Wer will denn da schon rein?
Für die drei Bewerber um die Kanzlerschaft geht es auch darum, ins Kanzleramt einzuziehen. Doch das ist ein Gebäude, in dem es bröckelt und leckt.
Ausblick und Laufwege sind atemberaubend.
Offenbar geht es nicht darum, einen funktionalen Zweckbau zu errichten.
Reiner Holznagel
Bund der Steuerzahler
Jan Hecker ist nun an einem kühleren Ort. Vermutlich jedenfalls. Der bisherige außenpolitische Berater von Kanzlerin Angela Merkel hat nämlich sein Büro ganz oben im Bundeskanzleramt gegen den Botschafterposten in China eingetauscht, wo die Temperaturschwankungen vor allem diplomatischer Natur sein werden. In Berlin hatte es Hecker dagegen hin und wieder mit Hitzewellen direkt an seinem Schreibtisch zu tun. Wer ihn dort beispielsweise im Supersommer 2018 besuchte, traf auf schweißüberströmte Mitarbeiter und einen Merkel-berater, der höflichst darum bat, sein Jackett nicht anziehen zu müssen.
Schuld an solchen Zuständen ist auch die spezielle Bauweise des Kanzleramts. Glas, sehr viel Glas prägt den Regierungskubus; gut für die Symbolik, aber schlecht bei Sonnenschein. Das ist aber nicht die einzige bauliche Schwachstelle an der Willybrandt-straße 1. Es tropft, bröckelt und leckt immer wieder in der Top-immobilie der deutschen Politik, um die sich in diesem Jahr gleich zwei Herren und eine Frau bewerben.
So sehr die drei da auch rein wollen, mancher Regierungsbeamte würde lieber raus. Schon Erstbezieher Gerhard Schröder ranzte einst den Architekten an, er wisse schon, wen das Gebäude wenig begeistern werde: „nämlich alle, die hier arbeiten müssen“. Denn atemberaubend sind im Kanzleramt nicht nur die Ausblicke auf Berlin-mitte, sondern auch die Laufwege. Zehn Minuten kann es dauern zwischen Eingangspforte und Bürotür. Dafür wiederum hat jeder Mitarbeiter knapp 20 Quadratmeter für sich, doppelt so viel wie für Einzelbüros vorgeschrieben ist.
Nichtsdestotrotz soll sich der weltgrößte Regierungssitz nun 20 Jahre nach seiner Eröffnung noch einmal um 400 neue Büros verdoppeln. Zusätzlich sind ein Hubschrauberlandeplatz, ein Logistik-tunnel, eine weitere Fußgängerbrücke sowie eine neue Kanzler-wohnung geplant. In den halbkreisförmigen sechsstöckigen Neubau sollen rund 400 weitere Mitarbeiter einziehen. Als Gründe für den vermehrten Personalaufwand nennt das Kanzleramt unter anderem „zunehmende Herausforderungen durch Pandemie, Energiewende, Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Bekämpfung von Cyberkriminalität, Brexit und Digitalisierung.“
Fast so teuer wie das Schloss
Die Bauarbeiten sollen 2024 starten und vier Jahre dauern. Schon jetzt hat die Bunderegierung die erste Kostenschätzung von 485 Millionen Euro auf rund 600 Millionen Euro korrigiert und liegt dabei nur knapp unter den Kosten für das neue Berliner Stadtschloss.
„Offenbar geht es nicht darum, einen funktionalen Zweckbau zu errichten“, kritisiert Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler. Dies und das permanente Anwachsen der Stellen im Bundeskanzleramt halte er vor allem in der Corona-krise mit ihren Rekordschulden der öffentlichen Haushalte für falsche Signale.
Auch der Bundesrechnungshof hatte die Kanzleramts-verdoppelung schon im vergangenen Jahr kritisiert. So sollen die viel gescholtenen Wintergärten im Neubau gleich über fünf Etagen gehen. „Sie erhöhen unnötig die Kubatur und bieten keinen Mehrwert, der den hohen Aufwand auch im Betrieb rechtfertigen würde“, kritisieren die Prüfer in ihrem Bericht.
Schon jetzt belaufen sich die Kosten für einen Quadratmeter Nutzfläche im Neubau auf 18 529 Euro. „Sie reichen damit an den Orientierungswert höchstinstallierter Forschungsgebäude im universitären Bereich heran“, erklären die Prüfer.
Doch warum braucht man in Zeiten von Homeoffice überhaupt so viel Platz zum Arbeiten? Wegen der Vertraulichkeit der Vorgänge sei es aus Sicherheitsgründen schwer möglich, dass sich Regierungsbeamte Büros und Computerarbeitsplätze teilen, heißt es dazu in einer Erklärung des Kanzleramts. Auch bedinge das erforderliche Zusammenspiel zwischen politischer Leitung und den Fachbereichen eine häufige Präsenz der Beschäftigten. Damit ihre Kinder gut betreut sind, will man für 2,8 Millionen Euro eine hauseigene Kita mit 12 bis 15 Plätzen errichten.
Die Möglichkeiten, unter anderem umweltschonender und energieeffizienter mit anderen Materialien
wie zum Beispiel mehr Holz zu bauen, bleiben dabei beschränkt. Denn die Planung des Erweiterungsbaus wurde aus urheberrechtlichen Gründen an die Architekten des bestehenden Kanzleramtsgebäudes Schultes Frank vergeben, die damit das städtebauliche „Band des Bundes“vervollständigen sollen. Damit alles optisch zueinander passt, wird also erneut viel Sichtbeton, Stahl, Aluminium und natürlich Glas verbaut werden.
Doch zumindest was die Umhausung der 160 Meter langen Fußgängerbrücke über die Spree, für die 2,5 Millionen Euro veranschlagt wurden, betrifft, lässt sich verhandeln. Die Verglasung sei unnötig und wegen zu erwartender Aufheizungen im Sommer sehr problematisch, hatten die Brh-prüfer gemahnt. Das Bundeskanzleramt und die Bauverwaltung wollen die Empfehlung aufgreifen und auf die Verglasung verzichten.