Kampf um Prozente
In der Anfangsphase der Pandemie war sie eine Verheißung: die Herdenimmunität. Wer sich nicht anstecken kann, verhindert, dass sich der Erreger ausbreitet und die trifft, die ungeimpft geblieben sind – weil man sie zum Beispiel gar nicht impfen kann. Zunächst schienen dafür 60 Prozent der Bevölkerung zu reichen, die geimpft oder genesen und damit immun sind. Durch Delta sind daraus zumindest nach Ansicht des Robert-kochinstituts 85 Prozent aller Bürger, die aktuell geimpft werden können, geworden. Doch die Quote der vollständig Geimpften in der Gesamtbevölkerung kommt kaum noch vom Fleck und liegt bei 61 Prozent. Die offiziell erfassten Genesenen machen nicht einmal fünf Prozent der Bevölkerung aus.
Dass es sich aber lohnt, das nicht einfach schulterzuckend hinzunehmen, sondern um jeden Prozentpunkt bei der Impfquote zu kämpfen, sieht man an Dänemark. Dort fallen ab dem kommenden Freitag alle Corona-einschränkungen weg – bei einer Impfquote von aktuell 73 Prozent. Betrachtet man lediglich die Gruppe der über Zwölfjährigen, liegt die Quote sogar bei mehr als 80 Prozent. Nun lässt sich unser kleines Nachbarland nicht so einfach mit dem großen Deutschland vergleichen – dort gibt es ein zentralisiertes, effektives und sehr digitales Gesundheitssystem, komplett aus Steuermitteln bezahlt. In Krisenzeiten ziehen Regierung und Opposition an einem Strang und die überwältigende Mehrheit der Dänen hat Vertrauen in das Agieren des Staates. Und trotzdem: Dänemark hat einfach stringent agiert. Zunächst früh einen strengen Lockdown eingeführt, bei einer Verbesserung der Lage aber auch schnell gelockert. In den vergangenen Wochen war etwa bereits die Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr abgeschafft worden. Vor allem aber hat man, als endlich genügend Impfstoff vorhanden war, die Kampagne schnell hochgefahren – und es in die Top 5 weltweit geschafft. Trotz der Aufhebung aller Corona-maßnahmen geht die Regierung davon aus, dass letztlich 90 Prozent der Dänen geimpft sein werden, wofür sie weiter wirbt.
Deutsche Politiker beklagen zwar die stockende Impfkampagne, ihnen scheint es aber bequemer zu sein, massenweise Kinder zu impfen, als auf die Millionen Erwachsenen zuzugehen, die noch unentschlossen sind oder gar schlicht nicht weiter über das Thema nachgedacht haben. Dabei sind es die 40-, 50- oder 60-Jährigen, die eine Infektion fürchten müssen. Kinder ohne Vorerkrankungen kommen fast immer glimpflich davon.
Es lohnt sich, Dänemark als Vorbild zu nehmen – der Erfolg gibt dem Land recht.
Und: Gerade rund vier Millionen Kinder können sich aktuell impfen lassen, während 20 Millionen Erwachsene auf die Immunisierung bisher verzichten. Es würde sich also lohnen, mit unkonventionellen Maßnahmen auf eine dänische Quote hinzuarbeiten. Die Aktionswoche der Bundesregierung ab kommendem Montag könnte ein Schritt dahin sein.
Was aber weder Deutsche noch Dänen bisher wissen: Kommt vielleicht bald die nächste Mutante, die den Schutz von Geimpften und Genesenen wieder aushebeln kann? Dann stünden wir bei der Herdenimmunität wieder ganz am Anfang.