Auf der Suche nach Erlösung
Sie sind deutsche Geistesgrößen des 19. Jahrhunderts, veränderten die Welt: „Marx, Wagner, Nietzsche“heißt das neue Buch von Herfried Münkler.
Marx, Wagner, Nietzsche – zusammengeführt in einem 700-Seiten-buch. Puh, das klingt nach schwerster deutscher Geisteskost und auch wie eine Drohung. Andererseits beeinflussten diese drei Männer des 19. Jahrhunderts die moderne Welt: der Gesellschaftstheoretiker des Kommunismus, der Komponist und der Philosoph. Wer sich mit ihnen beschäftigt, lernt auch für die Gegenwart, und gemeint sind nicht nur Wähler oder Operngänger. Man fragt sich eher, was Herfried Münkler, der Politikwissenschaftler und Bestsellerautor, jetzt Neues zu sagen hat. Denn über dieses Trio infernale ist millionenfach geschrieben worden.
Wäre da etwa ein persönliches Beziehungsgeflecht der drei Denker-helden, das es näher zu durchleuchten lohnte? Karl Marx hat sich nur ein paar Mal über Richard Wagner geäußert, Wagner über Marx nie, obgleich der Musiker 1849 als Revolutionär auf den Dresdner Barrikaden stand und in seinem „Ring des Nibelungen“Kritik an der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft übt. Friedrich Nietzsche wiederum setzte sich mit Marx überhaupt nicht auseinander – und umgekehrt. Was natürlich auch interessant ist, was viel über die Selbstbespiegelung und Außenwahrnehmung der Herren sagt, und auch über Eitelkeiten.
War Marx, der sich nach jahrzehntelanger Arbeit an seinem „Kapital“mit bescheidenen Buchauflagen zufrieden geben musste, eifersüchtig auf Wagners Erfolg? Es gibt da eine schöne Episode, die Münkler genüsslich ausbreitet. Mitte August 1876 reiste Marx in den böhmischen Kurort Karlsbad – literweise Mineralwasser zu trinken, half ihm gegen sein Leberleiden. Jetzt wollte er auf dem Weg dorthin noch einen touristischen Stopp in Nürnberg einlegen. Doch die Stadt war ausgebucht, auch in Weiden in der Oberpfalz: kein Zimmer frei. Schuld daran waren „Leute aus allen Weltteilen, die sich von dort zu dem Bayreuther Narrenfest des Staatsmusikanten Wagner begeben wollten“. Dieses „Narrenfest“waren die ersten Wagner-festspiele auf dem Grünen Hügel; ein europäisches Großereignis, selbst Kaiser Wilhelm I. besuchte es.
In einem Brief aus Karlsbad an Engels zeigte sich Marx, ja auch ein Prophet seiner Zeit, ziemlich genervt vom Wagner-rummel: „Hier ist jetzt alles Zukunft seit dem Getrommel der Zukunftsmusik in Bayreuth.“Er kannte sich allerdings gut aus im Privatleben des Komponisten. Wenn man bedenke, dass Wagner, seine Gattin Cosima, deren betrogener Exmann Bülow sowie der gemeinschaftliche Schwiegervater Liszt einträchtig hausten, und dass Liszt ein römischer Mönch sei und Cosima seine von Madame d’agoult „gewonnene natürliche Tochter“, könne man „kaum einen besseren Operntext für Offenbach ersinnen als diese Familiengruppe mit ihren patriarchalischen Beziehungen“. Ja, es ließen sich diese Begebenheiten auch, wie die Nibelungen, in einer Tetralogie darstellen, ätzte Marx.
Nietzsche fuhr 1876 auch nach Bayreuth – und litt wie ein Hund. Der Philosoph hatte sein Idol Wagner verklärt, ihm intellektuell den roten Teppich ausgelegt, ihn in seiner Schrift „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“wie einen altgriechischen Gott-künstler gefeiert. Er hatte zum Wagnerschen Inner Circle gehört, doch wurde er nun „unter ferner liefen“einsortiert, wie Münkler schreibt, nicht wie ein Ehrengast behandelt. Nietzsche reiste mit Kopfschmerzen ab ins Fichtelgebirge, schaute sich dann doch den „Ring“an – und traf „genau jene Gesellschaft an, die aus seiner Sicht ihre Krankheit für Gesundheit hielt und für diese Selbsttäuschung die Kunst brauchte“. So warfen Nietzsche wie Marx diesem Wagner Verrat an seinen einstigen revolutionären Ideen vor, bilanziert Münkler.
Solche Verbindungen knüpft der Autor, er erzählt Parallelen im Leben dieser Männer (Krankheiten, Depressionen, finanzielle Nöte), porträtiert sie, folgt diesen Gestalten durch eine ganz Epoche: „Welt im Umbruch“heißt Münklers Buch im Untertitel. Es ist aber keine romanhafte Historie, schon gar keine Schmonzette, wie der Bayreuth-klatsch andeuten könnte, es ist eine inhaltsschwere Abhandlung, gebildet, tiefschürfend. Nicht ganz leicht, aber aufschlussreich zu lesen: für ein größeres Publikum gedacht. Themen etwa sind das politische Deutschland nach der Reichsgründung 1870, die Gesellschaftsanalyse, der Antisemitismus.
Nicht zuletzt für das Wagner-publikum ist es ein Gewinn, wenn mal ein Politikwissenschaftler wie Münkler zum Beispiel im Kapitel „Zwischen Religionskritik und Religionsstiftung“den „Parsifal“analysiert, dabei Marx ins Spiel bringt (Fetischcharakter der Ware) und auch Nietzsches fundamentale Kritik am Erlösungsgedanken.
Münkler befragt sie unaufhörlich, diese drei großen Geister. Der gewiss geniale, aber auch drauflosschwadronierende Wagner wird einem dabei nicht sympathischer, von Marx hätte man gerne mehr Bissiges über den Bayreuther gelesen, und Nietzsche, ja, der konnte es locker mit den beiden aufnehmen.
Verägert über das „Narrenfest“in Bayreuth.