Vor 387 Jahre: Als Giengen unterging
Bei einem historischen Stadtrundgang erinnerte Giengens Stadtarchivar Dr. Alexander Usler an den großen Stadtbrand zu Zeiten des Dreißigjährigen Krieges, als die Giengen 24 Stunden brannte.
Bei einem historischen Stadtrundgang erinnerte Giengens Stadtarchivar Dr. Alexander Usler an den großen Stadtbrand.
Es ist der 5. September 1634. Soeben haben die protestantischen Schweden die „Schlacht bei Nördlingen“, eine der entscheidenden Auseinandersetzungen des Dreißigjährigen Krieges, gegen drei kaiserliche, also katholische Heere verloren. Für die Reichsstadt Giengen – seit 1556 endgültig protestantisch – ein fataler Ausgang. Denn infolge der Niederlage flohen die Schweden aus dem Nördlinger Raum, verfolgt von ihren Kontrahenten. Bei dieser Hatz kam man dann auch durch Giengen.
„Die Giengener haben natürlich gehofft – die Schweden sind ja unsere Verbündeten – die werden uns schon verteidigen. Von wegen. Die plünderten, malträtierten die Bevölkerung und als die kaiserliche Armee anrückte, sind sie weiter westwärts geflohen“, so Dr. Alexander Usler. Der Giengener Stadtarchivar führte am Samstag – gekleidet in eine zeittypische Ratsherrentracht samt üppigstem Kopfschmuck – bei einem Stadtrundgang an verschiedene historisch bedeutsame Plätze, die an die Geschehnisse der damaligen Tage erinnern.
Dramatischen Folgen
Usler betonte dabei die dramatischen Folgen der Kampfhandlungen besonders für die Zivilbevölkerung. Denn mit der Plünderung durch ihre eigene Schutzmacht war der Krieg für die Giengener längst nicht erledigt: Plötzlich standen 2500 protestantische Giengener 25 000 katholischen Soldaten gegenüber, die die Stadt innerhalb weniger Tage ein zweites Mal ausraubten.
Und genau bei dieser Plünderung durch die Kaiserlichen kam es in den Morgenstunden des 5. September 1634 zur größten Katastrophe in der Geschichte der Reichsstadt: In einem Heuhaufen auf der Tanzlaube hatte ein Soldat mit einer brennenden Fackel nach Raubgut gesucht und mutmaßlich so die Stadt in Schutt und Asche gelegt. „Er hat wahrscheinlich nicht einmal absichtlich, sondern versehentlich den Heuhaufen in Brand gesteckt“, sagt Alexander Usler. Heutzutage würde man wohl von einem klassischen Kollateralschaden sprechen.
„Das Feuer hat eine solche Hitze entwickelt, dass sogar Metall und Glas geschmolzen sind“, zitiert der Archivar aus alten Quellen. Die Temperaturen waren so extrem, dass sich Spuren des Feuers bis heute in den Resten der Stadtmauer erhalten haben: „Man sieht rote Flecken. Die vom Landesdenkmalamt
in Stuttgart haben gesagt: Diese Mauer hat zumindest teilweise beim Stadtbrand geglüht. Und wenn man Kalkstein zum Glühen bringt, bleibt der nach dem Erkalten rot“, so Usler.b
Normalerweise hätte jetzt der Rat der Stadt sofort die Löscharbeiten koordinieren müssen. Die feinen Herren hatten sich aber wohlweislich längst nach Ulm abgesetzt und die Bürger ihrer Stadt im Stich gelassen. Zu allem Unglück wollten die Giengener ihre Häuser nicht verlassen, weil sie die kaiserlichen Soldaten mehr fürchteten als das Feuer selbst. „Und so konnte es sich ungehindert ausbreiten und die Stadt hat 24 Stunden lang gebrannt“, fügt Alexander Usler an. Das Feuer muss so groß gewesen sein, dass man es sogar in Ulm sehen konnte. Der Brand vernichtete innerhalb der Stadtmauern nahezu alle Gebäude. Von 300 Giengener Familien überlebten nur 36.
Die Menschen flüchteten jetzt nach Heidenheim, Herbrechtingen oder Ulm. Und wurden dabei ein weiteres Mal ausgeraubt. Oder sogar getötet: „Der Rechenmeister David Stöltzlin – heute würde man sagen, der Mathelehrer – floh mit seiner Familie und ist dabei von einem kaiserlichen Soldaten, der Geld wollte, mit dem Degen bedroht und erstochen worden“, erläutert Usler. Stöltzlins Sohn ist die Flucht nach Ulm geglückt, er wurde dort Maler und hat aus der Erinnerung heraus seine brennende Heimatstadt gemalt, samt der Szene mit der Ermordung seines Vaters, wie sie heute, fast 400 Jahre später, auf dem Brandbild in der Giengener
Stadtkirche links unten immer noch zu sehen ist.
Auch die evangelische Stadtkirche selbst wurde schwer beschädigt. Mit dem Wiederaufbau wurde erst weit nach dem Ende des 30-jährigen Krieges begonnen. „Eher hat man einfach kein Geld dafür gehabt“, so Usler. Und im evangelischen Giengen sollte natürlich auch ein evangelischer Fachmann den neuen evangelischen Glockenturm errichten. Das Problem war: Man fand weit und breit niemanden, der das konnte, weil gleichzeitig gerade das Ludwigsburger Schloss gebaut wurde. Fachkräftemangel in der Frühen Neuzeit.
Zähneknirschend orientierte man sich Richtung katholisches Günzburg und wurde in Ichenhausen fündig. Was natürlich auch wieder zu Streitereien führte. „Die evangelischen Pfarrer protestierten: Dürfen die ein Vater unser in unserer Kirche beten? Katholiken! Das ist ja fast schon eine Entweihung der Kirche!“, fügt Alexander Usler an. Quasi ein abermaliger Religionskonflikt, diesmal im Kleinen. Dem leider unbekannt gebliebenen katholischen Baumeister scheint das alles relativ egal gewesen zu sein, seine Arbeit hat er gut erledigt: Der barocke Turm steht heute noch.