Weiterfahrt auf Sicht
Am Montag geht es nun also los – im dritten Corona-schuljahr soll Präsenzunterricht wieder der Normalfall sein. Meinungen, Haltungen und Ängste prallen aufeinander. Vor „Durchseuchung“der Kleinsten warnen die einen, vor Schulschließungen die anderen. Kritik an den getroffenen Vorsichtsmaßnahmen gibt es allenthalben. Reichen sie aus? Wie sicher ist sicher genug an den Schulen?
Die Schonzeit für die neue baden-württembergische Kultusministerin Theresa Schopper war kurz. Sie hat das Amt in einer Pandemie übernommen; auch in den Etatverhandlungen muss sie sich gleich beweisen. Erstmals besetzen die Grünen alle drei Schlüsselressorts im Kita- und Schulbereich: Bildung, Wissenschaft und Finanzen. „Beste Bildung von Anfang an“, „Schule mit Zukunft“: Die Grünen können unmittelbar zeigen, was ihnen ihre Schlagworte wert sind – nicht irgendwann, sondern „Jetzt für Morgen“, wie Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) diese Woche auf Facebook versprach. An vielen Einrichtungen herrscht Fachkräftemangel, von der digitalen Ausstattung zu schweigen.
Mit Blick auf die Corona-vorsorge klagen Lehrerverbände schon heute: Wo sind die Luftfilter, Impfangebote, Testteams vor Ort? Um die Wirtschaft am Laufen zu halten, hat die öffentliche Hand Milliarden in die Hand genommen. Sind ihr die Jüngsten weniger wert? Die teils enormen Kosten dieser Maßnahmen müsste freilich ebenfalls die kommende Generation tragen. Sie sollten also bei aller Not möglichst durchdacht sein, nicht einfach Schnellschüsse.
Der Staat fördert Luftfilter fraglos sehr spät. Zu einfach sollten Kritiker es sich aber nicht machen. Der Nutzen der Anlagen war lange umstritten; auch was heute zu Delta und zum Impfen von Kindern bekannt ist, war es nicht immer. Die Zahl der Klassenräume im Land bewegt sich im sechsstelligen Bereich. Hätte man hier Milliarden sinnlos verpulvert, wäre der Aufschrei kaum kleiner gewesen.
Und die Lage bleibt unübersichtlich. Einerseits wurde am Freitag ein Impfstoff für Fünf- bis Zwölfjährige angekündigt, andererseits gibt es Meldungen, wonach die Mu-variante resistenter gegen Covid-vakzine sein könnte. Auf Sicht zu fahren und nachzusteuern, das wird Schulen und Familien auch in Herbst und Winter kaum erspart bleiben.
Die Grünen müssen beweisen, was ihnen ihre Schlagworte zu Schule und Bildung wert sind – und zwar sofort.
Umso dringender sollten Schulen personelle Entlastung erhalten: beim Testen, beim Impfen, in den Leitungsteams. Es ist unverständlich, dass die Regierung es nicht geschafft hat, zum Schulstart gedruckte Impf-informationen an die Einrichtungen zu bringen. Der Ersatz für bisherige Quarantäneregeln ist dagegen ein mutiger Vorstoß. Viel zu lange sind die Belastungen der Quarantäne für Familien unter den Tisch gefallen, insbesondere für Alleinerziehende. Mit Verweis auf die Wissenschaft werden Kinder mit Kontakt zu Infizierten im Regelfall daher nicht abgesondert, sondern fünf Tage lang getestet. Es ist ein Versuch, mehr nicht. Doch wer behauptet, er habe alles im Griff und könnte sicher vorhersagen, was die nächsten Monate passiert, ist unehrlich.