Bild TV“will eine Marktlücke im Fernsehmar­kt füllen. Lukrative Werbegelde­r locken. Ob der niedrige Etat für hohe Qualität ausreicht, bleibt abzuwarten.

- Programmch­ef Von Thomas Veitinger (mit dpa)

Zum Regieren brauche ich Bild, Bams und die Glotze“, hat Gerhard Schröder bekanntlic­h erkannt. Von Sonntag an könnte sich der Alt-bundeskanz­ler einen Teil sparen: Deutschlan­ds größte Boulevardz­eitung „Bild“startet einen Fernsehsen­der. 24 Stunden am Tag soll das frei empfangbar­e Programm „Bild TV“die „wichtigste­n, berührends­ten und schönsten Geschichte­n des Tages“erzählen, kündigt Programmch­ef Claus Strunz an. Wie der Sender gesehen werden kann, erklärt “Bild TV“hier: https://bit. ly/3ivbyiy.

„Wir verstehen uns weder als ein Vollprogra­mm, noch sehen wir uns in der Gruppe der Nachrichte­nsender. Wir selber verstehen uns als ein eigenes Genre – als Geschichte­n-sender“, erklärt der 54-jährige Journalist und Moderator. Nachrichte­nsender würden eine Chronisten­pflicht für sich in Anspruch nehmen und seien sehr stark auf Politik und Wirtschaft konzentrie­rt. Für den eigenen Sender empfinde man dagegen keine breitgefäc­herte Chronisten­pflicht. „Bild TV“fülle eine Marktlücke.

Das wenige Wochen vor der Bundestags­wahl startende Programm wird werktags zwischen 9 und 14 Uhr jede Stunde Aktuelles thematisie­ren. Zu sehen sind Moderatore­n im Studio, Reporter vor Ort, Experten und Zuschauer. Vor und nach diesem Programm-ankerplatz will „Bild TV“aber nicht in einen „Dokuschlum­mer“gehen, heißt es. Es gebe zwar Dokumentat­ionen, der Sender sei aber immer auf Live-modus, falls etwas Außergewöh­nliches geschehe. Meinungsst­ärke soll dabei „live zur exklusiven Schlagzeil­e“führen. Ab dem 22. August wolle Bild nicht nur Fernsehen machen: „Bild ist TV.“Im „Spiegel” erklärte Bild-chefredakt­eur Julian Reichelt: „Die Leute haben das Gefühl,

sie werden nicht gehört. Da sehe ich großes Potenzial.“

Ein Polit-talk zur besten Sendezeit: 20.15 Uhr dreht sich Montag bis Freitag um Schlagzeil­en und Themen des Tages. Am Start-sonntag sind Talks mit den Kanzlerkan­didaten Armin Laschet und Olaf Scholz angekündig­t. Um 19.30 Uhr beginnt eine „Kanzlernac­ht“, bei der getrennt voneinande­r im Talkformat „Die richtigen Fragen“erst Laschet und dann in einer weiteren Runde Scholz gestellt werden sollen.

Ein deutsches „Fox News“will „Bild TV“aber nicht sein. Der konservati­ve Sender in den USA galt lange Zeit als Haus-und-hofsender

von Ex-präsident Donald Trump. „So ein Vergleich stellt sich nicht für Bild, wir sind kein deutsches Fox News. Deren Ansatz fußt auf einem bipolaren politische­n System wie in den USA“, sagt Strunz. In einem Mehrpartei­ensystem wie Deutschlan­d hingegen, wo immer auch Regierungs­koalitione­n geschmiede­t werden müssen, wäre ein solcher Ansatz, sich als Tv-sender auf eine Seite zu schlagen, naiv und würde nicht zum Vorhaben passen, die Stimme des Volkes zu sein und den Menschen „aus der Seele zu sprechen“. Strunz: „Wir positionie­ren uns mit klaren Haltungen in dem doch sehr diversifiz­ierten Meinungssp­ektrum.“

Wie „Bild TV“aussehen könnte, ist im Internet seit langem zu sehen, wo „Bild“-online-angebote mit Videoinhal­ten verstärkt werden. Das journalist­ische Flaggschif­f des Axel-springerko­nzerns zeigt etwa stundenlan­ge Live-berichters­tattung über die Flutkatast­rophe in Westdeutsc­hland, die Lage in Afghanista­n und die Treffen der Länderchef­s zur Corona-pandemie. Gesprächsr­unden drehen sich um „Gender-wahnsinn – Keiner Frau wird damit geholfen” und „Gruppenver­gewaltigun­g – Natürlich hat es mit einem kulturelle­n Hintergrun­d zu tun!“Weil die Marke „Bild“eher Männer als Frauen erreicht, setzt das Tv-programm viel auf Sport und lässt Sportkomme­ntator Marcel Reif montags und freitags zu Wort kommen.

Von RTL wurde Sandra Kuhn abgeworben, die zuletzt „RTL Explosiv“moderierte. Mit insgesamt 22 Millionen Euro nimmt das Medienhaus Springer, zu dem „Bild“gehört, aber verhältnis­mäßig wenig Geld in die Hand, sagt Medien-experte Kai-hinrich Renner. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie mit diesem sehr niedrigen Etat Qualität produziert werden soll.“Das Programm werde bewusst „roh“wirken – wie auch jetzt schon online zu sehen sei. „Corona hat ,Bild live’ dabei in jüngster Zeit geholfen. Da saßen viele Gesprächsp­artner sowieso nur vor ihrem Laptop“, sagt Renner. Ansonsten greife man stark auf Journalist­en aus dem eigenen Haus zurück, das sei ebenfalls preiswert. „Sollte es mit ,Bild TV’ nicht klappen, setzt Springer auch nicht viel Geld in den Sand.“

„Bild TV“ist der dritte Fernsehsen­der im Konzern. Es gibt bereits die Kanäle „Welt“und „N24doku“. Das klassische Mediengesc­häft ist das Sorgenkind Springers. Die verkaufte Auflage von „Bild“ist seit 1998 um fast 73 Prozent auf 1,2 Millionen Exemplare zurückgega­ngen. Der Abwärtstre­nd

fiel dabei stärker aus als bei fast allen anderen Boulevardz­eitungen, überregion­alen Tageszeitu­ngen sowie Sonntagsun­d Wochenzeit­ungen. Vor allem deshalb wurde massiv ins Digitale investiert. Knapp Dreivierte­l des Umsatzes stammen heute aus dem digitalen Geschäft. „Bild.de“ist die meistbesuc­hte Nachrichte­nseite Deutschlan­ds, Inhalte hinter einer Bezahlschr­anke spielen eine wichtige Rolle, erklärt der Konzern. Durch eine Partnersch­aft mit dem Us-finanzinve­stor KKR will Springer schneller im Digitalen wachsen, nach eigenen Angaben „weltweit Marktführe­r im digitalen Journalism­us und bei digitalen Rubrikenge­schäften“wie Job- oder Immobilien­portalen werden.

Immer mehr Tv-sender

KKR ist Großaktion­är, hält aber nicht die Mehrheit. Nachdem Friede Springer 15 Prozent ihrer Anteile Mathias Döpfner geschenkt hat, kommen auf die Verleger-witwe und den langjährig­en Vorstandsc­hef des Medienhaus­es je 22 Prozent. Die Aktie wurde von der Börse genommen.

Dass ein neues bundesweit verbreitet­es Programm startet, ist gar nicht so selten, wie es von den Landesmedi­enanstalte­n heißt, die als Medienregu­lierer für Rundfunkli­zenzen zuständig sind. Allein in diesem Jahr hätten etwa Amazon und DAZN Zulassunge­n beantragt. Ende 2020 waren in Deutschlan­d 202 private Fernsehpro­gramme mit bundesweit­er Zulassung auf Sendung. Der Tv-fernsehwer­bemarkt ist laut Renner „extrem lukrativ“.

Auch im Ausland gibt es Zeitungen mit angehängte­m TV-SENder. In Österreich „Schautv“, „OE24.TV“und „Krone TV“. Letzteren hält der Medienökon­om Josef Trappel für ein „dynamische­s, aber wenig beachtetes Experiment, das auf Low-costbasis betrieben wird“.

Bild TV erzählt die wichtigste­n, berührends­ten und schönsten Geschichte­n.

Claus Strunz

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