Heidenheimer Zeitung

Prophet der Hoffnung

Vor 700 Jahren starb der italienisc­he Dichterfür­st Dante. Mit seiner „Göttlichen Komödie“erschuf er zeitlose Bilder menschlich­er Abgründe und Visionen des Heils.

- Christoph Scholz

Wo ist Dante Alighieri wohl heute, 700 Jahre nach seinem Tod? Im Inferno, Purgatorio oder Paradiso? Papst Franziskus hegt wohl keinen Zweifel. In einem Apostolisc­hen Schreiben „Candor lucis aeternae“(Glanz des ewigen Lichts) zum Gedenkjahr würdigt er den Dichterphi­losophen als „Prophet der Hoffnung und Zeuge des dem menschlich­en Herzen innewohnen­den Durstes nach dem Unendliche­n“und wirbt für dessen Wiederentd­eckung. Dazu könnten die zahlreiche­n Veranstalt­ungen beitragen, mit denen nicht nur der Vatikan und Italien ihren Dichterfür­sten feiern. Dante adelte Italienisc­h zur Literaturs­prache und schrieb sich gleichzeit­ig in den Kanon der Weltlitera­tur ein.

Dabei scheint das päpstliche Lob nicht selbstvers­tändlich. Immerhin steckte Dante in seiner „Commedia“, auch „Divina Commedia“(Göttliche Komödie) genannt, gleich mehrere Kirchenobe­rhäupter in die Hölle. Machtmissb­rauch, Habgier und Verrat an der Botschaft Christi warf der kirchentre­ue Poet ihnen vor. Doch seinen Namen verdankt das bekanntest­e literarisc­he Werk des Mittelalte­rs dem glückliche­n Ausgang im Himmel.

Der Forschung dient es auch als biografisc­he Quelle. Denn Dante verarbeite­t darin sein eigenes Schicksal. Das Geburtsdat­um bleibt umstritten, seine fiktive Reise ins Jenseits setzt er in der Karwoche 1300 an, mit 35 Jahren. Demnach wäre er Mitte 1265 in einer Familie des guelfisch gesinnten Florentine­r Stadtadels zu Welt gekommen, also jener Gruppe, die entgegen den kaisertreu­en Ghibellini eher für den Papst eintrat. Dantes Bildungswe­g begann bei Dominikane­rn und Franziskan­ern und führte ihn möglicherw­eise an die Universitä­ten von Bologna und Paris. Frühe Werke verweisen auf Kontakte zu Hauptvertr­etern hochkultiv­ierter volkssprac­hlicher Dichtung.

Dabei stand der Dichter zugleich mitten in den politische­n Wirren des zwischen Kaiser und Papst zerrissene­n Italiens. Ab 1296 versah er verschiede­ne Ämter der Handelsmac­ht Florenz und gelangte in das höchste Gremium

der Stadt, das Priorat. Doch Turbulenze­n jener Zeit führten zu seiner Verbannung, einschließ­lich des Verlustes aller Güter. Dante starb am 14. September 1321 in Ravenna, das seither über Grab und Gebeine wacht. Florenz errichtete nach vergeblich­em Bitten um den „altissimo Poeta“schließlic­h 1829 ein Scheingrab in der Kirche Santa Croce.

Die Erfahrung von Verbannung und radikaler Ungewisshe­it wie die Sehnsucht nach Heimat und letzter Erfüllung wandte Dante in seiner Commedia zur Grundbedin­gtheit des Menschsein­s überhaupt. In Einzelschi­cksalen reflektier­t er das Dasein vor dem Hintergrun­d von griechisch­er Philosophi­e, christlich­er Theologie und politische Analyse.

In Dantes Weltgerich­t brennt kein Feuer im innersten Höllenkrei­s. Dort frieren die Verräter Judas und Brutus in eisiger Kommunikat­ionslosigk­eit – ebenso Ugolino, die Zähne in den Schädel des Erzbischof­s von Pisa gerammt, der auf Erden den Ruchlosen samt seinen Kindern in den Hungerturm warf; persönlich­er wie politische­r Verrat, der die Grundlagen von Zusammenle­ben und Frieden zerstört.

Die Bilder der Strafe spiegeln mit brutalem Realismus das Vergehen wider. Bestraft werden nicht einzelne Sünden, sondern falsche Lebensweis­en, kurz „Laster“. Der Katalog orientiert sich an der Ethik des Aristotele­s. Doch Dante moralisier­t nicht. Selbst in den Verworfene­n glimmt Menschlich­keit, gerade das lässt sie leiden. Angesicht des tragischen

Schicksals der unglücklic­h liebenden Francesca fällt er gar vor Mitleid und Grauen in Ohnmacht.

Nach eindrückli­chen Bildern von Hölle und Läuterung erreicht Dante zunächst das irdische Paradies, eine Utopie vom Einklang des Menschen mit der Natur. Hier triff er Beatrice, seine früh verstorben­e große Liebe wieder, die ihn in den Himmel geleitet. Schließlic­h findet die Poesie ihre höchste Ausdrucksk­raft in der Schau Gottes. Hier wird das Verlangen des Menschen so übererfüll­t, dass selbst der Dichter verstummt: „Die hohe Phantasie, hier verließ sie die Kraft“. Und hier findet sich selbst der heidnische Kaiser Trajan, denn „das Himmelreic­h lässt sich Gewalt antun von heißer Liebe und von starker Hoffnung, die zusammen selbst den göttlichen Willen besiegen“.

Im innersten Höllenkrei­s frieren die Verräter.

Jede Epoche findet sich wieder

So fern, so nah. Dante Alighieri bietet auch 700 Jahre nach seinem Tod ein Panoptikum, das in der Erfahrung jeder Epoche seine Anknüpfung­spunkte findet. So spiegelt sich im Dante-bild zugleich der Zeitgeist, heute durch ein eher historisie­rendes und ästhetisie­rendes Verständni­s des Werkes. Dante selbst fasste das Ziel seines Wirkens in einem Brief zusammen: „... die Lebendigen in diesem Leben aus dem Zustande des Elendes herauszufü­hren und zu dem des Glückes zu geleiten“. Ästhetisch­e Fiktion oder hoffnungsv­olle Verheißung? Auch dies ist eine Frage der freien Entscheidu­ng, würde Dante wohl sagen.

 ?? Foto: akg-images Gmbh/epd ?? Das Gemälde „Dante und die drei Jenseitsre­iche“(1465) von Domenico di Michelino aus dem Dom zu Florenz: Der Dichter Dante Alighieri starb am 14. September vor 700 Jahren, doch nicht in seiner Heimatstad­t.
Foto: akg-images Gmbh/epd Das Gemälde „Dante und die drei Jenseitsre­iche“(1465) von Domenico di Michelino aus dem Dom zu Florenz: Der Dichter Dante Alighieri starb am 14. September vor 700 Jahren, doch nicht in seiner Heimatstad­t.

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