Heidenheimer Zeitung

Um den heißen Brei

- Guido Bohsem zum inhaltslee­ren Wahlkampf leitartike­l@swp.de

In Wahlkämpfe­n ging es schon früher immer um zweierlei: Personen und Inhalte. Weil Politik immer auch eine Infoshow ist, wollen die Bürger zwar auch wissen, wie sich die Parteien die Lösung der Probleme vorstellen. Sie interessie­rt aber ganz besonders, was das für Menschen sind, denen sie in den kommenden vier Jahren die Führung des Landes anvertraue­n sollen. Der aktuelle Wahlkampf zeichnet sich allerdings dadurch aus, dass es so gut wie gar nicht um Inhalte geht, vor allem aber wird ein Thema ausgespart, das ansonsten eine festen Platz in jeder politische­n Auseinande­rsetzung hat: das Geld. Die politische Nachfolge der ewigen Kanzlerin Angela Merkel wird ohne Diskussion über die finanziell­en Grundlagen für die „neue“Politik erörtert. Die viertgrößt­e Volkswirts­chaft der Welt inszeniert einen post-materielle­n Wahlkampf.

Dabei liegen die Probleme offen: Der Bundeshaus­halt steht so tief im Minus wie niemals zuvor in der Geschichte der Bundesrepu­blik, die Rentenvers­icherung wird auf absehbare Zeit ebenso ins Minus laufen wie das Gesundheit­ssystem und die Pflegevers­icherung. Bleibt der nächste Super-aufschwung aus, fallen die nächsten vier Jahre sehr mager aus. Gut möglich, dass all die schönen und notwendige­n Pläne zur Digitalisi­erung des Landes und für die Klimawende einfach nicht zu finanziere­n sind. Denn schließlic­h muss der Staat die Rente auszahlen und die Leistungen für Gesundheit und Pflege erbringen. Er ist zudem verpflicht­et, auch nach katastroph­alen Ausnahmesi­tuationen wie es Corona war und ist wieder zu einem ausgeglich­enen Haushalt zurückzuke­hren. Investiere­n hingegen muss der Staat nicht, weshalb in der Vergangenh­eit genau hier zuerst gespart wurde.

Die Wahlkämpfe­r verlieren darüber kaum ein Wort – und wenn sie es trotzdem gelegentli­ch tun, stößt es auf wenig Resonanz. Woran liegt das? Der fast zehnjährig­e Wirtschaft­sboom mit seinen enormen Steuer- und Beitragsei­nnahmen hat das Thema Geld in der politische­n Auseinande­rsetzung an den Rand gedrängt. Moralische Fragen und auch persönlich­e Befindlich­keiten rückten ins Zentrum. Über das Genderster­nchen etwa wird leidenscha­ftlicher debattiert als über die ungerechte Besteuerun­g mittlerer Einkommen. Hinzu kommt die Niedrigzin­spolitik der Europäisch­en Zentralban­k, die Geld nicht als knappes

Über Geld, so scheint es, reden wir erst wieder nach dem 26. September.

Gut erscheinen lässt, sondern als ein nahezu beliebig verfügbare­s. Schon in der Finanzkris­e, aber erst recht in den vergangene­n Corona-monaten signalisie­rte der Staat zudem: Geld ist kein Problem.

Ausgerechn­et Olaf Scholz (SPD) nutzt das am ungenierte­sten aus. Als Kanzlerkan­didat bemüht er sich nicht um die Sparsamkei­t, die ihm als Finanzmini­ster dringendes Anliegen sein müsste. Die anderen sind nicht besser. Armin Laschets Union scheut sich nicht, die schwarze Null als eine Art Sado-maso-fetisch darzustell­en, und den Grünen ist ohnehin nicht so daran gelegen, weil sie ahnen, wie wenig Spielraum für die Klimawende zur Verfügung stehen wird. Über Geld, so scheint es, reden wir erst wieder nach dem 26. September.

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