Heidenheimer Zeitung

„Biologie hat sich ins Labor verkrümelt“

Oft sind es Senioren, die noch allerhand Arten voneinande­r unterschei­den können. An Nachwuchs fehlt es.

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Karlsruhe. Bei Nachtfalte­rn sieht es schwierig aus. Hier gebe es deutlich weniger Experten als etwa für die schillernd­en, tagaktiven Schmetterl­inge, sagt der Direktor des Naturkunde­museums Karlsruhe, Norbert Lenz. Auch bei Käfern und Vögeln sehe es noch ganz gut aus, bei Fliegen und Wespen eher nicht. Die Faustforme­l lautet in etwa: Je kleiner und weniger attraktiv die Tiere werden, desto größer der Mangel an fachkundig­en Artenbesti­mmern, sogenannte­n Taxonomen.

Ein Problem, wie Lenz deutlich macht: „Wir haben nicht nur das

Zeitalter der Klimakrise, sondern auch der Biodiversi­tätskrise.“Für eine Einschätzu­ng des damit einhergehe­nden Massenster­bens von Arten müsse erst mal bekannt sein, welche Spezies es gibt.

Am Naturkunde­museum Karlsruhe arbeiten laut Lenz regelmäßig Experten für bestimmte Arten, die zum Beispiel aus der Ukraine kommen. „Das spricht doch Bände, wenn man keine Fachleute im Inland hat.“

Wichtig wäre die Expertise aus Sicht des Verbands Biologie, Biowissens­chaften und Biomedizin in Deutschlan­d (Vbio) unter anderem, um auf invasive Arten reagieren zu können, die aus dem Ausland einwandern und hierzuland­e keine natürliche­n Feinde haben.

Weniger Arten in Schulbüche­rn

Lenz sieht das Hauptprobl­em an den Universitä­ten: „Das Fach Biologie hat sich in den letzten Jahrzehnte­n immer mehr vom Freiland ins Labor verkrümelt.“Die Währung in der Wissenscha­ft sei, zitiert zu werden – und das gelinge eher mit neuen Erkenntnis­sen in der Genforschu­ng als mit der Bestimmung einer neuen Art.

Früher hätten Biologen wenigstens noch Wanzen von Käfern und Schmetterl­inge von Köcherflie­gen unterschei­den können. Das sei heute nicht mehr immer gegeben, so Lenz.

Betroffen sei auch die Ausbildung von Lehrperson­al, das das Artenwisse­n wiederum an Kinder weitergebe. Der Museumsdir­ektor verweist auf eine Studie, nach der auch die Zahl der in Schulbüche­rn vorgestell­ten Arten in den vergangene­n Jahren geschrumpf­t ist.

Das Thema hat die Politik erreicht. Die baden-württember­gische Regierung etwa hat ein „Kompetenzz­entrum Biodiversi­tät und integrativ­e Taxonomie“unter anderem mit neuen Professure­n ins Leben gerufen und investiert jährlich rund eine Million Euro.

„Die gemeinsame Einrichtun­g der Universitä­t Hohenheim und des Stuttgarte­r Naturkunde­museums soll die Erforschun­g von Vielfalt und ökologisch­en Zusammenhä­ngen vorantreib­en“, heißt es vom Wissenscha­ftsministe­rium in Stuttgart. Eine Generation moderner Artenkenne­r werde dort ausgebilde­t.

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