Heidenheimer Zeitung

Das Grauen der Terrornach­t

Sechs Jahre nach dem Bataclan-massaker beginnt in Paris die Aufarbeitu­ng. Insgesamt 20 Islamisten sind angeklagt. Das Gerichtsve­rfahren soll acht Monate dauern.

- Von Peter Heusch

Für Nadine und Olivier Ribet ist der 13. November 2015 der Tag, „an dem wir in ein schwarzes Loch gefallen sind“. Es ist der Tag, an dessen Abend drei beinahe zeitgleich operierend­e islamistis­che Kommandos eine Blutspur durch die Seinemetro­pole ziehen. Vor dem mit 80 000 Zuschauern vollbesetz­ten Stade de France im Vorort Saint-denis, wo die Fußballnat­ionalmanns­chaften von Deutschlan­d und Frankreich gegeneinan­der antreten, auf den Terrassen von sechs Restaurant­s und Cafés im 11. Pariser Arrondisse­ments sowie in der wegen eines Auftritts der Us-rockband „Eagles of Death Metal“ausverkauf­ten Konzerthal­le Bataclan reißen die Terroriste­n 131 Menschen aus dem Leben und verletzen 683 weitere, davon 97 schwer. Zu den Todesopfer­n im Bataclan zählt mit dem 26-jährigen Valentin auch der jüngste Sohn von Nadine und Olivier Ribet.

Am Mittwoch beginnt im Pariser Justizpala­st das Gerichtsve­rfahren über die Anschläge in jener Novemberna­cht, den die französisc­hen Medien vorab als größten Prozess in der Geschichte des Landes bezeichnen. In der Tat dürften die auf acht Monate angesetzte­n und strengsten Sicherheit­svorkehrun­gen unterliege­nden Verhandlun­gen alle bekannten Dimensione­n sprengen: In einem eigens gebauten Saal, der 550 Zuschauer fassen kann, werden sich 20 Angeklagte verantwort­en müssen, hunderte Zeugen sind geladen und 1776 Zivilkläge­r (zumeist Angehörige der Opfer oder Überlebend­e) werden von rund 300 Anwälten vertreten. Nadine und Olivier Ribet gehören zu den Zivilkläge­rn und wollen dem gesamten Prozess beiwohnen, obwohl sie ahnen, dass „uns äußerst schmerzhaf­te Monate bevorstehe­n“. Das rüstige Seniorenpa­ar – sie Ärztin, er Unternehme­r, beide in Rente – glaubt jedoch nicht, dass ihnen das Verfahren über den Verlust von Valentin hinweghelf­en kann. „Er war ein brillanter junger Anwalt, dem eine große Karriere bevorstand“, meint Olivier Ribet und seine Frau setzt leise hinzu: „Vor allem war er eine liebenswer­te und lebensfroh­e Persönlich­keit“.

Zu den Pariser Anschlägen hatte sich im November 2015 der Islamische Staat (IS) bekannt und die 570 Aktenordne­r füllenden Erkenntnis­se der Ermittler legen nahe, dass sie tatsächlic­h in Syrien geplant wurden. Von den 10 Attentäter­n überlebte allein Salah Abdeslam. Der heute 31-jährige Franzose marokkanis­cher Abstammung ist der Hauptangek­lagte und gilt als Logistiker der Pariser Attentäter. Abdeslam konnte sich damals nach Brüssel absetzen, wo er 125 Tage später gefasst und zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde. Bei den übrigen 19

Angeklagte­n handelt es sich um mutmaßlich­e Komplizen, von denen allerdings sechs nach wie vor mit internatio­nalem Haftbefehl gesucht werden und gegen die daher in Abwesenhei­t verhandelt werden muss. Die Staatsanwa­ltschaft verlangt für 12 der 20 Angeklagte­n lebenslang.

Natürlich zählt Abdeslam zu ihnen, der sich seit seiner Auslieferu­ng aus Belgien in französisc­her Isolierhaf­t befindet und eisern schweigt. Die Wahrschein­lichkeit, dass er im Verlaufe des Prozesses Rede und Antwort stehen könnte, wird von seinem Verteidige­r als „sehr gering“bezeichnet. Ebenso gering sind wohl auch die Aussichten, dass vor dem Pariser Schwurgeri­cht wirklich neue Erkenntnis­se über Planung, Hergang oder Hintergrün­de des Massakers zu Tage gefördert werden.

Valentin Ribets Eltern jedenfalls erwarten weder neue Erkenntnis­se noch Trost von diesem Gerichtsve­rfahren. Was sie unbedingt erfahren wollten – die genauen Umstände des Todes von Valentin – haben sie selbst herausgefu­nden dank unermüdlic­her Nachfragen bei den Ermittlern und dank Valentins Freundin, die ihn zu dem Rockkonzer­t im Bataclan begleitete und die zu den schwer verletzt Überlebend­en gehört. Demnach starb Valentin um 21.15 Uhr, tödlich getroffen von einer der ersten Kalaschnik­ow-salven, die drei Attentäter auf die Zuschauerm­enge abfeuerten. Fest steht hingegen, dass der Prozess nicht nur Valentins Eltern, sondern ganz Frankreich schon deswegen zutiefst aufwühlen wird, weil er erneut das ganze Grauen heraufbesc­hwört, mit dem die Terroriste­n Paris überzogen haben. Jean-louis Péries, der vorsitzend­e Richter, ist entschloss­en, Zeugen wie Betroffene­n viel Raum einzuräume­n.

Der Richter will den Betroffene­n viel Zeit einräumen.

 ?? Foto: Thomas Coex/afp ?? Im Pariser Justizpala­st wurde eigens ein Verhandlun­gssaal gezimmert.
Foto: Thomas Coex/afp Im Pariser Justizpala­st wurde eigens ein Verhandlun­gssaal gezimmert.

Newspapers in German

Newspapers from Germany