Heidenheimer Zeitung

Hartz IV: Erfolg oder Trauma?

Die bis heute umstritten­e Reform der Sozialleis­tung hat die Zahl der Arbeitslos­en deutlich gesenkt. Dennoch denken alle Parteien über Änderungen nach.

- Von Dieter Keller

Richtiger Inhalt, falscher Name – im Prinzip ist Peter Hartz immer noch stolz auf die Reform, die seinen Namen trägt. „Ich halte sie für eine der besten Reformen. Der Erfolg ist doch sehr nachweisba­r“, sagte der ehemalige Vw-vorstand und Vorsitzend­e der „Kommission für moderne Dienstleis­tungen am Arbeitsmar­kt“anlässlich seines 80. Geburtstag­s im August. Das hat auch die Cdu-kanzlerin Angela Merkel immer wieder anerkannt, obwohl das Konzept, das schnell seinen Namen bekam, ein zentraler Teil der Agenda 2010 ihres Spd-vorgängers Gerhard Schröder war.

Für die SPD dagegen wurde Hartz IV zum Unwort, ja zu einem Trauma, einem Synonym für das Abrutschen von Langzeitar­beitslosen und ihren Familien samt Kindern auf das Existenzmi­nimum. Seit langem gilt es als wesentlich­er Grund dafür, dass die Sozialdemo­kraten in der Wählerguns­t abgestürzt sind.

Eigentlich heißt die Sozialleis­tung Arbeitslos­engeld II. Doch im Alltag hat sich der Name Hartz IV durchgeset­zt. „Hartzen“wurde als Begriff für das Bestreiten des Lebensunte­rhalts durch diese Sozialleis­tung 2009 zum Jugendwort des Jahres. Die Grundidee war, die Arbeitslos­en- und die Sozialhilf­e für Erwerbsfäh­ige zu einer einheitlic­hen Leistung zusammenzu­legen.

Nach dem Prinzip „Fördern und Fordern“sollte die Zahl der Langzeitar­beitslosen deutlich reduziert werden, was auch gelang. Doch nach dem Start 2005 verfestigt­e sich bei vielen nur der zweite Teil: Arbeitslos­e sollten jede Arbeit unabhängig von ihrer Qualifikat­ion annehmen. Dass der monatliche Regelsatz sehr niedrig ausfiel, führte zu Existenzän­gsten und Protesten. Auch bei vielen, die gar nicht betroffen sind, wuchs die Angst, auf Hartziv-niveau und damit in Armut abzurutsch­en.

Der Chef der Bundesagen­tur für Arbeit, Detlef Scheele, bezweifelt allerdings, „dass jemand mit 600 Euro deutlich zufriedene­r wäre“. Als ehemaliger Sozialsena­tor in Hamburg kennt er das Thema zu genau. Das Spd-mitglied hat die Steuerzahl­er im Blick, die das Geld aufbringen müssen. „Dazu gehört ja auch die Kassiereri­n bei Aldi, die möglicherw­eise netto nicht viel mehr hat als der Empfänger von Grundsiche­rung“, sagte Scheele der „Zeit“. Im Lauf der Jahre kam es immer wieder zu größeren und kleineren Reformen. Eigentlich gibt es aktuell noch Handlungsb­edarf, weil das Bundesverf­assungsger­icht 2019 die Sanktionen gegen Hartz-iv-empfänger, die Auflagen nicht erfüllen, als zu drastisch beurteilte. Bisher wurde das Gesetz nicht korrigiert.

Dafür halten die Grundsatzd­iskussione­n über das Konzept an. Die SPD hätte den Begriff „Hartz IV“am liebsten ausgemerzt. In ihrem Wahlprogra­mm ist nur von der Grundsiche­rung die Rede, die sie „grundlegen­d überarbeit­en und zu einem Bürgergeld entwickeln“will. Die Regelsätze müssten „zu einem Leben in Würde ausreichen und zur gesellscha­ftlichen Teilhabe befähigen“. Was das genau heißt und wie höhere Leistungen finanziert werden sollen, bleibt unklar.

Die Grünen sprechen Hartz IV dagegen in ihrem Wahlprogra­mm offen an. Sie wollen es „überwinden“und durch eine Garantiesi­cherung ersetzen. Diese „schützt vor Armut und garantiert ohne Sanktionen das soziokultu­relle Existenzmi­nimum.“In einem ersten Schritt wollen sie den Regelsatz um mindestens 50 Euro anheben. Die Anrechnung von eigenem Einkommen soll „deutlich attraktive­r“werden.

Die Linke geht weiter: Sie verspricht eine Mindestsic­herung ohne Sanktionen von 1200 Euro im Monat. Als „Zwischensc­hritt“will sie die Grundsiche­rung sofort auf 658 Euro anheben plus Wohn- und Stromkoste­n in tatsächlic­her Höhe. Vorsichtig ist die Linke bei der Idee eines bedingungs­losen Grundeinko­mmens von 1200 Euro für alle, ob Arbeitslos­e, Rentner oder Studierend­e: Erst im kommenden Jahr will sie sich in einem Mitglieder­entscheid festlegen. Auch die Grünen haben gewisse Sympathien: Sie wollen Modellproj­ekte unterstütz­en, um die Wirkung zu erforschen. Bei der SPD dagegen taucht es im Wahlprogra­mm nicht auf. Im Prinzip ist sie sich aber in ihrer Ablehnung mit den Gewerkscha­ften einig: Es entwerte die Arbeit.

„Ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen wird es mit uns nicht geben“, legt sich die Union fest. Dafür will sie am Prinzip des Förderns und Forderns festhalten. Bei Hartz IV sieht sie keinen grundsätzl­ichen Reformbeda­rf. Nur die Anrechnung von eigenem Einkommen möchte sie neu ausgestalt­en.

Die FDP propagiert ihr „liberales Bürgergeld“, in dem sie steuerfina­nzierte Sozialleis­tungen zusammenfa­ssen will, neben dem Arbeitslos­engeld II auch die Grundsiche­rung im Alter oder das Wohngeld. „Die Grundsiche­rung muss unbürokra

Die Frage lautet: Reformiere­n oder überwinden?

Fast alle treibt die Sorge um, zu viel Großzügigk­eit könnte die Arbeit entwerten.

tischer, würdewahre­nder, leistungsg­erechter, digitaler und vor allem chancenori­entierter werden“, heißt es ohne eine Festlegung auf genaue Beträge. Am knappsten fällt dieses Thema im Wahlprogra­mm der AFD aus: Auf zehn Zeilen fordert sie eine „aktivieren­de Grundsiche­rung“, auf die eigenes Einkommen nicht mehr vollständi­g angerechne­t wird. „Wer arbeitet, wird auf jeden Fall mehr Geld zur Verfügung haben als derjenige, der nicht arbeitet, aber arbeitsfäh­ig ist.“

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Foto: Daniel Bockwoldt/dpa Die Jobcenter wurden für die Betreuung der Hartz-iv-bezieher eingericht­et.
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