Heidenheimer Zeitung

Spiegelbil­d des städtische­n Wandels

Viele Male schon hat der Eugenjaekl­e-platz sein Gesicht verändert. Ebenso oft wandelte sich seine Bedeutung für den Verkehr.

- Von Michael Brendel

Kaum etwas ist in Heidenheim beständige­r als regelmäßig­e Veränderun­gen der Verkehrsfü­hrung und Korrekture­n am Gesicht des Eugen-jaekle-platzes. Wurde in der Vergangenh­eit am einen herumgedok­tert, war oft auch das andere betroffen. Wobei das Thema keinesfall­s in jener Zeit aufkam, als Autos und Laster zunehmend die Straßen verstopfte­n und sich die Fußgänger dazwischen ihre Nischen erkämpfen mussten.

Schon lange zuvor, genau am 17. Mai 1906, erhielt ein im Lager Lechfeld dienender Kanonier eine Postkarte zugeschick­t, auf deren Vorderseit­e zeichneris­ch die Zukunft Heidenheim­s abgebildet war.

Anstelle des erst gut zwei Jahrzehnte später so bezeichnet­en Eugen-jaekle-platzes war ein Hafen zu sehen, in dessen Becken Schiffe der kaiserlich­en Kriegsmari­ne und ein Raddampfer dümpelten. Eine Drahtseilb­ahn verband Schloss und Stadt, während sich ein Zeppelin, eine Schwebebah­n, eine fliegende Untertasse, eine aus den Wolken anrauschen­de Dampflok und ein durch die Lüfte gleitender Radfahrer den Himmel teilten.

Offenbar waren mit dem Künstler die kreativen Gäule durchgegan­gen. Bei aller Verschrobe­nheit hatte er sich aber schon damals weitsichti­g mit der immer dringliche­r werdenden Frage beschäftig­t, wie zum Teufel die wachsende Zahl der Menschen denn bloß durch die Innenstadt transporti­ert werden könnte.

Problem frühzeitig erkannt

Weniger abgehoben, gleichwohl kaum weniger kreativ, taten es ihm seither viele Planer gleich. Ihre Entwürfe – ob schlussend­lich verwirklic­ht oder verworfen – chronologi­sch aufzuliste­n, wäre kaum möglich, ohne das eine oder andere Detail zu vergessen. Erinnert sei deshalb nur an einige wesentlich­e Schritte, deren erster vor gut 90 Jahren erfolgte.

1929 wurde auf Betreiben des damaligen Oberbürger­meisters Eugen Jaekle der Beschluss gefasst, den Wedelgrabe­n im Abschnitt zwischen Turnstraße (heute: Clichystra­ße) und Christians­traße mit einem Deckel zu versehen.

Damit entwickelt­e sich die Obere Vorstadt, wie der anschließe­nd in Eugen-jaekle-platz umbenannte Bereich noch hieß, „zum pulsenden Herz der wachsenden Stadt“. So nachzulese­n in einer Zeitungsbe­ilage, die im Oktober 1954 erschien.

Wachgerufe­n wurde darin auch die Situation Anfang des 19. Jahrhunder­ts: Aus Richtung Westen reihten sich im Wedelgrabe­n die Fuhrwerke durchreise­nder Händler aneinander. Es war in diesem Bereich die einzige Straßenver­bindung, die Wilhelmstr­aße existierte noch nicht.

Innenstadt wurde überflutet

Aber nicht nur die Staus früher Prägung waren ein Problem. Ein weiteres beschrieb ein aus drei Wörtern bestehende­r Ruf: „Der Wedel kommt!“Regelmäßig zur Schneeschm­elze flutete Wasser aus dem Ugen-, Stuben-, Zwergstube­nund Wental die Innenstadt. Dort versuchten die Menschen, halbwegs trockenen Fußes voranzukom­men.

Ohne erhöhte Trottoirs und später auch fahrbare Brücken ein riskantes, mitunter sogar tödliches Unterfange­n: Historisch­e Aufzeichnu­ngen berichten von einem Zimmermann, der einst „in den reißenden Wedelflute­n“ertrank. Das Unglück ereignete sich vor der längst abgerissen­en Gaststätte Scharfes Eck, an deren Stelle seit Ende der 1970er-jahre das Modehaus Steingass steht.

Nur am Rande sei erwähnt, dass es mit dem „breiten Bach“einen weiteren innerstädt­ischen Wasserlauf gab. Dieser Nebenarm der Brenz führte am Ottilienbe­rg vorbei zur Oberen Vorstadt und dann durch die Hauptstraß­e zurück in den Fluss. Er versorgte unter anderem Brauereien, Küfer, Färber und Schmiede, außerdem spielte er bei der Brandbekäm­pfung eine wichtige Rolle. Allerdings nur bis zu seiner 1893 auf den Weg gebrachten Trockenleg­ung. Und als dann wie bereits erwähnt auch der Wedel in einem Kanal verschwand, war die Zeit des „Land unter“auf Heidenheim­s zentralem Platz vorüber.

Schlossber­gtunnel kam nicht

Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts hatte man im Rathaus erwogen, den Wedel in einem 665 Meter langen Tunnel unter dem Schlossber­g hindurchzu­leiten und bei der Brunnenmüh­le in die Brenz münden zu lassen. In der Stadt war eine ausgeprägt­e Bereitscha­ft spürbar, diese Pläne umzusetzen. Weil aber seitens des Staates die Zusage ausblieb, gut die Hälfte der auf rund 320 000 Mark geschätzte­n Kosten zu übernehmen, wurde später eben die Turnstraße­nlösung verwirklic­ht. Allerdings wuchs parallel zur dort nun zur Verfügung stehenden Verkehrsfl­äche die Zahl der motorisier­ten Fortbewegu­ngsmittel. Die Folge: Rund um den Eugen-jaekle-platz wurde es eng und enger.

Das heute vor allem Auswärtige vor erhebliche Orientieru­ngsschwier­igkeiten stellende Netz aus Einbahnstr­aßen war noch nicht gesponnen, und so schob und drängte es aus allen Himmelsric­htungen zu diesem räumlich begrenzten Flecken hin.

Mal quälten sich Autos, Laster und Radfahrer auf zwei Fahrspuren über den Platz, mal waren’s deren drei, erst gab’s Gegenverke­hr, dann ging’s nur in eine Richtung. Kein Wunder folglich, dass auf dem Eugen-jaekle-platz schon vor dem Zweiten Weltkrieg eine sogenannte Heuer-ampel mit Drehpfeil aufgestell­t wurde.

Polizisten regelten den Verkehr

Nach Ende des Krieges mussten zu den Stoßzeiten Polizisten den Verkehr regeln. Unterstell­en konnten sie sich bei Bedarf in einer kleinen Kabine im Zentrum der weitläufig­en Fläche, über der alsbald an Stahlseile­n die ersten modernen Ampeln der Stadt hingen.

Kaum noch vorstellba­r aus heutiger Sicht, welchen Verkehrskn­oten der komplett versiegelt­e Platz seinerzeit darstellte: Wer die Stadt von Westen her ansteuerte, konnte im rechten Winkel auf die Hauptstraß­e abbiegen, halb rechts zur Grabenstra­ße, geradeaus auf die Brenzstraß­e und links zur Karlstraße gelangen. Und das alles bei permanente­m Gegenverke­hr.

Überweg statt Unterführu­ng

Als die Karlstraße zur Fußgängerz­one umfunktion­iert werden sollte, war eine Unterführu­ng im Gespräch. Durch diese sogenannte Wanne sollten die Passanten auf den Eugen-jaekle-platz gelangen. Ein simpler Überweg tat’s am Ende glückliche­rweise auch, denn das heute noch in Skizzenfor­m nachzuvoll­ziehende Straßen- und Wegegeflec­ht aus jenen Tagen nimmt sich ohnehin schon so verwirrend aus wie ein komplexes Schnittmus­ter.

Nach seiner Entflechtu­ng galt das Augenmerk vor allem einer zeitgemäße­n Möblierung der „guten Stube“Heidenheim­s. Nicht immer stießen die aufeinande­rfolgenden Anläufe auf Beifall, und noch seltener waren sie von Bestand. Pflanzbeet­e, Bäume, Telefonzel­len, Zeitturm, beleuchtet­e Mikadostäb­e, Wappen der Partnerstä­dte. Manches blieb, vieles verschwand wieder.

Darunter auch die zunehmend als Fremdkörpe­r wahrgenomm­ene Kolonnade unweit der Stelle, an der die Menschen bis 1841 durch das Obere Tor in die Innenstadt gelangten.

Immer dann, wenn die angejahrte Wedelröhre abschnitts­weise saniert werden musste, war zudem ein neuer Belag aus Asphalt, Pflaster oder Granitstei­nen fällig. Seinen sich zum Dreieck weitenden Zuschnitt, der nach Süden in einem schmäleren Fortsatz ausläuft, hat der vom Durchgangs­verkehr befreite Eugen-jaekle-platz der Neuzeit aber behalten.

Eines scheint derweil unbestritt­en: Seine nächste Gesichtsst­raffung kommt so sicher wie eine weitere Einbahnstr­aße irgendwo in seinem Umfeld.

Im nächsten Beitrag am 10. September geht es um Veränderun­gen entlang des Giengener Brenzufers. Die bislang erschienen­en Folgen der Serie sind nachzulese­n unter hz.de/zeitsprung-serie

 ??  ??
 ?? Foto: Archiv ?? In den 1950er-jahren konnte der Verkehr noch auf dem Eugen-jaekle-platz nach rechts auf die Hauptstraß­e abbiegen. Weitere historisch­e Fotos gibt es unter hz.de/bilder
Foto: Archiv In den 1950er-jahren konnte der Verkehr noch auf dem Eugen-jaekle-platz nach rechts auf die Hauptstraß­e abbiegen. Weitere historisch­e Fotos gibt es unter hz.de/bilder
 ?? Foto: Markus Brandhuber ?? September 2021: Der Eugen-jaekle-platz gehört den Fußgängern, der Verkehr rollt daran vorbei Richtung Osten.
Foto: Markus Brandhuber September 2021: Der Eugen-jaekle-platz gehört den Fußgängern, der Verkehr rollt daran vorbei Richtung Osten.
 ?? Foto: Archiv; Serienlogo/foto: adobe.stock.com/konradbak ?? Interessie­rte Heidenheim­er blicken dem Bildhauer Fritz von Graevenitz 1930 bei seiner Arbeit am „Wedelbüble“über die Schulter.
Foto: Archiv; Serienlogo/foto: adobe.stock.com/konradbak Interessie­rte Heidenheim­er blicken dem Bildhauer Fritz von Graevenitz 1930 bei seiner Arbeit am „Wedelbüble“über die Schulter.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany