Wachsen unterm Sonnendach
Um die Energiewende zu schaffen, ist Solarenergie unausweichlich. Kombiniert man sie mit Landwirtschaft, können Flächen doppelt genutzt werden.
Landschaftsverschandelung, Platzverschwendung, Irrweg – Schlagworte wie diese fallen oft, wenn es um Frei-photovoltaikanlagen geht. Durchaus auch von Menschen aus der „grünen“Ecke, etwa Bio-landwirten und Umweltschützern. Nicht die Solarmodule auf Dächern sind dabei ein Dorn im Auge, sondern diejenigen, die auf Feldern und Wiesen ausgebracht werden. Diese Flächen werden zunehmen, wollen wir weg von fossilen Energieträgern (siehe Box). Blühen uns also bald nicht nur riesige Windräder, sondern monoton anmutende schwarze Rechtecke statt grüner Wiesen und fruchtbarer Äcker? Das muss keineswegs so sein. Photovoltaik und Landwirtschaft sind durchaus vereinbar, wie verschiedene Forschungsprojekte zeigen. ,„Agri-“oder „Agro-photovoltaik“nennt sich das Ganze, geforscht wird daran im Prinzip schon seit Anfang der 1980er-jahre. So richtig Fahrt auf nimmt es allerdings erst jetzt, da viele sogenannte minderwertige Flächen, etwa neben Autobahnen und auf Mülldeponien, bereits ausgelastet sind. „Statt miteinander in Konkurrenz zu stehen, können sich Photovoltaik und Photosynthese sehr gut ergänzen“, schreibt ein Wissenschaftler-team in einem Leitfaden für Agri-photovoltaik (2020) des Fraunhofer-instituts für Solare Energiesysteme (ISE). Die Fläche unter den Solarmodulen muss keineswegs tot sein, so das Ergebnis verschiedener Forschungsprojekte. Im Gegenteil: Manche Pflanzen gedeihen teilweise sogar besser unter den Sonnendächern als auf freier Ackerfläche.
Denn nicht jede Ackerfrucht ist zwingend ein „Sonnenkind“. Vor allem im besonders warmen und trockenen Sommer 2018 wurde der Effekt sichtbar, schreiben die Forscher. Auf dem Demeterhof in Heggelbach in der Region Bodensee-oberschwaben wurden innerhalb eines der Agri-pvprojekte Kartoffeln, Kleegras, Sellerie und Winterweizen unter den Solarmodulen angebaut. Vor allem die Kartoffeln und der Sellerie profitierten in der Hitze vom schattenspendenden Dach, das zudem die Luftfeuchtigkeit erhöhte und den Boden länger feucht hielt. Sie brachten mehr Ertrag als in der normal bewirtschafteten Kontrollfläche.
Auch Salat freut sich offensichtlich über Schatten, Viele Pflanzen gedeihen besser wie ein weiteres Projekt zeigt. „Die Pflanzen reagierten auf ein um etwa 30 Prozent reduziertes Lichtangebot, ähnlich wie der Sellerie in Heggelbach, mit verstärktem Blattflächenwachstum“, schreiben die Forscher. Sogar Äpfel gedeihen bestens unter den Solarmodulen, wie ein Projekt auf einem Bio-obsthof in Rheinland-pfalz zeigt.
Grundsätzlich, so das Ergebnis der Studien, sind alle Kulturpflanzen für einen Anbau unter dem Sonnendach geeignet. Sprich: Sie wachsen alle. Der Ertrag allerdings kann unterschiedlich ausfallen. Während Salat, Beeren, Spargel und Hopfen auf weniger Sonne positiv reagieren, könnten andere Pflanzen etwas geringere Ernte bringen. Eine universell gültige Regel für den idealen Agri-pv-anbau kann es daher nicht geben, so die Forscher. Solarmodule und Pflanzen müssen in jedem Fall individuell aufeinander abgestimmt werden – im Zweifel zugunsten der Pflanzen. „Wenn die Photovoltaik in die landwirtschaftliche Produktion integriert werden soll, hat sie sich dieser unterzuordnen“, betont Andreas Bett, Institutsleiter am ISE. Die Solarreihen werden etwa in größerem Abstand zueinander aufgestellt als normalerweise. Je mehr Licht die Pflanzen brauchen, desto größer der Abstand. So kann die gewünschte Verschattung relativ genau abgestimmt werden.
Auch wenn auf beiden Seiten nicht immer der volle Ertrag erzielt werden kann – insgesamt wird die Landnutzung auf jeden Fall gesteigert. Die Wissenschaftler rechnen das am Beispiel der Kartoffeln vom Heggelbach-hof vor. Im Jahr 2017, als der Sommer nicht besonders heiß war, reagierten die Kartoffeln auf die Beschattung mit weniger Knollen, sie brachten 18 Prozent weniger Ertrag. Gleichzeitig wurde auf der gleichen Fläche aber Energie durch die Solaranlage gewonnen. Daher hatte sich die Landnutzungsrate insgesamt trotz allem auf 160 Prozent gesteigert.
Allerdings ist die Installation der ackertauglichen Photovoltaikanlagen momentan noch etwas teurer als die der normalen. Das liegt vor allem daran, dass die Module auf fünf Meter hohen Stelzen stehen müssen. Anderenfalls würden die Landwirte mit ihren Traktoren nicht auf ihre Felder gelangen, die Bewirtschaftung würde zu aufwendig werden.
Dafür leisten die Solardächer den Pflanzen gute Dienste, rechnen die Wissenschaftler gegen. Wetterextreme, die im Zuge des Klimawandels häufiger werden, würden abgemildert, etwa Hagel oder Starkregen. Hagelschutznetze könnten gespart werden, ebenso Pflanzen-folien, deren Zweck die Solarmodule übernehmen oder ergänzen könnten. In einer Himbeerplantage in den Niederlanden ersetzen bereits Solarmodule die Folientunnel. Für das Landschaftsbild dürfte es egal sein, ob sich nun Folien oder Solarmodule über den Pflanzen befinden.
Auch wenn die Solarmodule nicht sonderlich hübsch sind – ökologisch gesehen müssen sie keine Katastrophen sein. Wird auf den Flächen keine Landwirtschaft betrieben, könnte vor allem zwischen den Modulen ein Lebensraum für gefährdete Tiere und Pflanzen geschaffen werden, so der Nabu – etwa für bodenbrütende Vögel.