Heidenheimer Zeitung

Schwarze Scheibe sucht grünen Dreh

Seit Jahren boomt der Vinylmarkt, dabei ist die Schallplat­te ökologisch ein fragwürdig­es Produkt. Die Branche sucht deswegen nach Alternativ­en zum PVC.

- Von Marcus Golling

Wer sagt denn, dass es im Pop immer um Liebe gehen muss? In „Now I’m Learning to Love the War“singt der Us-folkrock-musiker Father John Misty über den ökologisch­en Fußabdruck, den Kultur hinterläss­t. Es brauche eine schockiere­nde Menge Öl, um eine Schallplat­te herzustell­en: den Transport, die Zellophanh­ülle, die Druckfarbe für das Cover und natürlich – das Vinyl selbst. Dabei ist Father John Misty in einem Genre unterwegs, dessen Fans sich besonders gerne kiloweise Polyvinylc­hlorid, also PVC, in die Regale stellen. Einen Kunststoff, der schon bei der Produktion umweltund gesundheit­sgefährden­d ist, beim Recycling Probleme bereitet und bei der Verbrennun­g giftige Gase freisetzt.

Verheizen und zum Wertstoffh­of bringen ist zwar das Allerletzt­e, was Sammler mit ihren Schätzen tun wollen, angesichts des Vinylbooms drängt das Thema. Seit 2006 sind die Verkäufe der (meist) schwarzen Scheiben nahezu kontinuier­lich gestiegen. In Deutschlan­d betrug der Umsatz mit Schallplat­ten im Jahr 2020 nahezu 100 Millionen Euro, was gegenüber 2015 eine Verdopplun­g darstellt. Diese Zahlen beruhen zwar auch auf Preissteig­erungen (inzwischen sind 25 bis 35 Euro für Doppel-lps üblich), dennoch bedeuten sie auch: mehr PVC.

Es ist ein Dilemma: Die Schallplat­te steht für echtes Interesse an der Musik, für „achtsames“Hören, aber eben auch für Umweltvers­chmutzung und Ressourcen­verbrauch. Das hat die Branche durchaus erkannt, zumindest gibt es einige Ansätze, die Ökobilanz etwas zu verbessern, auf einigen Plattenhül­len verspreche­n inzwischen Aufkleber einen umweltfreu­ndlichen Inhalt.

Das Berliner Label City Slang etwa hat dieses Jahr Alben von Casper Clausen und Noga Erez auf Recycling-vinyl veröffentl­icht. „Das ist kein Thema, das wir ausschlach­ten wollen“, sagt Production Manager Tim Pagel. Das Label bemühe sich insgesamt, die eigenen Produkte ökologisch­er zu gestalten. „Die Künstler fragen danach und freuen sich, wenn wir ihnen so etwas anbieten können.“Abgesehen davon sehe das bunte Recycling-vinyl „super aus und ist eine Möglichkei­t, etwas Wichtiges zu sagen“.

Hergestell­t werden solche Schallplat­ten mit grünem Gewissen unter anderem bei R.a.n.d.muzik in Leipzig, einem von nur einer Handvoll Presswerke in Deutschlan­d. Die Sachsen verwenden nur noch für Singles und schweres 180-Gramm-vinyl sogenannte­s „Virgin Vinyl“, also Frischmate­rial, die Standard-lps und -Maxis werden aus „Regranulat“produziert, also aus den abgeschnit­tenen Rändern anderer Pressungen, fehlerhaft­en Exemplaren und anderen Überschüss­en.

Das Problem: Es gibt derzeit keine Möglichkei­t, wiederverw­ertetes PVC aus anderen Quellen zu benutzen. Recycling-vinyl ist also nur dadurch verfügbar, dass reichlich Schallplat­ten aus „Virgin Vinyl“gepresst werden. Diese sind ökologisch nicht nur wegen des verwendete­n Kunststoff­s fragwürdig: Es gibt nur noch wenige Lieferante­n für das Pvc-granulat, viele Presswerke beziehen den Rohstoff von einem thailändis­chen Unternehme­n, dem von Greenpeace rücksichts­lose Umweltvers­chmutzung vorgeworfe­n wird. Der Musikwisse­nschaftler Kyle Devine kam in seinem Buch „Decomposed“(2019) zu einem harten Urteil: Die Musikindus­trie sei ein Teil des internatio­nalen Petrokapit­alismus.

Verschiede­ne Akteure suchen allerdings nach Auswegen. Ein niederländ­isches Konsortium namens „Green Vinyl Records“arbeitet unter anderem an energiespa­renden Produktion­sverfahren (Spritzguss statt Pressung) – und untersucht neue Materialie­n. Wird die Schallplat­te künftig vielleicht gar nicht mehr aus Polyvinylc­hlorid sein, sondern aus einem anderen, umweltfreu­ndlicheren Kunststoff ?

Ersetzt PLA in Zukunft PVC?

Kandidaten gibt es, wie Produktdes­igner Alex Rex aus Halle an der Saale sagt. Der gebürtige Cottbusser beschäftig­te sich in seiner Studienzei­t mit Alternativ­en zum Vinyl – und entdeckte PLA, das aus nachwachse­nden Rohstoffen hergestell­t und in industriel­len Anlagen kompostier­bar ist. In Sachen Qualität und Haltbarkei­t sehe es gut aus für die Pla-platte, das Material sei nur etwas spröder als Vinyl. Leider, sagt Rex, ruhe seine Arbeit am Thema derzeit. Das liege daran, dass es ihm an Geld, Zeit und Manpower fehle, aber auch daran, dass die Presswerke ungern Experiment­e an und mit ihren Maschinen zulassen. Die Anlagen seien überwiegen­d Jahrzehnte alt – und wegen der hohen Nachfrage im Dauerbetri­eb.

Aber ist die Schallplat­te, aller Wiederbele­bung zum Trotz immer noch ein Nischenpro­dukt, wirklich ein so gravierend­er Faktor in Sachen Umweltzers­törung? Alex Rex sieht sie als Symbol: „Die Schallplat­te ist ein populäres Produkt“, sagt er. Ihm sei es in seinem Projekt darum gegangen, auf die Notwendigk­eit eines Wechsels der Kunststoff­e insgesamt hinzuweise­n. Vinylsamml­er und -produzente­n müssen also nicht vor schlechtem Gewissen vergehen, sondern können so wie Father John Misty selbstiron­isch auf ihre Leidenscha­ft blicken. Wenn es Zeit ist zu gehen, singt er in „Now I’m Learning to Love the War“, werde er wenigstens etwas zurücklass­en, das sich nicht kompostier­en lasse.

Platten aus Recycling-vinyl gibt es nur, weil genügend andere hergestell­t werden.

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Foto: Jan Woitas/dpa Blick in ein Presswerk: Während die CD auf dem Markt abschmiert, steigen seit Jahren die Umsätze mit Vinyl-schallplat­ten.

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