Bachs dramatische Großbaustellen
Mit den Paralympics endet das Olympia-kapitel in Tokio. Bereits in fünf Monaten stehen die Winterspiele in Peking an. Der Ioc-präsident steht heftig in der Kritik.
Abgestrampelt, erschöpft, aber überglücklich. Tenzin blickte am Brandenburger Tor auf ereignisreiche elf Tage zurück. Von Freiburg aus hatte er eine 900-km-strecke mit seinem Rennrad nach Berlin bewältigt. Stationen waren Baden-baden, Frankfurt, Kassel und Leipzig. Eingehüllt in die tibetische Flagge trinkt der 33-Jährige genussvoll eine Tasse Tee. „Gott sei Dank ist alles gut gegangen.“Vor allem in den Städten sei es sehr stressig gewesen. Erst vor sechs Jahren hatte Tenzin mit dem Radfahren begonnen. Damals war er aus seinem Heimatland Tibet geflüchtet – darüber möchte er nicht reden. Seit drei Jahren lebt er in Freiburg. Im Schwarzwald hat sich die Frohnatur für sein großes Rad-abenteuer fit gemacht, das zugleich ein Protest-radeln war: Es war ein Hilfeschrei, die Olympischen Winterspiele in Peking zu boykottieren. Er bezeichnet diese als „Völkermord-spiele“.
„IOC hat komplett versagt“
Den Zeitpunkt für seine Aktion hat Tenzin bewusst gewählt. Mit dem Ende der Paralympics wird das Olympia-kapitel der Sommerspiele von Tokio geschlossen, aber schon in fünf Monaten werden die Winterspiele in China eröffnet. Über viele Jahre hinweg, so Tenzin, habe das Internationale Olympische Komitee (IOC) die Möglichkeit gehabt, seine Position zu nutzen, um für das Gute zu kämpfen und die Chinesen zu ermahnen, die olympischen Grundwerte zu respektieren. „In diesem
Punkt hat das IOC komplett versagt!“, sagt Tenzin. Teile der Tibeter, Uiguren, Süd-mongolen und auch Taiwanesen seien sich einig, die Unterstützer wie Olympia-sponsoren zum Boykott der Spiele in China aufzufordern.
Gesellschaft für bedrohte Völker (Gfbv)
Tenzin steht mit seiner Haltung bei weitem nicht alleine da. Im Mittelpunkt der Kritik steht Ioc-präsident Thomas Bach. Hanno Schedler von der Gesellschaft für bedrohte Völker (Gfbv) spricht Klartext: „Thomas Bach tritt mit seinem Schweigen zum Völkermord der chinesischen Regierung an der uigurischen Volksgruppe nicht nur die Werte der Olympischen Charta mit Füßen, sondern missachtet auch die Stellungnahmen von vielen Un-experten.“Schedler, der Gfbv-referent für Genozidprävention und Schutzverantwortung in Göttingen, legt nach: „Wenn er sich nicht vollends lächerlich machen will, muss Thomas Bach Farbe bekennen und den Völkermord an Uiguren verurteilen.“
Unlängst war Bach auf einer Pressekonferenz während der Sommerspiele von einem Journalisten der Nachrichtenagentur Associated Press auf die Inhaftierung
von Uiguren angesprochen worden. Ioc-sprecher Mark Adams schaltete sich ein und verkündete, Bach werde nur Fragen zu den Spielen in Tokio beantworten. Ein solches Ausweichmanöver ist eine öfter vorkommende taktische Finte des Tauberbischofsheimers, der 1976 Fecht-olympiasieger wurde.
Hanno Schedler sagt, Thomas Bach habe Chinas Staatspräsident Xi Jinping bereits vor acht Jahren den Olympischen Orden verliehen. Bach hatte damals die Vorbereitung der Winterspiele in China gelobt. Die Sponsoren der Spiele „müssen endlich bereit sein, sich mit Angehörigen der in Xinjiang Inhaftierten zu treffen“, fordert der Menschenrechtler. Mit dem Us-amerikanischen Intel-konzern hat sich bislang einer der Sponsoren geäußert, man stimme mit dem Us-außenministerium überein, dass es sich bei den Verbrechen in Xinjiang/ostturkestan um Völkermord handele. Schedler erklärt den Hintergrund: In der dortigen Region wolle die chinesische Regierung mit Familientrennungen, Zwangssterilisierungen, Folter, willkürlichen Inhaftierungen und langen Haftstrafen, der Zerstörung von Moscheen und Friedhöfen, Zwangsarbeit und Umerziehungslagern dafür sorgen, dass die Zahl der dort lebenden Uiguren sinke. Die Frage ist: Eignet sich Peking angesichts solcher Ereignisse tatsächlich als „Olympia-gastgeber“im Wortsinne?
Thomas Bach hat weitere Großbaustellen. Euphorisch hatte der 67-jährige Ioc-präsident Überglücklich vor dem Brandenburger Tor: Tenzin aus Tibet am Ziel seiner Radtour von Freiburg nach Berlin. Er ruft zum Protest gegen die Winterspiele in China auf. mit seiner „Agenda 2020“angekündigt, die sogenannten „Weißen Elefanten“vertreiben zu wollen. Darunter versteht man sündhaft teure Bausünden – Arenen und Wettkampfstätten die nach dem jeweiligen Olympia-spektakel verkommen. Sie sollten der Vergangenheit angehören, also der dunklen Seite der Olympia-historie. Nachhaltigkeit wurde gelobt, aber allein ein kurzer Blick zurück, zum Beispiel zu den Sommerspielen nach Rio 2016, zeigt ein anderes, desaströses Bild von maroden Werken.
In Tokio wurden 8 der 35 Wettkampfstätten aus dem Nichts erbaut. Kostenpunkt laut sid-informationen: 2,5 Milliarden Euro. Immerhin lebt die Hoffnung, dass in der japanischen Metropole deutlich mehr als in Rio genutzt werden kann. Bei den nächsten Sommerspielen in Paris 2024 soll nur ein geringer Prozentsatz an Neubauten nötig sein.
Schlimmer sieht es bei den Winterspielen aus. Nachhaltigkeit ist dort oftmals noch ein Fremdwort. Das ist in den Wintersport-ressorts weit außerhalb von Peking nicht anders, wo vieles aus dem Naturboden gestampft wird. Apropos Naturboden: Tenzin, aus seiner Heimat eigentlich ein anderes Höhenprofil gewohnt, will Wanderprojekte an der Ostseeküste und im Allgäu angehen. Als Einzelkämpfer in puncto „Boykott der Völkermord-spiele in Peking“, sieht er sich nicht: „Die Resonanz auf meine Aktionen ist groß.“Das mache ihm Mut. Immer im Gepäck: Die Tibet-flagge.
Thomas Bach muss Farbe bekennen und den Völkermord an Uiguren verurteilen. Hanno Schedler,