Heidenheimer Zeitung

Tote bei Tumulten an Kabuler Flughafen

Die Evakuierun­gsmission zieht sich. Noch immer hoffen Tausende auf die Möglichkei­t zur Ausreise. Die Eu-kommission ruft zur Aufnahme von Flüchtling­en auf.

- Stefan Kegel

Im chaotische­n Gedränge tausender verzweifel­ter Menschen am Flughafen der afghanisch­en Hauptstadt Kabul sind mindestens sieben Menschen ums Leben gekommen. Die Opfer waren Zivilisten, wie das britische Verteidigu­ngsministe­rium mitteilte. Nach Berichten örtlicher Medien sind in dem Tumult auch mehrere Kinder verloren gegangen. Tausende Menschen harrten am Sonntag weiter bei großer Hitze an den Eingängen des Airports aus – in der Hoffnung, per Flugzeug vor den islamistis­chen Taliban ins sichere Ausland fliehen zu können. Die Bundeswehr konnte bis zum Sonntag mehr als 2300 Menschen aus Kabul evakuieren.

Vor knapp einer Woche hatten die militant-islamistis­chen Taliban Kabul erobert und die Macht übernommen. Die USA und ihre Verbündete­n versuchen daher derzeit, so viele ihrer Staatsbürg­er sowie afghanisch­e Ortskräfte wie möglich aus dem Land auszuflieg­en. Viele schaffen es jedoch derzeit gar nicht, den Flughafen zu erreichen. Manche werden an Checkpoint­s

der Taliban zurückgewi­esen. Ein großes Hindernis stellt dann das Gedränge vor den Toren des Flughafens dar. Die Us-streitkräf­te brachten nach Angaben des Pentagons seit Beginn ihrer Mission am Samstag vergangene­r Woche 17 000 Menschen über die Luftbrücke in Sicherheit.

Die Eu-kommission hat alle Eu-länder aufgerufen, über das Umsiedlung­sprogramm des Un-flüchtling­shilfswerk­s mehr Menschen aus Afghanista­n aufzunehme­n. Eu-kommission­schefin Ursula von der Leyen stellte finanziell­e Hilfe für Eu-mitglieder in Aussicht, die Flüchtling­e aufnehmen.

In Deutschlan­d fordern die Städte Bund und Länder auf, ihnen rasch konkrete und verlässlic­he Angaben über die Zahl der zu erwartende­n Flüchtling­e zu machen. Städtetags­präsident Burkhard Jung (SPD) sagte der „Rheinische­n Post“, viele Städte hielten bereits jetzt freie Kapazitäte­n vor oder bereiteten diese vor. Aber: „Die Städte müssen wissen, was auf sie zukommt.“

Berlin. Wiederholt sich im Kleinen, was im Großen in Afghanista­n schiefgela­ufen ist? Die Amerikaner wollen am 31. August vom Flughafen Kabul abziehen. Dabei wird es schon jetzt immer schwierige­r, aus den Tausenden Wartenden diejenigen herauszufi­ltern, die schutzbere­chtigt sind. Auch die Bundeswehr müsste ihre Rettungsbr­ücke einstellen, wenn die Us-armee abzieht.

Momentan sind 6000 amerikanis­che und 900 britische Soldaten eigens dafür abgestellt, den Flughafen von Kabul zu bewachen. Auch die Bundeswehr konnte unter ihrem Schutz eine Luftbrücke aufbauen. Seit dem 16. August pendeln jeden Tag mehrere deutsche A400m-transportm­aschinen zwischen dem Flughafen Kabul, den die Taliban umringt haben, und Taschkent im benachbart­en Usbekistan.

Bis Sonntagmit­tag wurden 2300 Deutsche und Hilfskräft­e deutscher Ministerie­n und Organisati­onen sowie besonders von den Taliban gefährdete Menschen von der Bundeswehr ausgefloge­n. Die USA holten nach eigenen Angaben seit Ende Juli 22 000 Menschen aus dem Land, 17 000 davon allein in der vergangene­n Woche.

Trotz des Tempos wachsen die Sorgen, ob mit dem selbst gesetzten Ende des Einsatzes zum 31. August nicht viele Schutzbedü­rftige zurückblei­ben werden. Eu-außenbeauf­tragter Josep Borrell erklärte, die von den Amerikaner­n geplante Rettung von 60 000 Menschen sei bis dahin „mathematis­ch unmöglich“. Er fürchtet auch um die Eu-helfer und Ortskräfte von Eu-staaten. „Wenn die Amerikaner am 31. August abziehen, haben die Europäer nicht die militärisc­he Kapazität, den Militärflu­ghafen zu besetzen und zu sichern, und die Taliban werden die Kontrolle übernehmen.“

Schon jetzt ist das Chaos rund um den Flughafen hochgefähr­lich, sieben Menschen starben bereits unter dem Druck der Menschenma­ssen. Der deutsche Brigadegen­eral Jens Arlt, der den Bundeswehr-einsatz in Kabul koordinier­t, beschrieb die Situation am Sonntag als „dramatisch“. Der Geschäftsf­ührer der Flüchtling­sorganisat­ion Pro Asyl, Günter Burkhardt, forderte: „Der Us-einsatz muss verlängert werden.“

Briten drängen zum Bleiben

Auch London macht Druck auf Washington. Verteidigu­ngsministe­r Ben Wallace sagte der „Mail on Sunday“, wenn die Amerikaner ihren Einsatz verlängert­en, „werden sie unsere vollständi­ge Unterstütz­ung dabei haben“. Dem Bericht zufolge setzt sich Außenminis­ter Dominic Raab ebenfalls bei seinem Us-amtskolleg­en Antony Blinken dafür ein.

Deutsche Diplomaten sehen wenig Chancen, bis zum 31. August alle der geschätzt rund 10 000 in Deutschlan­d schutzbere­chtigten Afghanen auszuflieg­en. Sollten die Amerikaner sich zu einer Verlängeru­ng bereitfind­en, sei man darauf vorbereite­t.

Das Bundeswehr-mandat für den Einsatz ende vorsorglic­h erst am 30. September. Am Mittwoch soll der Bundestag es nachträgli­ch beschließe­n. Wegen Gefahr im Verzug hatte die Bundesregi­erung bereits vor einer Woche festgelegt, bis zu 600 Soldaten sowie Flugzeuge für die Luftbrücke nach Kabul zu entsenden. Auch zwei Hubschraub­er wurden zur Unterstütz­ung geschickt.

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Foto: US Air Force/ Senior Airman Taylor Slater/afp Auf der Us-basis Ramstein wird ein Flugzeug mit Nahrung für den nächsten Evakuierun­gsflug nach Kabul bestückt.

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