Tote bei Tumulten an Kabuler Flughafen
Die Evakuierungsmission zieht sich. Noch immer hoffen Tausende auf die Möglichkeit zur Ausreise. Die Eu-kommission ruft zur Aufnahme von Flüchtlingen auf.
Im chaotischen Gedränge tausender verzweifelter Menschen am Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul sind mindestens sieben Menschen ums Leben gekommen. Die Opfer waren Zivilisten, wie das britische Verteidigungsministerium mitteilte. Nach Berichten örtlicher Medien sind in dem Tumult auch mehrere Kinder verloren gegangen. Tausende Menschen harrten am Sonntag weiter bei großer Hitze an den Eingängen des Airports aus – in der Hoffnung, per Flugzeug vor den islamistischen Taliban ins sichere Ausland fliehen zu können. Die Bundeswehr konnte bis zum Sonntag mehr als 2300 Menschen aus Kabul evakuieren.
Vor knapp einer Woche hatten die militant-islamistischen Taliban Kabul erobert und die Macht übernommen. Die USA und ihre Verbündeten versuchen daher derzeit, so viele ihrer Staatsbürger sowie afghanische Ortskräfte wie möglich aus dem Land auszufliegen. Viele schaffen es jedoch derzeit gar nicht, den Flughafen zu erreichen. Manche werden an Checkpoints
der Taliban zurückgewiesen. Ein großes Hindernis stellt dann das Gedränge vor den Toren des Flughafens dar. Die Us-streitkräfte brachten nach Angaben des Pentagons seit Beginn ihrer Mission am Samstag vergangener Woche 17 000 Menschen über die Luftbrücke in Sicherheit.
Die Eu-kommission hat alle Eu-länder aufgerufen, über das Umsiedlungsprogramm des Un-flüchtlingshilfswerks mehr Menschen aus Afghanistan aufzunehmen. Eu-kommissionschefin Ursula von der Leyen stellte finanzielle Hilfe für Eu-mitglieder in Aussicht, die Flüchtlinge aufnehmen.
In Deutschland fordern die Städte Bund und Länder auf, ihnen rasch konkrete und verlässliche Angaben über die Zahl der zu erwartenden Flüchtlinge zu machen. Städtetagspräsident Burkhard Jung (SPD) sagte der „Rheinischen Post“, viele Städte hielten bereits jetzt freie Kapazitäten vor oder bereiteten diese vor. Aber: „Die Städte müssen wissen, was auf sie zukommt.“
Berlin. Wiederholt sich im Kleinen, was im Großen in Afghanistan schiefgelaufen ist? Die Amerikaner wollen am 31. August vom Flughafen Kabul abziehen. Dabei wird es schon jetzt immer schwieriger, aus den Tausenden Wartenden diejenigen herauszufiltern, die schutzberechtigt sind. Auch die Bundeswehr müsste ihre Rettungsbrücke einstellen, wenn die Us-armee abzieht.
Momentan sind 6000 amerikanische und 900 britische Soldaten eigens dafür abgestellt, den Flughafen von Kabul zu bewachen. Auch die Bundeswehr konnte unter ihrem Schutz eine Luftbrücke aufbauen. Seit dem 16. August pendeln jeden Tag mehrere deutsche A400m-transportmaschinen zwischen dem Flughafen Kabul, den die Taliban umringt haben, und Taschkent im benachbarten Usbekistan.
Bis Sonntagmittag wurden 2300 Deutsche und Hilfskräfte deutscher Ministerien und Organisationen sowie besonders von den Taliban gefährdete Menschen von der Bundeswehr ausgeflogen. Die USA holten nach eigenen Angaben seit Ende Juli 22 000 Menschen aus dem Land, 17 000 davon allein in der vergangenen Woche.
Trotz des Tempos wachsen die Sorgen, ob mit dem selbst gesetzten Ende des Einsatzes zum 31. August nicht viele Schutzbedürftige zurückbleiben werden. Eu-außenbeauftragter Josep Borrell erklärte, die von den Amerikanern geplante Rettung von 60 000 Menschen sei bis dahin „mathematisch unmöglich“. Er fürchtet auch um die Eu-helfer und Ortskräfte von Eu-staaten. „Wenn die Amerikaner am 31. August abziehen, haben die Europäer nicht die militärische Kapazität, den Militärflughafen zu besetzen und zu sichern, und die Taliban werden die Kontrolle übernehmen.“
Schon jetzt ist das Chaos rund um den Flughafen hochgefährlich, sieben Menschen starben bereits unter dem Druck der Menschenmassen. Der deutsche Brigadegeneral Jens Arlt, der den Bundeswehr-einsatz in Kabul koordiniert, beschrieb die Situation am Sonntag als „dramatisch“. Der Geschäftsführer der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl, Günter Burkhardt, forderte: „Der Us-einsatz muss verlängert werden.“
Briten drängen zum Bleiben
Auch London macht Druck auf Washington. Verteidigungsminister Ben Wallace sagte der „Mail on Sunday“, wenn die Amerikaner ihren Einsatz verlängerten, „werden sie unsere vollständige Unterstützung dabei haben“. Dem Bericht zufolge setzt sich Außenminister Dominic Raab ebenfalls bei seinem Us-amtskollegen Antony Blinken dafür ein.
Deutsche Diplomaten sehen wenig Chancen, bis zum 31. August alle der geschätzt rund 10 000 in Deutschland schutzberechtigten Afghanen auszufliegen. Sollten die Amerikaner sich zu einer Verlängerung bereitfinden, sei man darauf vorbereitet.
Das Bundeswehr-mandat für den Einsatz ende vorsorglich erst am 30. September. Am Mittwoch soll der Bundestag es nachträglich beschließen. Wegen Gefahr im Verzug hatte die Bundesregierung bereits vor einer Woche festgelegt, bis zu 600 Soldaten sowie Flugzeuge für die Luftbrücke nach Kabul zu entsenden. Auch zwei Hubschrauber wurden zur Unterstützung geschickt.