„Ich lebe noch“
Am Anfang war Party, doch dann wurde es hässlich: Ein Drogenkranker erzählt von seinem Leben – und warum der bislang einzige Drogenkonsumraum im Land wichtig für ihn ist.
Uli ist ein sportlicher Typ, er malt gerne und engagiert sich für den Frieden. Und er ist opiatabhängig. Seit 30 Jahren ist der 49-Jährige auf Drogen. Aber, so sagt er: „Ich lebe noch.“Er ist überzeugt, dass er das auch den Angeboten der Drogenhilfe in Karlsruhe zu verdanken hat, zu dem seit Dezember 2019 der erste Drogenkonsumraum Baden-württembergs gehört. Darin können schwer Suchtkranke Drogen wie Kokain oder Heroin unter hygienischen Bedingungen und Aufsicht konsumieren. Eine „Fixerstube“, wie es sie schon länger in anderen Bundesländern gibt, war in der grün-schwarzen Landesregierung heftig umstritten. Vor allem in der CDU gab es Bedenken. Doch was für die einen ein rotes Tuch ist, erscheint langjährigen Drogenkonsumenten wie Uli als Segen.
Wir konnten die Zielgruppe erreichen und Vertrauen aufbauen.
Petra Krauth
Ein langer Metalltisch, weiß gekachelte Wände, Spiegel und grüne Stühle davor: Der Drogenkonsumraum ist hell und blitzblank. Es gibt strenge Regeln, was Hygiene und das Verhalten angeht. Wer hierherkommt, muss sie einhalten. Sozialarbeiterin Melanie Hillmer hat darauf ein waches Auge. Genauso wie auf die Gesundheit der inzwischen 141 Klienten, darunter 26 Frauen. Sie ist speziell geschult und merkt sofort, wenn jemand Probleme bekommt, etwa durch eine Überdosierung. Fünf Notfälle gab es schon, dreimal musste der Arzt kommen. „Draußen wären die Menschen gestorben“, sagt sie.
Um den Alltag zu meistern, bekommt Uli Heroinersatz auf Rezept. Doch drei- bis viermal im Monat wird der Suchtdruck übermächtig. Dann spritzt er sich zusätzlich Kokain im Drogenkonsumraum.
Bevor es den gab, konsumierte er die Droge im Toilettenhäuschen am Werderplatz.
Petra Krauth leitet den Konsumraum und den benachbarten Kontaktladen der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Aus ihrer Sicht ist das Angebot ein Erfolg – trotz Corona. „Wir konnten die Zielgruppe erreichen und Vertrauen aufbauen.“Der befürchtete Drogentourismus blieb aus. Es gibt keine Dealer oder eine Szene vor der Tür. Und keine Probleme mit den Nachbarn. „Es läuft alles sehr ruhig und unauffällig ab“, berichtet Krauth. Sie hofft, dass der Gemeinderat im Oktober die Weiterfinanzierung beschließt. Auch das Sozialministerium meint: Der Konsumraum hat sich bewährt.
Für Uli geht es ums Überleben, um Sicherheit und um Kontakt. Sucht macht einsam. „Das Thema ist hoch mit Scham besetzt“, weiß Krauth. Der 49-jährige Uli hat irgendwann aufgehört, sich zu schämen. „Ich bin krank“, sagt er. Er will sich nicht mehr verstecken: „Uns gibt es.“
In die Sucht abgerutscht
Der gelernte Industriemechaniker ist als Jugendlicher in die Sucht gerutscht. An seine Kindheit in Freiburg erinnert er sich ungern: „Es gab viel Gewalt in meiner Familie.“Mit Zwölf hatte er seinen ersten Alkoholrausch, mit 16 Jahren kamen Hasch und die synthetischen Drogen Ecstasy und Amphetamine dazu. Er tanzte auf Technopartys, flirtete und fühlte sich gut. „Mit 18 war Heroin ganz mein Ding.“Zunächst nur am Wochenende. Im Job wollte er fit sein. „Ich habe viele Jahre das perfekte Doppelleben gelebt.“Lange dachte er, er könne jederzeit aufhören. Als er Entzugserscheinungen mit grippeähnlichem Gefühl und Übelkeit bekam, sich den Stoff bei Dealern am Bahnhof besorgte, von der Polizei erwischt wurde und kein Geld mehr hatte, wusste er: „Ich bin abhängig.“
Nach Karlsruhe kam er, weil man ihm vor 20 Jahren nach einer Sucht-reha riet, für einen Neuanfang das Umfeld zu wechseln. „Aber man nimmt sich selber immer mit.“Uli hat vier stationäre Rehas hinter sich. Aber er ist immer wieder rückfällig geworden.
Der 49-Jährige ist Hartz-iv-empfänger und ehrenamtlich in einem Wohnungslosenheim als „Mann für alle Fälle“tätig. Er hat zwei Kinder und hätte gerne wieder eine richtige Arbeit. Doch welcher Arbeitgeber nimmt ihn schon bei dieser Vita? Der 49-Jährige will es irgendwann noch mal mit einer Sucht-reha versuchen. Schon der Kinder wegen.