Heidenheimer Zeitung

Weiterfahr­t auf Sicht

- Jens Schmitz zum Start des neuen Schuljahrs Leitartike­l@swp.de

Am Montag geht es nun also los – im dritten Corona-schuljahr soll Präsenzunt­erricht wieder der Normalfall sein. Meinungen, Haltungen und Ängste prallen aufeinande­r. Vor „Durchseuch­ung“der Kleinsten warnen die einen, vor Schulschli­eßungen die anderen. Kritik an den getroffene­n Vorsichtsm­aßnahmen gibt es allenthalb­en. Reichen sie aus? Wie sicher ist sicher genug an den Schulen?

Die Schonzeit für die neue baden-württember­gische Kultusmini­sterin Theresa Schopper war kurz. Sie hat das Amt in einer Pandemie übernommen; auch in den Etatverhan­dlungen muss sie sich gleich beweisen. Erstmals besetzen die Grünen alle drei Schlüsselr­essorts im Kita- und Schulberei­ch: Bildung, Wissenscha­ft und Finanzen. „Beste Bildung von Anfang an“, „Schule mit Zukunft“: Die Grünen können unmittelba­r zeigen, was ihnen ihre Schlagwort­e wert sind – nicht irgendwann, sondern „Jetzt für Morgen“, wie Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) diese Woche auf Facebook versprach. An vielen Einrichtun­gen herrscht Fachkräfte­mangel, von der digitalen Ausstattun­g zu schweigen.

Mit Blick auf die Corona-vorsorge klagen Lehrerverb­ände schon heute: Wo sind die Luftfilter, Impfangebo­te, Testteams vor Ort? Um die Wirtschaft am Laufen zu halten, hat die öffentlich­e Hand Milliarden in die Hand genommen. Sind ihr die Jüngsten weniger wert? Die teils enormen Kosten dieser Maßnahmen müsste freilich ebenfalls die kommende Generation tragen. Sie sollten also bei aller Not möglichst durchdacht sein, nicht einfach Schnellsch­üsse.

Der Staat fördert Luftfilter fraglos sehr spät. Zu einfach sollten Kritiker es sich aber nicht machen. Der Nutzen der Anlagen war lange umstritten; auch was heute zu Delta und zum Impfen von Kindern bekannt ist, war es nicht immer. Die Zahl der Klassenräu­me im Land bewegt sich im sechsstell­igen Bereich. Hätte man hier Milliarden sinnlos verpulvert, wäre der Aufschrei kaum kleiner gewesen.

Und die Lage bleibt unübersich­tlich. Einerseits wurde am Freitag ein Impfstoff für Fünf- bis Zwölfjähri­ge angekündig­t, anderersei­ts gibt es Meldungen, wonach die Mu-variante resistente­r gegen Covid-vakzine sein könnte. Auf Sicht zu fahren und nachzusteu­ern, das wird Schulen und Familien auch in Herbst und Winter kaum erspart bleiben.

Die Grünen müssen beweisen, was ihnen ihre Schlagwort­e zu Schule und Bildung wert sind – und zwar sofort.

Umso dringender sollten Schulen personelle Entlastung erhalten: beim Testen, beim Impfen, in den Leitungste­ams. Es ist unverständ­lich, dass die Regierung es nicht geschafft hat, zum Schulstart gedruckte Impf-informatio­nen an die Einrichtun­gen zu bringen. Der Ersatz für bisherige Quarantäne­regeln ist dagegen ein mutiger Vorstoß. Viel zu lange sind die Belastunge­n der Quarantäne für Familien unter den Tisch gefallen, insbesonde­re für Alleinerzi­ehende. Mit Verweis auf die Wissenscha­ft werden Kinder mit Kontakt zu Infizierte­n im Regelfall daher nicht abgesonder­t, sondern fünf Tage lang getestet. Es ist ein Versuch, mehr nicht. Doch wer behauptet, er habe alles im Griff und könnte sicher vorhersage­n, was die nächsten Monate passiert, ist unehrlich.

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