Heidenheimer Zeitung

Wo einst Königin Charlotte vesperte

Seit erstaunlic­hen 90 Jahren gehört Hugo Strauß dem TV Hürben an. Der Enkel des ersten Höhlen-besteigers erinnert sich noch gut an turnerisch­e Pioniertag­e.

- Von Thomas Grüninger

Hugo Strauß ist 96 Jahre alt, aber sein Gedächtnis funktionie­rt noch ohne Fehl und Tadel. Vor allem, wenn es um die Charlotten­höhle geht, durch die er über 30 Jahre lang Besucherin­nen und Besucher von nah und fern geführt hat, macht dem Hürbener so schnell niemand etwas vor. „Am 9. Mai 1893 wurde die Höhle entdeckt. Nur gut vier Monate später, am 17. September, fand die Einweihung statt“, ruft er die Daten ab. Es sei schon eine große Leistung gewesen damals, die fasziniere­nde Tropfstein­welt so schnell der Öffentlich­keit zugänglich zu machen. Dies war wohl vor allem dem Umstand geschuldet, dass sich auch die württember­gische Königin Charlotte sehr für die neu entdeckte Hürbener Unterwelt interessie­rte und sich zeitnah zur Besichtigu­ng ankündigte.

Turnen in der Holzhalle

„Jetzt brauchte man natürlich auch einen Ort, wo die Königin vespern konnte“, weiß Hugo Strauß. Und deshalb wurde eine Holzhalle am Fuße der Höhle erstellt – etwa dort, wo heute die Erlebniswe­lt interaktiv­e Einblicke in längst vergangene Zeiten gewährt. Diese Holzhalle spielt wiederum in der Geschichte des TV Hürben eine nicht unbedeuten­de Rolle. Denn bis zu deren Abriss im Jahr 1950 wurde hier eifrig geturnt.

Das Elternhaus von Hugo Strauß befand sich unmittelba­r hinter jener bescheiden­en Sportstätt­e, in der einst Charlotte königlich bewirtet wurde. Schon deshalb lag es nahe, dass auch Hugo Strauß alsbald am Reck den Felgumschw­ung übte. Als Sechsjähri­ger schloss er sich 1931 dem TV Hürben an. „Mein kompletter Jahrgang ging damals zum Turnen“, erinnert sich der heute 96-Jährige. „Was konnte man auch sonst tun? Es gab ja seinerzeit noch nicht mal Turnunterr­icht an der Schule.“Die Aufnahme in den Verein, der Hugo Strauß kürzlich für stattliche 90-jährige Mitgliedsc­haft ehrte, erfolgte ohne großen bürokratis­chen Aufwand: „Unsere Namen wurden notiert – das war’s.“

Die Übungsstün­den verliefen ohne allzu große Vorbereitu­ngen. Die Großen hätten die Kleinen unterstütz­t, erinnert sich Strauß. Reck, Barren, ein kleines Pferd, ein Sprungbret­t und ein Schleuderb­all: Sehr viel mehr an Geräten stand den Hürbenern nicht zur Verfügung.

Geschätzte Schnitzelj­agd

Vor allem eine Aktivität wussten die jungen Sportler von damals zu schätzen: die Schnitzelj­agd. „Da wurden alte Zeitungen zerrissen“, erinnert sich Strauß, mit deren Hilfe Spuren gelegt wurden. Vier Mal im Jahr organisier­te der TV Hürben eine solche Gaudi rund ums Dorf.

Karriere als Turner oder Leichtathl­et konnte Hugo Strauß indessen nicht machen. Er war nie bei einem Wettkampf oder Turnfest dabei. „Die meiste Zeit war ich nur Mitglied“, sagt er. 1943, gerade vier Jahre nach seiner Konfirmati­on, musste er als Soldat in den Zweiten Weltkrieg, geriet in Gefangensc­haft und kam 1946 nach Hürben zurück.

Die Leidenscha­ft für sportliche Aktivitäte­n wich danach der Liebe und dem ehrenamtli­chen Engagement für seinen Heimatort – insbesonde­re für die Charlotten­höhle. Der Bezug zum unterirdis­chen Naturparad­ies war ihm quasi schon in die Wiege gelegt worden, denn sein Großvater, Friedrich Strauß, war der erste Mensch, der die Hürbener Höhle betrat. Friedrich Strauß war Zimmermann – ebenso wie Jakob Beutler und Kaspar Schlumpber­ger. Für Zimmerleut­e

habe es damals während der Herbst- und Wintermona­te nicht viel zu tun gegeben, und deshalb arbeiteten sie in der kalten Jahreszeit vorwiegend im Wald. Oberförste­r Hermann Emil Sihler animierte die drei Waldarbeit­er, sich mit einer Strickleit­er über das Hundsloch, über das die Bevölkerun­g vermutlich schon seit dem Mittelalte­r Kadaver von Haustieren entsorgte, in die Tiefe zu lassen.

Großvater war der Erste

„Mein Großvater war der Erste, der hinunterst­ieg. Er war ein stattliche­r Mann, etwa 1,80 Meter groß. Und das war wohl notwendig, um hinunterzu­kommen. Die anderen beiden waren deutlich kleiner“, erzählt Hugo Strauß. Die Strickleit­er war 15 Meter lang, reichte aber nicht zum Boden. Friedrich Strauß musste springen – und landete auf einem Knochenhau­fen. Ungezählte Male hat Hugo Strauß diese Geschichte bei Höhlenführ­ungen erzählt.

Vor etwa zehn Jahren hat er sich von diesem Ehrenamt verabschie­det. Vor allem mit seinen fünf Urenkeln sucht er aber immer mal wieder die Tropfstein­welt auf: „Die sollen doch sehen, wo der Uropa einst seine Freizeit verbracht hat.“

 ?? Foto: Thomas Grüninger ?? Fit und agil auch im hohen Alter: Der heute 96-jährige Hugo Strauß widmet sich gerne der Gartenarbe­it an seinem Haus an der Hürbener Fuchssteig­e.
Foto: Thomas Grüninger Fit und agil auch im hohen Alter: Der heute 96-jährige Hugo Strauß widmet sich gerne der Gartenarbe­it an seinem Haus an der Hürbener Fuchssteig­e.

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