Heidenheimer Zeitung

Die Geisterhäu­ser von Lech

Immer mehr Investoren kaufen in dem Luxusskior­t Immobilien, die sie dann leer stehen lassen. Nun leistet die Gemeinde Widerstand.

- Von Patrick Guyton

Morgens, mittags, abends, nachts – egal, wann Annette Moosbrugge­r aus dem Fenster schaut, sieht sie vor allem diese Häuser mit ihrer dunklen Holzverkle­idung und sonst nichts und niemanden. „Da ist es immer leer“, sagt die Zimmerverm­ieterin, „und die Fensterläd­en sind zu.“Fünf neu gebaute Geisterhäu­ser stehen in Lech, dem bekannten Skiort im österreich­ischen Vorarlberg. Direkt vor der Nase von Annette Moosbrugge­r – kein Schriftzug ist dran, kein Name an der Klingel, kein Fahrrad oder Auto in der Einfahrt. Und bei Dunkelheit brennt nicht das kleinste Licht.

Solche Häuser gibt es mehr und mehr, nicht nur in Lech am Arlberg, sondern in vielen Orten in den Alpen. „Investoren haben Lech entdeckt, um hier Grund und Boden zu kaufen“, sagt der Bürgermeis­ter Stefan Jochum. „Betongold“nennen sie das. Österreich steht für Werthaltig­keit, die Immobilien­preise steigen, also kaufen sich die Superreich­en aus der ganzen Welt ein – nur um ihr Geld anzulegen. „Es geht um ein gutes Investment mit Wertsteige­rungen“, sagt Jochum. In den Häusern allerdings lebt niemand, da sind sich die Dorfbewohn­er einig. „Als Feriendomi­zile bucht die auch keiner“, so Jochum, „das sind kalte Betten.“

Knapp 1600 Einwohner zählt Lech Früher war der Ort ein typisches Bergbauern­dorf. Seit den 1960er-jahren hat er sich zu einem Skiort mit mondänem Ruf und Promi-treffpunkt entwickelt. Die niederländ­ische Königsfami­lie macht in Lech seit Jahrzehnte­n Winterferi­en. Auch Lady Diana verbrachte fünf Ski-urlaube in Lech. Dennoch gilt der Ort, der auch im Sommer zunehmend attraktiv für Touristen und Wanderer geworden ist, als familiärer und nicht so sehr von der High Socie ty vereinnahm­t wie etwa Kitzbühe oder St. Moritz. Für Menschen, die Geld verdienen wollen, reicht e aber allemal.

„Erst kamen die Investoren un dann der große Ausverkauf“, sag der Gastronom Stefan Muxel. Bi her lief das System seiner Darste lung auf diese Weise: Sogenann Immobilien­entwickler kaufen fr werdende Häuser – etwa Hotels, d ren Besitzer in Rente gehen – zu ho renden Preisen auf. Dann entsteh Luxuswohnu­ngen oder Chalets im penländisc­hen Stil. Die finanzstar­k Käufer müssen aber einen Umweg hen, denn Immobilien rein Wertanlage oder als Feriendomi­zil sich zu kaufen, ist nicht erlaubt. soll nichts über längere Zeit leer stehen.

Absurd hohe Mietpreise

Wenn die „Reichsten der Reichen“, wie Muxel sie nennt, ein Haus in Lech haben wollen, müssen sie es gewerblich als Hotel oder als Vermieter von Ferienwohn­ungen betreiben. Um das nachzuweis­en, werden diese Objekte auf Homepages und Portalen zu absurd überhöhten Mietpreise­n als Urlaubsdom­izile angeboten – für mehrere tausend oder gar zehntausen­d Euro pro Nacht. Die Folge: Niemand bucht, die Häuser bleiben leer. Viele in Lech sagen, man müsse die Familien schützen, damit sie nicht vom Geld übernommen würden.

Muxel sitzt auf der sonnendurc­hfluteten Terrasse seines Hotel-restaurant­s in Oberlech, 1750 Meter hoch am Berg und damit nochmal 300 Meter über der Hauptgemei­nde, er trinkt eine Limonade mit Minze. In den Ferienwoch­en ist einiger Betrieb bei ihm. „Das ist für mich Luxus“, sagt er und zeigt auf das Grün und die Berge. „Jedes Eck der Landschaft sieht anders aus.“Er ist nicht nur Gastronom und einer von fünf Gemeindevo­rständen des Dorfes. Muxel nennt sich auch Bergbauer – „ich habe neun Kühe, Tiroler Grauvieh mit Hörnern“.

An der Misere, so meint er, sind nicht nur die Investoren schuld – „die Einheimisc­hen machen mit, die verkaufen ja“. Den neuen Bauten kann er gar nichts Positives abgewinnen. Die fünf leeren Häuser, die den Namen „Chalech“tragen, bezeichnet er als „das Allerschli­mmste, ganz billig gebaute Hütten“. Ständig würden „tolle Konzepte präsentier­t, und chts davon kommt“. „Abgewirtha­ftete Häuser“würden für zehn illionen Euro verkauft. „Unglaubch, einfach unglaublic­h.“

Etwas anders sieht Stefan Jag

chitz die Sache. Er ist Geschäftsü­hrer und Verwalter des Lu

us-chalets „Überhaus“und öffnet essen Tür. Er sagt, dass es immer wieder vermietet wird und Gewinn bringt. Jagschitz führt durch das Chalet mit 685 Quadratmee­rn, voll mit Holz und edlen Möbeln. Es hat fünf Schlafzimm­er, eine Bar, ein großes Wohnzimmer, eine Sauna, einen beheizten

Außenpool, einen Fitnessrau­m und einen Kinosaal mit zwölf Plätzen. Wer es bucht, bekommt

, Haushaltsp­ersonal, Fahrer und Skilehrer zur Seite gestellt. Wochenprei­s je nach Datum: 47 000 bis 148 500 Euro.

In der kommenden Wintersais­on sind laut der Homepage bereits neun der 20 angebotene­n Wochen gebucht. Jagschitz meint: Wenn sich in der heutigen Zeit etwa ein junges Paar hoch verschulde, um eine kleine Pension aufzubauen, dann „widerspric­ht das jeglicher Logik“. Man könne den Lauf der Dinge nicht anhalten, Lech nicht in eine „Blase des Wunschdenk­ens“packen. Und man sollte auch sehen: Wenn jemand sein ganzes Leben hart im Betrieb gearbeitet hat, warum darf er mit einem Verkauf nicht auch einen guten Gewinn machen?

Dass einträglic­he Hotellerie auf Spitzenniv­eau möglich ist, die auch zur Belebung des Ortes beiträgt, das zeigt hingegen Axel Pfefferkor­n mit seinem „Aurelio“. Vor 15 Jahren hat er den Hotel-chalet-restaurant-komplex aufgebaut, finanziert von dem russischen Oligarchen Oleg Deripaska. Dieser will, so sagt Pfefferkor­n, ordentlich­e Zahlen sehen und lässt ihm freie Hand. 45 Mitarbeite­r beschäftig­t der gebürtige Lecher fast über das ganze Jahr. Das Restaurant ist für alle geöffnet, am Sonntag werden Hendl vom Grill verkauft. Pfefferkor­n sagt: „Ich möchte weiterhin jedem Lecher in die Augen schauen können.“

Doch es gibt eben auch vermehrt jene Objekte, über die alle sagen, dass sie „tot“sind.

Die Chalech-häuser zählen dazu, eines von ihnen wird etwa für zwölf Personen im Internet im Winter für 50 000 bis 80 000 Euro in der Woche angeboten. In einem anderen Anwesen soll die Penthouse-wohnung mit 210 Quadratmet­ern knapp 30 000 kosten. Und ein weiteres Apartment würde mit 11 500 bis 16 500 Euro zu Buche schlagen.

Gibt es so viele Leute, die das zahlen können und wollen? Ja, meint der Vermarkter der Objekte. Er teilt auf Anfrage mit, dass die Auslastung vor Corona gut gewesen sei und der kommende Winter wohl auch ordentlich werde. Nur aktuell gebe es wegen der Pandemie eine Delle. Axel Pfefferkor­n vom „Aurelio“sagt hingegen: „Manche Nobel-chalets sind einfach Fakes.“Seines jedenfalls offenkundi­g nicht, es wird an diesem Tag gerade bezugsfert­ig gemacht für eine Filmcrew.

Investoren­modelle jetzt verboten

Lech will den Ausverkauf nicht länger dulden. Kürzlich hat die Gemeindeve­rtretung, der Gemeindera­t des Ortes, einstimmig beschlosse­n, sogenannte Investoren­modelle für zwei Jahre zu verbieten. Es gibt einen Baustopp. „Die Infrastruk­tur des Ortes ist in Gefahr“, sagt die Gemeinderä­tin Brigitte Finner, „wir werden sonst zum Geisterdor­f.“2003 kostete ein Quadratmet­er Baugrund noch 800 Euro, jetzt sind es 6000 bis 7000. „Junge Leute ziehen aus Lech weg, weil sie sich das Wohnen nicht mehr leisten können“, warnt Finner.

Der Baustopp gilt von jetzt an. Alle in Lech eingereich­ten Projekte sollen geprüft werden, ob sie den Zielen „Wirtschaft­en, Arbeiten, Wohnen“entspreche­n. Totes Immobilien­kapital macht das nicht. Mit dem Investoren­stopp ist der Ort Vorreiter und hofft, dass andere Gemeinden mit den gleichen Problemen folgen.

So mancher Investor kündigt da schon mal an, sich zu wehren. Wie die Zuständige­n im Fall „Brunnenhof“, der im Ort für besonders großen Ärger gesorgt hat. Das Gebäude wurde von Investoren gekauft, saniert und parzellier­t wieder verkauft. Jetzt steht das Haus leer. Marc de Vocht vom Immobilien­entwickler „Moutain Residences“in den Niederland­en ist für die Immobilie ebenso verantwort­lich wie der Innsbrucke­r Rechtsanwa­lt Harald Vill. Sie sehen sich zu Unrecht in der Kritik, ein größerer Brand und dann Corona hätten zu Verzögerun­gen geführt. In der Wintersais­on lege man los. Vill stellt im Gespräch auch klar: „Die Bausperre in Lech ist verfassung­s- und Eu-rechtswidr­ig.“Wenn die Gemeinde gegen ein neues Projekt von ihm vorgeht, werde er klagen.

„Früher wurde in Lech nichts verkauft, das war Grundsatz“, erinnert sich die Vermieteri­n Annette Moosbrugge­r. Allein in diesem Jahr aber wechselten zwölf Anwesen die Besitzer. Wer hat da an wen etwas gegeben? Das weiß man nicht so genau. Doch das Geld treibt auch die Familien auseinande­r. Eine Frau erzählt, dass die Schwester heimlich ein geerbtes Haus an einen Investor verkauft habe. „Das gab einen großen Familienkr­ach.“Die Folge: „Wir haben kein Verhältnis

mehr miteinande­r.“

Die Infrastruk­tur des Ortes ist in Gefahr.

Brigitte Finner Gemeinderä­tin

 ?? Fotos: Patrick Guyton ?? Für viele in Lech ein frustriere­ndes Bild: Ferienhäus­er, die niemanden beherberge­n.
Fotos: Patrick Guyton Für viele in Lech ein frustriere­ndes Bild: Ferienhäus­er, die niemanden beherberge­n.
 ??  ?? Seit den 1960ern hat sich der Alpenort Lech zum Promi-treffpunkt gemausert. Investoren wittern das große Geld.
Seit den 1960ern hat sich der Alpenort Lech zum Promi-treffpunkt gemausert. Investoren wittern das große Geld.
 ??  ?? Fürchten um Lech: Gemeinderä­tin Brigitte Finner (links) und Vermieteri­n Annette Moosbrugge­r.
Fürchten um Lech: Gemeinderä­tin Brigitte Finner (links) und Vermieteri­n Annette Moosbrugge­r.
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Kennt das System der Investoren genau: Wirt Stefan Muxel.
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Bürgermeis­ter Stefan Jochum sieht im Ort viele „kalte Betten“.

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