Die Geisterhäuser von Lech
Immer mehr Investoren kaufen in dem Luxusskiort Immobilien, die sie dann leer stehen lassen. Nun leistet die Gemeinde Widerstand.
Morgens, mittags, abends, nachts – egal, wann Annette Moosbrugger aus dem Fenster schaut, sieht sie vor allem diese Häuser mit ihrer dunklen Holzverkleidung und sonst nichts und niemanden. „Da ist es immer leer“, sagt die Zimmervermieterin, „und die Fensterläden sind zu.“Fünf neu gebaute Geisterhäuser stehen in Lech, dem bekannten Skiort im österreichischen Vorarlberg. Direkt vor der Nase von Annette Moosbrugger – kein Schriftzug ist dran, kein Name an der Klingel, kein Fahrrad oder Auto in der Einfahrt. Und bei Dunkelheit brennt nicht das kleinste Licht.
Solche Häuser gibt es mehr und mehr, nicht nur in Lech am Arlberg, sondern in vielen Orten in den Alpen. „Investoren haben Lech entdeckt, um hier Grund und Boden zu kaufen“, sagt der Bürgermeister Stefan Jochum. „Betongold“nennen sie das. Österreich steht für Werthaltigkeit, die Immobilienpreise steigen, also kaufen sich die Superreichen aus der ganzen Welt ein – nur um ihr Geld anzulegen. „Es geht um ein gutes Investment mit Wertsteigerungen“, sagt Jochum. In den Häusern allerdings lebt niemand, da sind sich die Dorfbewohner einig. „Als Feriendomizile bucht die auch keiner“, so Jochum, „das sind kalte Betten.“
Knapp 1600 Einwohner zählt Lech Früher war der Ort ein typisches Bergbauerndorf. Seit den 1960er-jahren hat er sich zu einem Skiort mit mondänem Ruf und Promi-treffpunkt entwickelt. Die niederländische Königsfamilie macht in Lech seit Jahrzehnten Winterferien. Auch Lady Diana verbrachte fünf Ski-urlaube in Lech. Dennoch gilt der Ort, der auch im Sommer zunehmend attraktiv für Touristen und Wanderer geworden ist, als familiärer und nicht so sehr von der High Socie ty vereinnahmt wie etwa Kitzbühe oder St. Moritz. Für Menschen, die Geld verdienen wollen, reicht e aber allemal.
„Erst kamen die Investoren un dann der große Ausverkauf“, sag der Gastronom Stefan Muxel. Bi her lief das System seiner Darste lung auf diese Weise: Sogenann Immobilienentwickler kaufen fr werdende Häuser – etwa Hotels, d ren Besitzer in Rente gehen – zu ho renden Preisen auf. Dann entsteh Luxuswohnungen oder Chalets im penländischen Stil. Die finanzstark Käufer müssen aber einen Umweg hen, denn Immobilien rein Wertanlage oder als Feriendomizil sich zu kaufen, ist nicht erlaubt. soll nichts über längere Zeit leer stehen.
Absurd hohe Mietpreise
Wenn die „Reichsten der Reichen“, wie Muxel sie nennt, ein Haus in Lech haben wollen, müssen sie es gewerblich als Hotel oder als Vermieter von Ferienwohnungen betreiben. Um das nachzuweisen, werden diese Objekte auf Homepages und Portalen zu absurd überhöhten Mietpreisen als Urlaubsdomizile angeboten – für mehrere tausend oder gar zehntausend Euro pro Nacht. Die Folge: Niemand bucht, die Häuser bleiben leer. Viele in Lech sagen, man müsse die Familien schützen, damit sie nicht vom Geld übernommen würden.
Muxel sitzt auf der sonnendurchfluteten Terrasse seines Hotel-restaurants in Oberlech, 1750 Meter hoch am Berg und damit nochmal 300 Meter über der Hauptgemeinde, er trinkt eine Limonade mit Minze. In den Ferienwochen ist einiger Betrieb bei ihm. „Das ist für mich Luxus“, sagt er und zeigt auf das Grün und die Berge. „Jedes Eck der Landschaft sieht anders aus.“Er ist nicht nur Gastronom und einer von fünf Gemeindevorständen des Dorfes. Muxel nennt sich auch Bergbauer – „ich habe neun Kühe, Tiroler Grauvieh mit Hörnern“.
An der Misere, so meint er, sind nicht nur die Investoren schuld – „die Einheimischen machen mit, die verkaufen ja“. Den neuen Bauten kann er gar nichts Positives abgewinnen. Die fünf leeren Häuser, die den Namen „Chalech“tragen, bezeichnet er als „das Allerschlimmste, ganz billig gebaute Hütten“. Ständig würden „tolle Konzepte präsentiert, und chts davon kommt“. „Abgewirthaftete Häuser“würden für zehn illionen Euro verkauft. „Unglaubch, einfach unglaublich.“
Etwas anders sieht Stefan Jag
chitz die Sache. Er ist Geschäftsührer und Verwalter des Lu
us-chalets „Überhaus“und öffnet essen Tür. Er sagt, dass es immer wieder vermietet wird und Gewinn bringt. Jagschitz führt durch das Chalet mit 685 Quadratmeern, voll mit Holz und edlen Möbeln. Es hat fünf Schlafzimmer, eine Bar, ein großes Wohnzimmer, eine Sauna, einen beheizten
Außenpool, einen Fitnessraum und einen Kinosaal mit zwölf Plätzen. Wer es bucht, bekommt
, Haushaltspersonal, Fahrer und Skilehrer zur Seite gestellt. Wochenpreis je nach Datum: 47 000 bis 148 500 Euro.
In der kommenden Wintersaison sind laut der Homepage bereits neun der 20 angebotenen Wochen gebucht. Jagschitz meint: Wenn sich in der heutigen Zeit etwa ein junges Paar hoch verschulde, um eine kleine Pension aufzubauen, dann „widerspricht das jeglicher Logik“. Man könne den Lauf der Dinge nicht anhalten, Lech nicht in eine „Blase des Wunschdenkens“packen. Und man sollte auch sehen: Wenn jemand sein ganzes Leben hart im Betrieb gearbeitet hat, warum darf er mit einem Verkauf nicht auch einen guten Gewinn machen?
Dass einträgliche Hotellerie auf Spitzenniveau möglich ist, die auch zur Belebung des Ortes beiträgt, das zeigt hingegen Axel Pfefferkorn mit seinem „Aurelio“. Vor 15 Jahren hat er den Hotel-chalet-restaurant-komplex aufgebaut, finanziert von dem russischen Oligarchen Oleg Deripaska. Dieser will, so sagt Pfefferkorn, ordentliche Zahlen sehen und lässt ihm freie Hand. 45 Mitarbeiter beschäftigt der gebürtige Lecher fast über das ganze Jahr. Das Restaurant ist für alle geöffnet, am Sonntag werden Hendl vom Grill verkauft. Pfefferkorn sagt: „Ich möchte weiterhin jedem Lecher in die Augen schauen können.“
Doch es gibt eben auch vermehrt jene Objekte, über die alle sagen, dass sie „tot“sind.
Die Chalech-häuser zählen dazu, eines von ihnen wird etwa für zwölf Personen im Internet im Winter für 50 000 bis 80 000 Euro in der Woche angeboten. In einem anderen Anwesen soll die Penthouse-wohnung mit 210 Quadratmetern knapp 30 000 kosten. Und ein weiteres Apartment würde mit 11 500 bis 16 500 Euro zu Buche schlagen.
Gibt es so viele Leute, die das zahlen können und wollen? Ja, meint der Vermarkter der Objekte. Er teilt auf Anfrage mit, dass die Auslastung vor Corona gut gewesen sei und der kommende Winter wohl auch ordentlich werde. Nur aktuell gebe es wegen der Pandemie eine Delle. Axel Pfefferkorn vom „Aurelio“sagt hingegen: „Manche Nobel-chalets sind einfach Fakes.“Seines jedenfalls offenkundig nicht, es wird an diesem Tag gerade bezugsfertig gemacht für eine Filmcrew.
Investorenmodelle jetzt verboten
Lech will den Ausverkauf nicht länger dulden. Kürzlich hat die Gemeindevertretung, der Gemeinderat des Ortes, einstimmig beschlossen, sogenannte Investorenmodelle für zwei Jahre zu verbieten. Es gibt einen Baustopp. „Die Infrastruktur des Ortes ist in Gefahr“, sagt die Gemeinderätin Brigitte Finner, „wir werden sonst zum Geisterdorf.“2003 kostete ein Quadratmeter Baugrund noch 800 Euro, jetzt sind es 6000 bis 7000. „Junge Leute ziehen aus Lech weg, weil sie sich das Wohnen nicht mehr leisten können“, warnt Finner.
Der Baustopp gilt von jetzt an. Alle in Lech eingereichten Projekte sollen geprüft werden, ob sie den Zielen „Wirtschaften, Arbeiten, Wohnen“entsprechen. Totes Immobilienkapital macht das nicht. Mit dem Investorenstopp ist der Ort Vorreiter und hofft, dass andere Gemeinden mit den gleichen Problemen folgen.
So mancher Investor kündigt da schon mal an, sich zu wehren. Wie die Zuständigen im Fall „Brunnenhof“, der im Ort für besonders großen Ärger gesorgt hat. Das Gebäude wurde von Investoren gekauft, saniert und parzelliert wieder verkauft. Jetzt steht das Haus leer. Marc de Vocht vom Immobilienentwickler „Moutain Residences“in den Niederlanden ist für die Immobilie ebenso verantwortlich wie der Innsbrucker Rechtsanwalt Harald Vill. Sie sehen sich zu Unrecht in der Kritik, ein größerer Brand und dann Corona hätten zu Verzögerungen geführt. In der Wintersaison lege man los. Vill stellt im Gespräch auch klar: „Die Bausperre in Lech ist verfassungs- und Eu-rechtswidrig.“Wenn die Gemeinde gegen ein neues Projekt von ihm vorgeht, werde er klagen.
„Früher wurde in Lech nichts verkauft, das war Grundsatz“, erinnert sich die Vermieterin Annette Moosbrugger. Allein in diesem Jahr aber wechselten zwölf Anwesen die Besitzer. Wer hat da an wen etwas gegeben? Das weiß man nicht so genau. Doch das Geld treibt auch die Familien auseinander. Eine Frau erzählt, dass die Schwester heimlich ein geerbtes Haus an einen Investor verkauft habe. „Das gab einen großen Familienkrach.“Die Folge: „Wir haben kein Verhältnis
mehr miteinander.“
Die Infrastruktur des Ortes ist in Gefahr.
Brigitte Finner Gemeinderätin