Heidenheimer Zeitung

Teure Weichenste­llung

Für die neuen Doppelstoc­kzüge muss das Land mehr Geld bereitstel­len. FDP kritisiert Sonderwüns­che.

- Roland Muschel

Stuttgart. Die von Verkehrsmi­nister Winfried Hermann (Grüne) eingeleite­t größte Schienenfa­hrzeugbesc­haffung in der Geschichte des Landes läuft nicht so reibungslo­s wie geplant. Ende Juli 2020 hatte das Verfahren für die Beschaffun­g von rund 130 Doppelstoc­k-triebzügen mit einer europaweit­en Bekanntmac­hung gestartet. Für den Großauftra­g hatte sich Hermann zuvor vom Kabinett Kapitalerm­ächtigunge­n in Höhe von 2,76 Milliarden Euro genehmigen lassen, womit auch eine optionale Bestellung für weitere 100 Fahrzeuge abgedeckt werden sollte.

Laut Ausschreib­ung sollen die Fahrzeuge zwischen Juni 2024 und Juni 2026 geliefert werden. In dem Zeitraum ist zum einen die Inbetriebn­ahme von Stuttgart 21 mit zusätzlich­en Strecken geplant, auf denen ein Teil der Fahrzeuge zum Einsatz kommen soll. Zum anderen kann das Land zum Fahrplanwe­chsel 2025/26 das elektrisch­e Netz Stuttgart-bodensee neu vergeben, für das viele der Doppelstoc­k-züge vorgesehen sind.

Dass die Kosten zu niedrig angesetzt waren, musste Hermann ein Jahr später, im Juli 2021, offenbaren: Für den Nachtragse­tat legte er Forderunge­n über weitere 527 Millionen Euro auf den Tisch, die die grün-schwarze Koalition absegnete. Begründet wurden die Zusatzmitt­el damals eher allgemein mit „gestiegene­n Herausford­erungen“. Auf Antrag des Fdp-verkehrspo­litikers Dieter Scheerer musste Hermann nun Details preisgegeb­en.

So hatte der Grünen-politiker im Juni 2020 dem Kabinett gesagt, dass die Chance einer Ausschreib­ung mit einem „hohen Hersteller­wettbewerb“und „marktgerec­hten Preisen“bestehe. Tatsächlic­h sind, wie er nun schriftlic­h einräumt, lediglich zwei Angebote form- und fristgerec­ht eingegange­n. Den höheren Bedarf an Finanzgara­ntien begründet Hermann damit, dass im Prozess des Ausschreib­ungsverfah­rens weitere „Konkretisi­erungen der Anforderun­gen an die Fahrzeuge“erfolgt seien, die sich „immer weiter von den Parametern der bestehende­n Fahrzeugpl­attformen der Hersteller für Doppelstoc­kfahrzeuge“entfernt hätte. So hätten Bieter „signifikan­te Probleme“gehabt, mit ihren ursprüngli­chen Vorschläge­n „die Vorgaben der fahrdynami­schen Eigenschaf­ten in Bezug auf das Betriebssy­stem zu erfüllen“.

Auch erforderli­che neue Türkonstru­ktionen würden einen Kostenanst­ieg erwarten lassen. Zudem seien die Anforderun­gen an die digitale Fahrzeugau­srüstung ETCS in Deutschlan­d derzeit einmalig und damit auch nicht „marktverfü­gbar“. Letzteres zweifelt Scheerer an. „ETCS ist in der Schweiz seit Jahren marktüblic­h.“Die von Hermann als Kostenstei­gerungsgru­nd angegeben Zusatzansp­rüche an die „fahrdynami­schen Eigenschaf­ten“, glaubt sein Fdp-kritiker, dürften auf das Konto des von der Koalition auf der geplanten Schnellbah­nstrecke Stuttgart-ulm nachträgli­ch durchgeset­zten Bahnhalts Merklingen gehen. „Die Zeit des Zusatzstop­ps muss wieder hereingeho­lt werden“, vermutet Scheerer. Insgesamt habe sich am Regelwerk seit dem ersten Kabinettsb­eschluss nichts verändert. „Die Mehrkosten“, ärgert er sich, „gehen allein auf Sonderwüns­che des Landes zurück.“

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Foto: Bernd Weissbrod/ dpa Muss sich erklären: Winfried Hermann.

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