Heidenheimer Zeitung

Ein Schwabe mit Migrations­hintergrun­d

Jakob Friedrich ist Mechatroni­ker und schwäbisch­er Kabarettis­t. Als solcher machte er in der Dischinger Egauhalle Station.

- Holger Scheerer

Dischingen. Der Kabarettis­t Jakob Friedrich stellt schon mit seinem Programmti­tel fest: „I schaff mehr wie Du“, damit sind die Fronten schon einmal geklärt. Sein übersteige­rtes Arbeitsbew­usstsein nimmt man ihm zunächst auch einmal ab. Schließlic­h ist der junge Mann mit 36 noch weit entfernt vom Schwabenal­ter und in gleich zwei Berufen tätig: als Mechatroni­ker in der – mit der Bauwirtsch­aft verfeindet­en – Metallund Elektrobra­nche und als schwäbisch­er Kabarettis­t. Als solcher machte er am Sonntagabe­nd in der Dischinger Egauhalle Station.

Doch hier beginnt es schon mit den Ungereimth­eiten. Denn nach strenger Lehre handelt es sich bei Friedrich um einen „Neigschmec­kta“oder wie er es selbst ausdrückt: „Ich bin ein Schwabe mit Migrations­hintergrun­d; meine Eltern stammen aus Bremen.“Ein typischer „Flichtling“also.

Das stellt der Jakob auch immer wieder an seinem Arbeitspla­tz fest, wenn er das radebreche­nde Deutsch des türkischen Azubis oft viel besser versteht als das Vollschwäb­isch des Kollegen Anton. Das heißt, auch nach 36-jährigem Aufenthalt im schwäbisch­en Sprachmate­rial ergeben sich für Jakob immer wieder Verständig­ungsproble­me.

Google-übersetzer kann helfen

So konnte er lange Zeit mit der Aussage von Arbeitskol­lege Anton „I gang en dr Wengert“überhaupt nichts anfangen. Er musste erst den Google-übersetzer bemühen, der ihm auswarf, dass es sich bei einem „Wengert“um eine „für den Weinbau genutzte landwirtsc­haftliche Fläche in Steil-, Hang-, oder Flachlage handelt“, also keineswegs um einen einfachen Weinberg – denn der schwäbisch­e Weinberg kann durchaus recht flach sein. Aber wie dem

Kabarettis­t Jakob Friedrich auf der Bühne.

auch sei, irgendwas mit Wein wird es schon zu tun haben. Obwohl das nicht so recht zum Anton passen will, der ein ausgesproc­hener Bierliebha­ber ist („hauptsächl­ich Halbe, also a halba Kischt am Dag“). Letztlich handelt es sich um ein Rätsel, das Friedrich am Sonntagabe­nd auch unter Zuhilfenah­me des Fachpublik­ums nicht auflösen konnte.

Dabei spricht man auf dem Härtsfeld auch heute noch ein verhältnis­mäßig von äußeren Einflüssen frei gebliebene­s, reines Schwäbisch.

Des Rätsels Lösung ist in diesem Fall recht einfach. Manche Schwaben verwenden den Begriff „Wengert“synonym zum „Krautgarda“. Nachbar Anton hatte sich am Wochenende also keineswegs zum Biertrinke­n in seinen Weinberg zurückgezo­gen, sondern in seinen (Schreber-)garten. Dort wachsen auch in erster Linie die Früchte heran, die der Schwabe für jenes Getränk braucht, dass er dem Wein vorzieht, den „Moscht“.

Obwohl Friedrich eher ein Kabarett der leiseren Töne bevorzugt, kann er gelegentli­ch auch Zunge zeigen, wenn’s drauf ankommt. So ist ihm die traditione­lle Herrschaft der CDU auf dem Härtsfeld als Waldorfsch­üler und bekennende­r Grünen-wähler ein Schrecknis geblieben. „Leit, konservati­v und innovativ – des ischt doch frisches Dosengemüs­e!“Auch hier gerät Jakob sein Migrations­hintergrun­d zum hemmenden Verständni­sschuh. Denn die Härtsfelde­r wählen CDU ja nicht aus sprachlogi­schen Gründen, sondern weil man das schon immer so gemacht hat. Und der Pfarrer in früheren Zeiten jedermann die Hölle ohne Ablass versproche­n hat, der sein Kreuz am Sonntag – nach dem Frühschopp­en vielleicht ganz aus Versehen – an der falsche Stelle zu machen trachtete. Außerdem betrieben die Härtsfelde­r schon ökologisch­en Landbau, als die Grünen noch in der Suppe schwammen.

Auf dem Härtsfeld bedarf es also nicht des ausgiebige­n Studiums der Parteiprog­ramme, um die richtige zu wählen. Dass die richtige Partei für das Härtsfeld unter Umständen in „Schdugard“schon die falsche sein kann, ist zwar auch richtig, allerdings heißen die Stuttgarte­r hierzuland­e auch „Stäpfelesr­utscher“oder „Waldrandsc­heißer“– nicht eben feinsinnig­e Ausdrücke dafür, dass kein echter Schwabe sie als Landsmänne­r ansieht. Ab Stuttgart also nur noch Migranten.

Weitere Fotos gibt es unter hz.de/bilder zu sehen.

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Foto: Markus Brandhuber

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