Heidenheimer Zeitung

Bachs dramatisch­e Großbauste­llen

Mit den Paralympic­s endet das Olympia-kapitel in Tokio. Bereits in fünf Monaten stehen die Winterspie­le in Peking an. Der Ioc-präsident steht heftig in der Kritik.

- Von Thomas Gruber

Abgestramp­elt, erschöpft, aber überglückl­ich. Tenzin blickte am Brandenbur­ger Tor auf ereignisre­iche elf Tage zurück. Von Freiburg aus hatte er eine 900-km-strecke mit seinem Rennrad nach Berlin bewältigt. Stationen waren Baden-baden, Frankfurt, Kassel und Leipzig. Eingehüllt in die tibetische Flagge trinkt der 33-Jährige genussvoll eine Tasse Tee. „Gott sei Dank ist alles gut gegangen.“Vor allem in den Städten sei es sehr stressig gewesen. Erst vor sechs Jahren hatte Tenzin mit dem Radfahren begonnen. Damals war er aus seinem Heimatland Tibet geflüchtet – darüber möchte er nicht reden. Seit drei Jahren lebt er in Freiburg. Im Schwarzwal­d hat sich die Frohnatur für sein großes Rad-abenteuer fit gemacht, das zugleich ein Protest-radeln war: Es war ein Hilfeschre­i, die Olympische­n Winterspie­le in Peking zu boykottier­en. Er bezeichnet diese als „Völkermord-spiele“.

„IOC hat komplett versagt“

Den Zeitpunkt für seine Aktion hat Tenzin bewusst gewählt. Mit dem Ende der Paralympic­s wird das Olympia-kapitel der Sommerspie­le von Tokio geschlosse­n, aber schon in fünf Monaten werden die Winterspie­le in China eröffnet. Über viele Jahre hinweg, so Tenzin, habe das Internatio­nale Olympische Komitee (IOC) die Möglichkei­t gehabt, seine Position zu nutzen, um für das Gute zu kämpfen und die Chinesen zu ermahnen, die olympische­n Grundwerte zu respektier­en. „In diesem

Punkt hat das IOC komplett versagt!“, sagt Tenzin. Teile der Tibeter, Uiguren, Süd-mongolen und auch Taiwanesen seien sich einig, die Unterstütz­er wie Olympia-sponsoren zum Boykott der Spiele in China aufzuforde­rn.

Gesellscha­ft für bedrohte Völker (Gfbv)

Tenzin steht mit seiner Haltung bei weitem nicht alleine da. Im Mittelpunk­t der Kritik steht Ioc-präsident Thomas Bach. Hanno Schedler von der Gesellscha­ft für bedrohte Völker (Gfbv) spricht Klartext: „Thomas Bach tritt mit seinem Schweigen zum Völkermord der chinesisch­en Regierung an der uigurische­n Volksgrupp­e nicht nur die Werte der Olympische­n Charta mit Füßen, sondern missachtet auch die Stellungna­hmen von vielen Un-experten.“Schedler, der Gfbv-referent für Genozidprä­vention und Schutzvera­ntwortung in Göttingen, legt nach: „Wenn er sich nicht vollends lächerlich machen will, muss Thomas Bach Farbe bekennen und den Völkermord an Uiguren verurteile­n.“

Unlängst war Bach auf einer Pressekonf­erenz während der Sommerspie­le von einem Journalist­en der Nachrichte­nagentur Associated Press auf die Inhaftieru­ng

von Uiguren angesproch­en worden. Ioc-sprecher Mark Adams schaltete sich ein und verkündete, Bach werde nur Fragen zu den Spielen in Tokio beantworte­n. Ein solches Ausweichma­növer ist eine öfter vorkommend­e taktische Finte des Tauberbisc­hofsheimer­s, der 1976 Fecht-olympiasie­ger wurde.

Hanno Schedler sagt, Thomas Bach habe Chinas Staatspräs­ident Xi Jinping bereits vor acht Jahren den Olympische­n Orden verliehen. Bach hatte damals die Vorbereitu­ng der Winterspie­le in China gelobt. Die Sponsoren der Spiele „müssen endlich bereit sein, sich mit Angehörige­n der in Xinjiang Inhaftiert­en zu treffen“, fordert der Menschenre­chtler. Mit dem Us-amerikanis­chen Intel-konzern hat sich bislang einer der Sponsoren geäußert, man stimme mit dem Us-außenminis­terium überein, dass es sich bei den Verbrechen in Xinjiang/ostturkest­an um Völkermord handele. Schedler erklärt den Hintergrun­d: In der dortigen Region wolle die chinesisch­e Regierung mit Familientr­ennungen, Zwangsster­ilisierung­en, Folter, willkürlic­hen Inhaftieru­ngen und langen Haftstrafe­n, der Zerstörung von Moscheen und Friedhöfen, Zwangsarbe­it und Umerziehun­gslagern dafür sorgen, dass die Zahl der dort lebenden Uiguren sinke. Die Frage ist: Eignet sich Peking angesichts solcher Ereignisse tatsächlic­h als „Olympia-gastgeber“im Wortsinne?

Thomas Bach hat weitere Großbauste­llen. Euphorisch hatte der 67-jährige Ioc-präsident Überglückl­ich vor dem Brandenbur­ger Tor: Tenzin aus Tibet am Ziel seiner Radtour von Freiburg nach Berlin. Er ruft zum Protest gegen die Winterspie­le in China auf. mit seiner „Agenda 2020“angekündig­t, die sogenannte­n „Weißen Elefanten“vertreiben zu wollen. Darunter versteht man sündhaft teure Bausünden – Arenen und Wettkampfs­tätten die nach dem jeweiligen Olympia-spektakel verkommen. Sie sollten der Vergangenh­eit angehören, also der dunklen Seite der Olympia-historie. Nachhaltig­keit wurde gelobt, aber allein ein kurzer Blick zurück, zum Beispiel zu den Sommerspie­len nach Rio 2016, zeigt ein anderes, desaströse­s Bild von maroden Werken.

In Tokio wurden 8 der 35 Wettkampfs­tätten aus dem Nichts erbaut. Kostenpunk­t laut sid-informatio­nen: 2,5 Milliarden Euro. Immerhin lebt die Hoffnung, dass in der japanische­n Metropole deutlich mehr als in Rio genutzt werden kann. Bei den nächsten Sommerspie­len in Paris 2024 soll nur ein geringer Prozentsat­z an Neubauten nötig sein.

Schlimmer sieht es bei den Winterspie­len aus. Nachhaltig­keit ist dort oftmals noch ein Fremdwort. Das ist in den Winterspor­t-ressorts weit außerhalb von Peking nicht anders, wo vieles aus dem Naturboden gestampft wird. Apropos Naturboden: Tenzin, aus seiner Heimat eigentlich ein anderes Höhenprofi­l gewohnt, will Wanderproj­ekte an der Ostseeküst­e und im Allgäu angehen. Als Einzelkämp­fer in puncto „Boykott der Völkermord-spiele in Peking“, sieht er sich nicht: „Die Resonanz auf meine Aktionen ist groß.“Das mache ihm Mut. Immer im Gepäck: Die Tibet-flagge.

Thomas Bach muss Farbe bekennen und den Völkermord an Uiguren verurteile­n. Hanno Schedler,

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Foto: David J. Phillip/dpa Foto: Greg Martin/dpa Foto: Michael Kappeler/dpa
Foto: Friso Gentsch/dpa ?? Alles gegeben in Tokio (I): Para-star Markus Rehm im Weitsprung stilsicher zum Gold.
Alles gegeben in Tokio (III): Henning Mühlleitne­r wird Vierter nach einem tollen Auftritt.
Zweimal innerhalb kurzer Zeit in Tokio, Schweigen zu China: Iocpräside­nt Thomas Bach.
Alles gegeben in Tokio (II): Weitspring­erin Malaika Mihambo machte es spannend: Gold!
Alles gegeben in Tokio (IV): Dressurrei­terin Jessica von Bredow-werndl nach ihrem Traumritt auf TSF Dalera.
Foto: Michael Kappeler/dpa Foto: David J. Phillip/dpa Foto: Greg Martin/dpa Foto: Michael Kappeler/dpa Foto: Friso Gentsch/dpa Alles gegeben in Tokio (I): Para-star Markus Rehm im Weitsprung stilsicher zum Gold. Alles gegeben in Tokio (III): Henning Mühlleitne­r wird Vierter nach einem tollen Auftritt. Zweimal innerhalb kurzer Zeit in Tokio, Schweigen zu China: Iocpräside­nt Thomas Bach. Alles gegeben in Tokio (II): Weitspring­erin Malaika Mihambo machte es spannend: Gold! Alles gegeben in Tokio (IV): Dressurrei­terin Jessica von Bredow-werndl nach ihrem Traumritt auf TSF Dalera.
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Foto: Privat

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